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Erzählband zu Sex, Macht und #metooDem Tier in sich zu fressen geben

17 AutorInnen haben für den Hanser-Verlag über Sex und Macht geschrieben. Sie fragen: Wie geht es mit dem Feminismus nach #MeToo weiter?

Gefallen wollen, oder den eigenen Weg gehen, einfach ist die Entscheidung auch für emanzipierte Frauen nicht immer Foto: Unsplash/Tobias Zills

Der Feminismus gewinnt gerade ein Zentimeterchen Terrain. Die Erzählungssammlung „Sagte sie“ steht exemplarisch dafür. Die stellvertretende Verlagesleiterin bei Hanser, Lina Muzur, hat 17 Schriftstellerinnen beauftragt, Erzählungen über Sex und Macht zu verfassen. Als Fortsetzung der #MeToo-Debatte mit literarischen Mitteln, sozusagen.

Vor 30, 40 Jahren erschienen die ungehörten weiblichen Stimmen in kleinen Frauenbuchverlagen, weil die Türhüter der Mainstream-Literatur männlich waren. Dann kam eine lange Phase, da hätte man diese Literatur in die Frauenbuchreihe gesteckt. Jetzt beginnt sich das zu ändern. Die Prognose sei gewagt: „Sagte sie“ wird sich gut verkaufen. Feminismus ist schick. Und als Buchkäuferinnen haben Frauen noch nie enttäuscht.

Das ist gut – und wirft gleichzeitig die Frage auf, ob man als Frau überhaupt noch den Unterdrückungsmodus für sich beanspruchen kann, wie das Vorwort suggeriert: „Und weil es durchaus sein könnte, dass wir schon zu lange und zu oft seiner Version der Geschichte zugehört und Glauben geschenkt haben, soll in dieser Anthologie ausschließlich ihre Sicht der Dinge erzählt werden: Sagte sie“.

Die „Unhörbarkeit“ der weiblichen Stimme scheint nicht mehr zentrales Problem zu sein. Frauen sind hörbar geworden. Inzwischen ist das Problem eher im Bereich „Glauben schenken“ angesiedelt, es geht um Zuweisung von Bedeutung. Die Frauen sprechen schon eine Weile öffentlich, aber allzu oft wird es maximal wahrgenommen als ein schlecht gelauntes vor sich hin Quaken von minderer Güte. Der Mainstream hört nicht zu. Denn der, so sehr Frauen darin auch eine Rolle spielen mögen, ist nach wie vor Malestream und findet weibliche Ansichten nicht so relevant wie männliche. Da können noch so viele Frauen Verlage leiten, ohne Feminismus, ohne bewusstes Wichtignehmen weiblicher Ansichten, hilft das wenig.

Die zugehörigen Männer gibt es nicht

Das „Sagte sie“ ist trotzdem problematisch. Es deutet nämlich auch auf eine merkwürdige Unschärfe im Literaturverständnis hin. Diese Geschichten haben ja gar kein „He said“, das zum „She said“ der englischen Redewendung gehören würde. Sie sind Fantasieprodukte von Frauen, die zugehörigen Männer gibt es nicht, weshalb man sie praktischerweise auch gar nicht anhören muss. Und doch wird mit Realitätsnähe gespielt, wenn es im Vorwort heißt, diese Geschichten „könnten sich teils genauso ereignet haben“. Das klingt nach Borderline-Journalismus, und das ist nicht gut in einer Debatte, in der der Vorwurf der künstlichen Dramatisierung ohnehin schon im Raum steht. Es wirkt ein bisschen wie ein Verkaufstrick: die Realität, nur krasser.

Sei’s drum. Das Buch hätte den Trick nicht nötig gehabt. Denn die Autorinnen werden hinreichend komplex. Margarita Iov lässt kunstvoll Geschlechtergrenzen verschwimmen. Fat­ma Aydemirs Hauptperson gerät in eine Verwicklung verschiedener Sexismen, Mercedes Lauenstein erzählt, wie eine Frau einen Mann zum Sex nötigt. Alles immer beiläufig, so wie unheimliche Begegnungen oft abgespeichert werden: als etwas, das im Untergrund rumort, während die Hauptsache etwas anderes zu sein scheint.

