Ernährungswende in Berlin: In die Suppe gespuckt
Kurz vor der Präsentation zivilgesellschaftlicher Empfehlungen für die Ernährungspolitik in Berlin fordert der Ernährungsrat mehr.
Der 35-seitige Abschlussbericht identifiziert sieben Handlungsbereiche mit Praxisvorschlägen für eine nachhaltigere Ernährung. An erster Stelle steht das öffentliche Kantinenwesen, die Gemeinschaftsverpflegung von Kitas bis zu Justizvollzugsanstalten, das auf Bioprodukte, vorzugsweise aus der Region, umgestellt werden soll. Weitere Schwerpunkte sind die Zusammenarbeit mit Brandenburg in landwirtschaftlicher Produktion und Lebensmittelhandwerk sowie die Förderung von „Innovationen für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem“. Food-Aktivitäten in den Kiezen, „Ernährungsbildung für alle“ und Reduzierung von Lebensmittelverschwendung sind andere Handlungsfelder.
Doch nach Abschluss der Beratungen machte sich bei den Mitgliedern des Ernährungsrats, der den gesamten Prozess angestoßen hat, offenbar ein Bauchgrummeln bemerkbar. Mit einem offenen Brief spuckte das Bündnis für nachhaltige Ernährung zu Beginn der Woche dem Senator in die Suppe. „Die augenblicklich vorgesehene Umsetzung des Vorhabens als Projekt sehen wir zwar als guten Anfang“, heißt es darin, „aber für ungeeignet, die erforderliche Veränderung langfristig zu implementieren“. Gemeint ist damit eine dauerhafte gesicherte Finanzierung für das „Haus des guten Essens“, ein geplantes Zentrum für gute Gemeinschaftsverpflegung nach Kopenhagener Vorbild. „Ebenfalls kritisch sehen wir die Vergabe an einen privaten Träger“, schreibt der Rat weiter, weil dadurch „das gemeinwohlorientierte Ziel einer Ernährungswende in Berlin und Umgebung gefährdet“ werde.
Konkreter Vorschlag des Ernährungsrats: Das „Haus des guten Essens“ solle als landeseigenes Unternehmen oder Stiftung gegründet werden, mit einem „Beirat aus kompetenten Akteuren und Institutionen, zu denen auch der Ernährungsrat zählt“. Weiter vermisst der Ernährungsrat die langfristige Linie in der Ernährungspolitik. „Selbst ein erfolgreiches ‚Haus des guten Essens‘ wäre nur ein einzelner Baustein und kann allein nicht genug ausrichten“, heißt es in dem Brief. Ziel sei eine „Ernährungsdemokratie für Berlin“, für deren Begleitung „eine strategische Steuerungsgruppe“ gebildet werden solle.
In einer ersten Reaktion würdigte Behrendt gegenüber der taz den offenen Brief als „wertvollen Beitrag“ für die anstehenden Diskussionen. In der Veranstaltung bezeichnete Margit Gottstein, Verbraucherschutz-Staatssekretärin, das „House of Food“ als „Schlüsselprojekt der Berliner Ernährungswende“, für das in diesem Jahr 700.000 Euro im Landesetat reserviert seien. Auch für die Folgeetats 2020/21 seien Mittel angemeldet.
Dirk Behrendt (Grüne), Senator
Aus dem nun vorgelegten Aktionsplan werde eine Senatsvorlage erstellt, die in den nächsten Wochen von den übrigen Ressorts mitgezeichnet werde. Laut Behrendt wird mit der Ausschreibung für das „House of Food“ jetzt begonnen, die Vergabe soll im Sommer abgeschlossen sein, damit der Betriebsaufbau im Herbst beginnen könne. Behrendt versicherte den rund 100 Vertretern der Food-Community in der Mälzerei: „Wir meinen es ernst mit der Ernährungswende“.
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