Erster CSD in Merseburg: Feiern und demonstrieren trotz Bedrohung
Gewalt gegen queere Menschen nimmt zu. Doch der CSD im Süden Sachsen-Anhalts verlief ruhig. Die Polizei war mit erhöhter Präsenz vor Ort.
Mehrere Stände auf dem Markt bieten Infos zu Initiativen aus der Gegend, im Zelt in der Mitte gibt es Sonnencreme für alle und am Ende des Platzes kostenlose Getränke. Trotz der Hitze, die Stimmung ist gut und bleibt es bis zum Schluss. Immer wieder ertönt aus dem Schatten Beifall für die Redebeiträge auf der Bühne.
Als erster tritt der junge Max aus Merseburg von der Linken an das Mikrofon. Im April ging ein Video von dem 16-Jährigen viral, in dem er sich auf einer Querdenken-Demo gegen Geschichtsvergessenheit aussprach. Dafür erntete er viel Hass und Bedrohungen. Zur Sicherheit wird sein Nachname und auch der von anderen in diesem Text nicht genannt.
Am Samstag kritisiert Max unter anderem die Bundesregierung, weil sie zum Verbot des CSD in Budapest schweige. Der Druck auf Queere sei aber nicht nur in Budapest hoch, sondern auch in Merseburg. Wie Max benennen andere Redner:innen die Sorge, dass Rechtsextreme den CSD angreifen. Rund um den Markt steht Polizei.
„Wir hatten sehr viele Sorgen“
Es ist erst wenige Tage her, dass ein Mann in Wernigerode im Harz – ebenfalls Sachsen-Anhalt – angekündigt hatte, mit „70 Schuss“ auf dem dortigen CSD aufzutauchen. „Es soll ja wehtun“, soll er gesagt haben. Bei einer darauffolgenden Durchsuchung entdeckte die Polizei dann zwei Schreckschusswaffen und eine Softair bei ihm Zuhause. Die Ermittlungsbehörden zweifeln zwar daran, dass das eine ernstgemeinte Drohung war. Doch 70 Schuss fanden sie bei ihm.
Am Mittwoch danach hatte die Polizeiinspektion angekündigt, sie werde in Merseburg die Zahl der Einsatzkräfte erhöhen, um einen friedlichen Ablauf des CSDs zu sichern. Eine konkrete Bedrohung gebe es nicht. Doch eine grundsätzliche ist Gefahr da. Während des CSDs am Samstag stellt die Polizei in der Innenstadt noch mobile Zufahrtssperren auf die Straßen.
Auf dem Marktplatz in Merseburg sitzt Izzy vom Organisationsteam des CSDs unter einem Zelt im Schatten. Für das Sicherheitskonzept habe es enge Absprachen mit der Polizei gegeben, berichtet sie. „Wir hatten sehr viele Sorgen, aber bisher ist alles gut gelaufen.“ Das bleibt bis zum Abend so.
Vernetzung im ländlichen Raum
Organisiert hat den CSD in Merseburg ein lokales Bündnis aus Einzelpersonen. Sie wollten sich von großen, kommerziellen CSD-Strukturen abgrenzen, heißt es in einer Selbstbeschreibung. Sponsoring von großen Firmen ist nicht zu sehen. Stattdessen solle der CSD ermöglichen, dass sich Queere im ländlichen Raum um Merseburg vernetzen. Eine Idee, die offenbar Konfliktpotential birgt.
Am Abend zuvor veröffentlichte das Orga-Team des CSDs in Merseburg ein umfassendes Statement. Darin erklärt es die Zusammenarbeit mit dem CSD Sachsen-Anhalt für beendet. Der landesweit aktive Verein unterstützt vor allem CSDs in kleineren Städten des Landes bei der Anmeldung und Organisation. Laut dem Orga-Team in Merseburg, habe CSD-Sachsen-Anhalt dabei über die lokalen Bedürfnisse hinweg entschieden und eine Kommerzialisierung vorangetrieben.
Kurz darauf teilte der CSD Sachsen-Anhalt in einem eigenen Statement mit, man respektiere, dass der CSD Merseburg die Zusammenarbeit beenden wolle. Der landesweite Verein wolle sich nicht weiter „aktiv beteiligen“. Allerdings wies er die Kritik von sich: an einer Spaltung bestehe kein Interesse, die Abläufe der Zusammenarbeit seien falsch dargestellt.
Ein paar Minuten nach 14 Uhr formieren sich die Teilnehmer:innen für die erste Pride durch Merseburg. In der Dom- und Hochschulstadt leben etwas mehr als 36.000 Einwohner:innen. Wie genau die Route verläuft, hatten die Veranstalter:innen nicht veröffentlicht. Als es losgeht, beschallt ein Lautsprecherwagen die Demonstration. Manchmal bläst kühlender Wind in die Regenbogenfahnen, auf einem selbstbemalten Banner steht das Motto: Queer, laut, solidarisch.