Die Frauen heute sind vorsichtig, sie wollen im System bleiben, sie haben mehr zu verlieren als ihre feministischen Mütter in den Siebzigern

Und, geradezu auffällig: Es gibt keine Anklage, noch nicht mal eine Klage, nur eine Menge Selbstbefragungen. Die Frauen heute sind vorsichtig, sie wollen im System bleiben, sie haben mehr zu verlieren als ihre feministischen Mütter in den Siebzigern, die gar nicht erst zugelassen waren. Emblematisch dazu: Warum hat sich die kleine Pia bei den beiden Jungs entschuldigt, obwohl die sie gepiesackt haben? Die Eltern versuchen eine feministische Intervention – und die Tochter antwortet: „Ich wollte aber weiter spielen.“ „Sie pustete ihrem Vater die Worte ins Gesicht. Dann drehte sie sich weg, löste sich gewandt aus seinem Griff und lief zurück zur Höhle, verschwand unter der Plane.“

Annika Reich und Anna Prizkau lassen Mütter wortreich an erfahrener sexueller Gewalt vorbeisprechen. Bei Julia Wolf hat sich die kollektiv verdrängte Gewalt niedergelassen in der Fantasie und ist dort angewachsen zu einer permanenten Angst vor dem Übergriff durch einen Fremden, den eine Mutter auf ihre Tochter überträgt. Die Tochter sitzt mit Baby allein im Ferienhaus und wird von ihrem Ehemann vor ihrer eigenen Angst gerettet.

Mit den Metaphern des Unterbewusstseins

Sexuelle Gewalt wird in unserer Gesellschaft verdrängt, Literatur kann sie hervorholen, auf eine zarte Weise, weil ihr die gleiche Metaphernsprache zur Verfügung steht wie dem Unbewussten. Das gelingt vielen Texten in diesem Band. In diesem Fall wird die Literatur aber auch direkt, wie in Annett Gröschners Text aus den Achtzigern der DDR, in dem eine Studentin im Moskauer Schnee von einem Russen (Brudervolk!) vergewaltigt wird, oder Margarete Stokowskis Erzählen vom Wiederaufbrechen eines verdrängten Traumas beim Zahnarzt. Und sie wird diskursiv.

Etwa bei Antonia Baum. Ihr Text ist der erste, und der plakativste. „Grüß Gott, hi, ich bin’s, die Frau, nämlich diese Person mit dem Loch, in das man Sachen reinstecken kann, wenn der Mann will, und über deren Integrität man öffentlich beraten kann (Schlampe ja/nein), während man sich zu ihr herunterbeugt, ihre Schamlippen auseinanderzieht (ich schäme mich, schon immer) und gleichzeitig betont, hier gäbe es kein Machtgefälle. Denn diese Frau da unten soll endlich damit aufhören, sich zum Opfer zu machen.“

Das Buch

Lina Muzur (Hrsg.): „Sagte sie. 17 Erzählungen über Sex und Macht“, Hanser Berlin, 2018, 224 Seiten, 20 Euro.

Es folgt eine Analyse des Status quo, der condition féminine 2018, dargestellt durch ein Theater im Gehirn der Erzählerin. Die Zuschauer*innen kommentieren, richten, analysieren, bewerten, ganz so wie die öffentliche Debatte in der #MeToo-Diskurswolke. Die Hauptperson findet ihren Chef ansprechend. Sie ist also geschmeichelt, als er sich für sie interessiert, und will ihm gefallen. Doch nach einer Party wird er zudringlicher und zudringlicher, und sie findet den Punkt nicht, an dem ein „Stopp“ angebracht wäre. Seitdem denkt sie über ihre „Schuld“ nach. Die Feministin mit der klugen Brille in ihrem Gehirn enttarnt schon das Gefallenwollen, die Orientierung am Blick der Männer. Aber was ist der eigene Blick? „Sie würden mir das gleiche Kleid aussuchen wie ich“, bekennt die Erzählerin.

Der Machtwille in ihr ist allein der Wille nach Partizipation an imaginierter männlicher Macht. Er ist ein Tier, „blitzschnell in seinen Reaktionen. Schneller als Sie (die Frau mit der klugen Brille) und Ihr berechtigter Einwand jedenfalls. (…) Ich mache, was man von mir will, auch wenn ich es nicht will. Wenn ich gefalle, kriegt es zu fressen, also gefalle ich. Das Tier aber kann man nicht einfach so aus mir herauspräparieren, und entsorgen. Es bewohnt mein System, das heißt, man müsste auch mich als Frau komplett entsorgen.“ So macht es wohl immer noch eine große Zahl an Frauen heute, sonst gäbe es kein #MeToo, das diese Kollaboration erst aufdeckt. Warum reden die erst jetzt? Deshalb. Weil es eines Minimums an gefühlter Gegenmacht, eines kleinen Chores zur Unterstützung bedurfte.

