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Es braucht ein ganzes Dorf

Kindeswohl Wenn das Alltagsleben aus den Fugen gerät: Es kann viele Gründe dafür geben, Kinder aus ihren Familien zu nehmen. Sie leben dann in Pflegefamilien, betreuten Wohnformen – und einige in SOS-Kinderdorffamilien

Zoë lebt im SOS-Kinderdorf Moabit und ist mit elf Jahren derzeit die Jüngste in der Wohngruppe Foto: Erik-Jan Ouwerkerk

Von Uta Schleiermacher

Ein nigerianisches Sprichwort lautet: „Um ein Kind aufzuziehen, braucht es ein ganzes Dorf.“ Dahinter steht die Idee, dass Kinder in einem sozialen Gefüge aufwachsen, dass sie vielfältige Ansprechpartner brauchen und dass die Arbeit, die Kindererziehung nun mal bedeutet, nicht nur auf den Schultern von einem oder zwei Elternteilen ruhen, sondern breit verteilt werden sollte.

Wenn es gut läuft, finden Kinder neben ihren Eltern und außerhalb der Kleinfamilie Zuwendung, Zuspruch und wichtige Bezugspersonen. Das können Großeltern, Verwandte, Nachbarn, Freunde, Lehrer_innen, Erzieher_innen und Gleichaltrige sein.

Wo die Not besonders groß wird, kommt eine Betreuung durch das Jugendamt und ­Sozialarbeiter_innen, Erzie­her_innen oder Pflegeeltern hinzu. Denn wenn Eltern aus gesundheitlichen, psychischen oder sozialen Gründen nicht in der Lage sind, die Verantwortung für ihre Kinder zu tragen, bietet das Jugendamt Hilfen zur Erziehung an oder vermittelt das Kind in betreute Wohnformen oder Pflegefamilien. Das betrifft in den letzten Jahren auch die vielen Kinder, die als unbegleitete Flüchtlinge gekommen sind.

Wie und wo ein Kind dann gut untergebracht ist, hänge von seiner Geschichte ab und müsse von Fall zu Fall entschieden werden, sagt Dr. Elke Nowotny, Familienberaterin im Kinderschutz-Zentrum Berlin. Dieses bietet Beratung und Therapie in Krisensituationen für Kinder, Jugendliche und Eltern und betreibt eine Krisenwohngruppe.

Es ginge immer darum, die „am wenigsten schädliche Alternative“ für ein Kind zu finden. Die Inobhutnahme ist jeweils die letzte Möglichkeit in einer Reihe von Maßnahmen. „Und die Nachfragen sind in den letzten Jahren gestiegen, die Unterbringungsmöglichkeiten in Berlin reichen bei Weitem nicht“, sagt Nowotny.

Eine besondere Form des betreuten Wohnens bieten die SOS-Kinderdorf-Familien, die versuchen, das Zusammenleben so familienähnlich wie möglich zu gestalten. Die Organisation wünscht sich von ihren Erzieher_innen, dass sie lange bleiben und den Kindern so einen neuen Bruch in ihren Beziehungen ersparen. Anfangs noch mit einem etwas überhöhenden Mutterbild – „jedes Kind braucht eine Mutter“ –, inzwischen mit Fokus auf die Familie, die oft mehr ist als die Herkunftsfamilie.

Wer als Kinderdorfmutter oder Kinderdorfvater arbeitet, geht eine große Verbindlichkeit ein – größer vielleicht als in anderen Arbeitsverhältnissen in diesem Bereich. Und kann damit eine Krisensituation stabilisieren.

Trotzdem ist eine familienanaloge Unterbringung nicht in jedem Fall die ideale Unterbringung, sagt Nowotny. Und auch Pflegefamilien seien nicht immer die beste Lösung, für manche Kinder könne das zu eng sein. „Nach unseren Erfahrungen läuft es mit professionellen Betreuer_innen, die die Kinder mit ihren Problemen und möglicherweise Aggressionen auch aushalten, am besten“, sagt sie. Gerade wenn Kinder schon mehrere Einrichtungen hinter sich hätten, könnten Pflege­eltern sie oft nicht halten.

Die Beteiligten sollten dabei unbedingt auch die Perspektive des Kindes berücksichtigen, betont Nowotny. „Man kann sie oft nicht direkt fragen, weil Kinder meist bei den Eltern bleiben wollen. Aber man sollte mit ihnen sprechen und erklären, wie eine Lösung für sie aussehen könnte, und sie sollten an den so genannten Hilfekonferenzen teilnehmen und nicht vor der Tür auf dem Flur sitzen.“

Miteinander sprechen, aufeinander aufpassen: auch darum geht es im eingangs zitierten Sprichwort. Das kann stabilisierend wirken, wenn das normale Alltagsleben für die Kinder, die in betreuten Wohnformen leben, eben gerade nicht mehr selbstverständlich ist.

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