Straftaten gegen queere Menschen sind gestiegen
Polizeiautos begleiten die Parade. Auch Beamte in Zivil sichern den CSD ab. Eine Sprecherin der Polizei bestätigt gegenüber der taz, es gehöre zum Sicherheitskonzept, dass die Polizei aktiv das Gespräch mit Personen rund um die Demo sucht, die augenscheinlich zum rechten Spektrum gehören. Sie würden gefragt, ob sie teilnehmen wollten. Wenn nicht, würden sie aufgefordert, weiterzugehen.
Im vergangenen Jahr haben Straftaten gegen queere Menschen zugenommen, laut dem kürzlich vom Bundeskriminalamt veröffentlichten Bericht zur politisch motivierten Kriminalität in Deutschland. 2024 erfasste die Polizei demnach 1.765 Straftaten im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung. 2023 waren es noch 1.499 Fälle. Außerdem gab es letztes Jahr der Polizei zufolge 1.152 Straftaten wegen der „Geschlechtsbezogenen Diversität“, also Straftaten gegen trans, inter und nichtbinäre Personen.
Deutschlandweit für Aufsehen sorgten 2024 rechtsextreme Demonstrationen gegen CSDs, etwa im sächsischen Bautzen. Die Polizei ließ dort mehr als 600 Neonazis und Rechtsextreme nur wenige hundert Meter in Sicht- und Hörweite hinter dem CSD marschieren. Aus Sicherheitsbedenken sagten die Veranstalter:innen eine geplante After-Show-Party kurzfristig ab.
In Merseburg gibt es am Samstag keine rechtsextreme Gegendemo. Nach etwas mehr als einer halben Stunde in praller Sonne durch Wohnviertel, über die Bundesstraße in die Innenstadt, kommt die Demonstration am Bahnhof bei ihrer Zwischenkundgebung an. Schnell sitzen die meisten Teilnehmer:innen wieder unter einem großen Baum im Schatten. Dann näheren sich drei Jugendliche.
Noch bevor sie die Demo erreichen, stehen zwei Polizeibeamte zwischen den Jugendlichen und dem CSD, und fordern sie auf, weiterzugehen. Doch die drei wollen nicht, setzen sich kurz auf eine Bank und pöbeln undeutlich in Richtung des CSDs. Als sich die Demo wieder in Bewegung setzt, formt einer der Jugendlichen mit seinen Fingern kurz die bei Rechtsextremen beliebte White-Power-Geste, wie zum Abschied.
Ermittlung wegen Hitlergruß
Ohne weitere Pöbeleien läuft die Pride zurück zum Markt. Später kommt es noch zu einer Auseinandersetzung mit einem 62-Jährigen. Er soll zwei Teilnehmer:innen des CSDs beleidigt haben. Als Polizist:innen dazu kommen, wird er laut und verwendet er mehrfach den Hitlergruß. Die Beamten ermitteln deswegen gegen ihn.
Auf der Bühne bahnt sich währenddessen eine Diskussionsrunde an: Akteure aus der Zivilgesellschaft und Politiker:innen aus dem Landtag sprechen über queere Sichtbarkeit und wie sich die Gesellschaft wandelt. Vor der Bühne hört ein Mann zu, der sich Olaf Wunderbar nennt. Um 4 Uhr am Morgen sei er an der Ostsee losgefahren, um rechtzeitig beim ersten CSD in Merseburg zu sein, sagt er. Seine Schuhe, seine Hose, sein Sakko und sein Schirm, alles erinnert an einen Regenbogen.
Jedes Jahr fährt Wunderbar zu verschiedenen CSDs in Deutschland. 2025 waren es bislang zehn, so erzählt er es am Samstagnachmittag auf dem Markt. Wenn es um CSDs geht, ist Wunderbar quasi Experte. Wie ihm der CSD in Merseburg gefalle? „Für das erste Mal und das heiße Wetter ist das super.“ Das große Polizeiaufgebot habe allerdings widersprüchliche Gefühle in ihm ausgelöst.
Einerseits habe er das gute Gefühl, beschützt zu werden. Andererseits habe er aber auch das ungute Gefühl, dass dieser Schutz für queere Menschen nötig ist. Doch trotz der Bedrohungen in Wernigerode oder Bautzen sei es ihm wichtig, zu CSDs zu fahren. Er habe sich 32 Jahre lang nicht eingestanden, dass er schwul sei. „Damals hätte ich eine Person gebraucht, die mich da herausführt“, sagt Wunderbar. „Und die Person, die ich da gebraucht hätte, möchte ich heute sein.“
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