Die innere Anpasserin

Das ist der Abgrund, der 2018 zwischen propagierter Emanzipation und realer Emanzipation klafft. Die Emanzipation, wie wir sie gerne hätten, hat gar kein Problem damit, Übeltäter in die Schranken zu weisen, der vermeintlichen Macht ein Nein entgegenzusetzen, so wie etwa „Philosophie“-Chefin Svena Flaßpöhler es in „Die potente Frau“ geradezu verärgert einfordert. Die Emanzipation, wie sie ist, ist ein selbstquälerisches Ringen mit der inneren Feministin und der inneren Anpasserin, die genau weiß, dass die männliche Macht Feministinnen nur goutiert, wenn die ihr nicht ernsthaft gefährlich werden können. Das Gequäl ist nicht schön und es ist alt. Aber da ist es trotzdem. Und dass dieses Dilemma benannt wird und wir uns alle drüber ärgern, das ist der Zentimeter mehr, den der Feminismus gerade gewonnen hat. Mal sehen, wie lange wir ihn halten können.

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4 Kommentare

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  • @Mowgli:



    Der Mainstream der Presse geht m. E. sowieso in die falsche Richtung (Frauen unterdrückend und zum Objekt degradierend, kapitalismushörig – dadurch männergesteuert, den Reichen gehörend und ihnen hörig, Minderheiten verachtend, Armut der Masse befördernd).

    Also ist es m. E. ziemlich egal, ob sich die Mainstream-Medien zwischen Pest (Trump) und Cholera (Erbhöfe anders ausbauen) entscheiden müssten.



    Sie sind in beiden Fällen m. E. größtenteils männliche, paternalistische, manipulierende und kapitalistische Medien. Und so lange die Medien in der Hand einiger Weniger sind, kann frau auf die Medien nicht bauen, um die Mauern in den Köpfen der meisten Frauen einzureißen. Von den Mauern in den Köpfen der meisten Männer mal ganz zu schweigen.

    Und die vielen Männer, die – auch hier im Forum – behaupten, sie könnten NUR mit einer emanzipierten Frau zusammenleben oder mit ihnen auf Augenhöhe „verkehren“ (im doppelten Sinne), strafen sich selber Lügen, denn die meisten Frauen sind nun mal nicht gleichgestellt (Lohn, Arbeitszeit, Rente, Lebenshaltungskosten, etc.). Wie der Artikel schön zeigt, müssen auch und gerade die Männer an der Emanzipation „arbeiten“ – ohne abfällig auf die Frauen herabzusehen (die da unten) und weiterhin nicht zuhören zu „wollen“.

    • @Frau Kirschgrün:

      "...strafen sich selber Lügen, denn die meisten Frauen sind nun mal nicht gleichgestellt (Lohn, Arbeitszeit, Rente, Lebenshaltungskosten, etc.)."

      Folgendes Problem: Wenn man als Mann eine Frau kennenlernt, die einem gleichgestellt IST (gleicher Ausbildungsstatus, gleiches Einkommen, ähnliche konventionelle Attraktivität etc.), ist da meist wenig mit Augenhöhe, denn IHRE Augen schweifen im Zweifel höher - dahin wo der Typ steht, der mit seinem Einkommen ihren aktuellen Lebensstil auch dann noch finanzieren kann, wenn sie kinderbedingt in die Teilzeit entschwindet. Der soll dann bitte auch ja keine ausgedehnte Elternzeit nehmen. Das wäre viel zu teuer und würde sein Fortkommen - und damit die wirtschaftliche Absicherung der Familie - gefährden...

      Natürlich ist frau voll gegen diese alten Rollenbilder, aber in eigener Sache dann doch fast immer wesentlich glücklicher und geborgener, wenn sie sie für sich realisieren kann. Hat sich natürlich ganz zufällig so ergeben, und frau hat ja immer noch die Option, voll durchzuarbeiten - theoretisch.

