Ermittlungen gegen Wehrsportgruppe: Weitreichende Kontakte
Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelt gegen eine rechtsextreme Wehrsportgruppe. Die Verdächtigen haben Verbindungen ins Verteidigungsministerium.
Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft Lüneburg gegen den stellvertretenden Vorsitzenden der Reservisten-Kreisgruppe Hannover. Der Verdacht: Der Oberstleutnant der Reserve soll der Anführer einer rechtsextremen Wehrsportgruppe sein, die Migrant:innen im Visier hatte. Hinzu kommt: Einige der Beschuldigten kennen sich nicht nur aus Reservistenverbänden, sondern auch aus rechtsextremen Kreisen.
„Der Kreis der Verdächtigen umfasst mittlerweile zehn Personen“, sagt die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft, Wiebke Bethke, der taz. Die Auswertungen des umfangreichen, sichergestellten Materials dauere aber noch an, sagt Bethke.
Dass die Ermittlungen nach einer Durchsuchung von acht Objekten in Niedersachsen, Nordrhein-Westfallen und Berlin dauern könnten, betonten die Ermittelnden schon im September 2021. Knapp 250 Waffen waren damals nach Razzien sichergestellt worden. Hinzu kamen Waffenteile, Munition und Datenträger. Eine Liste mit Adressen von Politiker:innen soll bei einem Beschuldigten aus Wriedel (Landkreis Uelzen) gefunden worden sein. Als „Neigungsgruppe“ bezeichneten sich die Verdächtigen offenbar selbst.
Auf G. kamen die Ermittler über Umwege. Bei einer Routineüberprüfung im Bundesverteidigungsministerium fiel dem Militärischen Abschirmdienst der Handykontakt eines Referenten in der Abteilung „Strategie und Einsatz“ auf. Der Referent war Burschenschaftler in Hannover. Gemeinsam mit Jens G. besuchte er 2004 ein „Ritterkreuztreffen“, wie das ARD-Magazin „Kontraste“ berichtet. Dort versammeln sich hochdekorierte Wehrmachtssoldaten. Zu den Verdächtigen der Wehrsportgruppe zählt der Referent nicht. Ein Blick auf die Facebook-Freunde von G. zeigt: Er kennt weitere Personen im Umfeld des Verteidigungsministeriums.
Auch den von der Staatsanwaltschaft Beschuldigten Wolfgang F. aus dem Wendland kennt G., – allerdings nicht aus dem Netz: F. verbrachte wie G. seine Jugend in einem Jugendbund namens „Deutsch-Wandervogel“ (DWV). Der DWV wurde von einem „ehemaligen Waffen-SSler“ aus Hodenhagen angeführt, sagt Odfried Hepp der taz. Der ehemalige Rechtsterrorist und spätere inoffizielle Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit wuchs mit Rechtsbündischen auf. „In einem der Zeltlager sagte mir ein alter SS-Mann: ‚Ich habe einmal einen Eid geschworen und den breche ich nicht bis an mein Lebensende‘“, sagt Hepp und hebt hervor: „Er meinte den auf Adolf Hitler“.
Unter den völkisch-antisemitischen Jugendgruppen war der DWV vermutlich die weltanschaulich radikalste Gruppe, betont der Potsdamer Politikwissenschaftler Gideon Botsch. Dieser sehr kleine Bund bestünde heute formal nicht mehr, doch manche Angehörige halten lebenslang die Treue.
G. nahm dann an bündischen Treffen teil, besuchte Polizeiangaben zufolge die antisemitische „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft“ in Ilfeld (Thüringen). Sein Freund Wolfgang F. schickte die eigenen Kinder zum rechtsextremen „Sturmvogel-Deutscher Jugendbund“. 2016 kamen vier der mutmaßlich Beschuldigten im Dorf Edendorf (Landkreis Uelzen) zusammen.
Völkische Familien feierten dort mit Gleichgesinnten aus ganz Deutschland ihren „Maitanz“. Eine Frau mit Stirnband und langem Rock stieg aus einem Auto mit der „88“ im Kennzeichen. Sie nahm die Hand des Mannes aus Wriedel. Beide teilen bis heute eine Leidenschaft für Waffen. Der Mann, Christian G., ist Reservist. Die Frau war in der Vergangenheit liiert mit dem Anführer der inzwischen verbotenen Gruppierung „Combat 18“. 2002 fuhr sie mit dem späteren Mörder von Walter Lübcke zu einem Nazi-Aufmarsch nach Bielefeld. Den Maitanz in Edendorf feiert das Paar gemeinsam mit Jens G. und Wolfgang F., der zum Tanz aufspielt.
Bis zu den Ermittlungen leitete G. Schießtrainings und Übungswochenenden mit Sanitäts-, Absicherungs- und Orientierungsinhalten. Für den „Heimatschutz“ bildete der Zimmermann auch Zivilisten an Waffen aus. In seiner Freizeit besuchte er Militärfahrzeugtreffen in Munster, war „Hobbykommandant“ im Panzermuseum. Bündische führte er durch das Museum.
Die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft wies G. gegenüber „Kontraste“ zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis