Eröffnungsfilm der Berlinale: Zu Hause ein Gespenst
Die Eröffnung der Berlinale gerät ruhig. Zu ruhig? Im Eröffnungsfilm „Small Things Like These“ kommt Cillian Murphy in Konflikt mit der Kirche.
Am Donnerstagabend ist es am Potsdamer Platz friedlich, wenn auch nicht ruhig. Um den Roten Teppich kein lautstarker Protest, dafür ertönt mit fast jedem neuen anrollenden Wagen Jubelgeschrei.
Als die Berlinale-Jurypräsidentin Lupita Nyong’o an der Reihe ist, schwellen die Stimmen ringsum zu Kreischen an: „Lupita, Lupita!“ Ein bisschen leiser bei Matt Damon, dem Produzenten des Eröffnungsfilms „Small Things Like These“, dann wieder lauter bei Cillian Murphy, dessen Hauptdarsteller.
Die Berlinale eröffnete im Verhältnis zur Unruhe vorab um die Ein- und Ausladung von AfD-Abgeordneten recht routiniert. Berlinale-Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek fasste das Thema in der Formel „Hass steht nicht auf unserer Gästeliste“ zusammen. Auch sonst kaum Aufregung. Was ebenfalls für den Eröffnungsfilm gilt.
Zwar macht Cillian Murphy allemal Eindruck. Schon sein Blick mit den wässrig blauen Augen kann verunsichern, ob als wortkarger Gangster in der TV-Serie „Peaky Blinders“ oder als getriebener Atomforscher in Christopher Nolans Kassenerfolg „Oppenheimer“. Auch in „Small Things Like These“ von Tim Mielants macht er Eindruck, doch mit einer Figur, die wenig gemein hat mit den Typen, für die Murphy berühmt ist.
18. 2., 19 Uhr, Colosseum 1
Schon seine Frisur mag ein kleiner Schock sein, ausgewachsene Fransen hängen ihm in die Stirn, Koteletten wuchern ihm um die Ohren. Elegant-geschmeidig ist an diesem Bill nichts, als Kohlenhändler fährt er in dickem Wollpullover und verschlissener Jacke seine Kunden ab. Unterschwellige Aggression ist ihm fremd, Bill schweigt viel, weint manchmal, schleicht zögerlich durch seinen Arbeitsalltag. Zu Hause bei der Familie huscht er wie ein Gespenst zwischen der großen Tochterschar hin und her.
„Gefallene“ Mädchen im Kloster
Die Handlung spielt Mitte der Achtziger, im Pub läuft „Don’t You Want Me“ von der New-Wave-Band Human League, es ist Adventszeit. Gesegnet erscheint jedoch nichts. Grau in Grau präsentiert sich die Stadt Wexford im Süden Irlands. Im Kloster am Stadtrand, das Bill beliefert, landen „gefallene“ Mädchen, die unter Schreien im von außen fabrikartig anmutenden Gebäude verschwinden.
Tim Mielants hält lange Zeit in der Schwebe, warum alles an Bill so gehemmt erscheint, warum er Anteil nimmt an den Mädchen, die unfreiwillig Dienste im Kloster verrichten müssen und deren Kinder nach der Entbindung in Heime weggegeben werden. Man erfährt in Rückblenden, dass Bill in seiner Kindheit einen Verlust erlitt, Mielants deutet an, dass dem Jungen ein ähnliches Schicksal wie den Kindern dieser Mädchen drohte.
Die katholische Kirche in Gestalt von Schwester Mary erhält in der Darstellung von Emily Watson ein furchteinflößendes Antlitz. Alles, was an dieser Institution nicht stimmt, ballt der Film in ihrer Rolle, vielleicht ein wenig zu offensichtlich: Watson gibt einen maliziös kontrollierten Machtmenschen mit sadistischen Neigungen.
Ein Eindruck von außen
Als Vorlage zum Film diente der gleichnamige Historienroman von Claire Keegan über die Zustände in den als „Magdalenenheimen“ bekannten Besserungsanstalten für Frauen. Dass der Film nicht die Innenansicht des Klosters wählt, sondern mit Bill jemandem von außen flüchtig Eindruck gewährt, ist im Prinzip eine plausible Entscheidung. So erfährt man vor allem davon, wie sich das gesellschaftliche Umfeld des Klosters mehr oder minder im Wissen um die Zustände dort dessen Einfluss beugt.
Cillian Murphys Bill bleibt allerdings eher ungreifbar und wird immer weniger einnehmend, je deutlicher der Film die Hintergründe seiner Geschichte macht. „Small Things Like These“ hat zwar einen massentauglichen Star, dessen Part lässt aber zu wenig Charakter erkennen, um über die volle Länge zu faszinieren. Selbst wenn er irgendwann eine mutige Entscheidung trifft.
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