      Das ist zumindest die Erfahrung eines Mannes, der aus einer Familie mit aufgeweichten, teils auch umgekehrten Rollenbildern stammt und bass erstaunt ist, wie selten diese Emanzipation im Kleinen heutzutage immer noch von den Frauen gewünscht wird. Ich kenne viele Frauen, die es ausbildungsmäßig zu einer Top-Karriere bringen könnten. Keine(!) von denen hat jemals darüber nachgedacht, dass sie dann ja theoretisch auch einen Mann haben könnte, der NICHT deutlich mehr vedient als sie.

  • Danke Frau Oestreich für den treffend beschriebenen, sensiblen Artikel!

    Der Zentimeter mehr! Das ist sehr wenig, aber immerhin vorhanden.



    Wenn sich jetzt noch ein paar Männer mehr nicht nur darüber ärgern, sondern bereit wären, etwas von der „Über-den-Frauen-stehenden-Macht“ (die da unten) abzugeben, könnte eine Gleichberechtigung, die diesen Namen auch verdient, wenigstens in Ansätzen Einzug halten.

    Das Argument, das viele Männer gerne benutzen, dass wir Frauen selbst unsere Emanzipation nicht wirklich vorantreiben, haben Sie dadurch entkräftet, dass die Macht immer bei den Männern geblieben ist, und im Inneren von uns Frauen durch diese Macht und dem sich-dieser-Macht-unterordnen (meistens unterordnen müssen) einfach beinahe unauflöslich manifestiert ist.



    Vielleicht könnte frau sagen, dass diese Macht(unterlegenheit) inzwischen über die Jahrhunderte epi-genetisch „eingeschrieben“ ist, und nur sehr schwer und zu sehr hohen Kosten (z. B. durch Einsamkeit der Frau, weil gegen diese Macht-Anpassung und für Gleichberechtigung gelebt) auch wirklich grundlegend zu verändern ist.

  • Zitat: „Der Mainstream hört nicht zu. Denn der, so sehr Frauen darin auch eine Rolle spielen mögen, ist nach wie vor Malestream und findet weibliche Ansichten nicht so relevant wie männliche.“

    Seit wann sagen Statistiken etwas über die Hintergründe von Phänomenen aus?

    Meinungsmacher mögen ja noch immer mehrheitlich männlich sein. Das heißt aber nicht, dass sie den Hauptstrom lenken können. Gerade eben haben sich die Leitarikler von 300 US-Zeitungen öffentlich darüber aufgeregt, dass 48% aller Amerikaner sich von ihnen nicht mehr lenken lassen wollen. Gewöhnt sind sie an so viel Widerstand nicht. Seit Trump jedoch kommen sie nicht mehr daran vorbei. Sie sind zu einer Existenzfrage geworden, die Anderen.

    Der Hauptstrom schwächelt. So, wie der Golfstrom schwächelt. Und die einstigen Meinungsmacher sehen sich vor eine Wahl gestellt: Entweder, sie schlagen sich auf die Seite Trumps und geben den schlechten alten Macho, oder sie geben sich mit 52% zufrieden und versuchen, ihre verbliebenen Erbhöfe auf andere Art auszubauen. Auf weniger „maskuline“ Art beispielsweise.

    Genau genommen ist der Mainstream derzeit eher ein Femalestream. 52% sind immerhin eine knappe Mehrheit. Aber es sind nicht allein die Frauen, die das Macho-Gedöns bis Oberkante Unterlippe satt haben. Auch Männer wollen endlich mitbestimmen. Das kann bloß nicht besonders gut erkennen, wer 24/7 auf den eigenen Bauchnabel starrt und sich als Opfer bedauern lässt.

    Da können noch so viele Frauen Verlage leiten – wenn sie dabei nur männliche Strategien anwenden, hilft das rein gar nichts. Es gibt den Männern bloß die Macht zurück, die sie schon nicht mehr haben.

    Übrigens: Sehr schön, diese verbale Doppeldeutigkeit! Einmal hineingeraten, kann man im Malstrom leicht die Orientierung und nicht viel schwerer sein Leben verlieren. Auch wenn es im Einzelfall vielleicht kein Mann war, der den Strudel ausgelöst hat, sondern eine Frau, die unbedingt „mitspielen“ wollte, weil Worte nie die Praxis topen werden.