Ermittlungen gegen Polizei eingestellt: Der Rechtsstaat, zum Draufspucken
Sechseinhalb Jahre nach G20 in Hamburg bleibt Polizeigewalt komplett ungesühnt. Die letzten Ermittlungen gegen Polizisten wurden jetzt eingestellt.
S tellen Sie sich vor, Sie gehen ins Theater. Riiinngg, Vorhang geht auf, erster Akt. Auf der Bühne spielen sich Szenen der Gewalt ab. Schwarz uniformierte Bewaffnete schlagen auf Demonstrant*innen ein. Letztere sind wütend auf die Staatschef*innen der 20 mächtigsten Industriestaaten, zünden Barrikaden an, plündern Läden, schmeißen Dinge in Richtung der Uniformierten. Diese schlagen mit Knüppeln auf die Unbewaffneten ein, kesseln sie ein, nehmen sie fest. Viele Demonstrant*innen werden verletzt, teilweise schwer.
Pause. Sie haben eigentlich gar keinen Bock mehr auf den nächsten Akt, kippen aber einen Sekt, würgen sich eine Brezel rein und setzen sich wieder hin. Zweiter Akt. Auf der Bühne: Ein Gerichtssaal. Angeklagt sind mehrere Demonstrant*innen und mehrere Uniformierte. Den Demonstrant*innen wird Landfriedensbruch vorgeworfen. Sie sollen für Sachschäden haftbar gemacht werden, obwohl ihnen teilweise keine konkreten Taten zur Last gelegt werden. Das scheint egal zu sein. Viele bekommen Haftstrafen von mehreren Jahren.
Den Uniformierten wird Körperverletzung im Amt vorgeworfen. Ihre Verhandlungen spielen vor der Tür des Gerichtssaals, denn zur Verhandlung kommt es bei ihnen gar nicht. An einem Tisch sitzen Uniformierte und ermitteln gegen die eigenen Kolleg*innen, daneben sitzt die Staatsanwaltschaft und nickt alles ab. Alle Vorwürfe werden eingestellt. Nur einer nicht, da soll ein Uniformierter einen anderen Uniformierten am kleinen Finger verletzt haben. Der Beamte bekommt eine Verwarnung. In Ihrem Theatersessel rollen Sie genervt mit den Augen und gucken zu Ihrer Begleitung hinüber, die schon seit Längerem unter ihrem Mantel am Handy daddelt. „Sooo unrealistisch“, murmeln Sie.
Gefallen an der Gewalt
Endlich, der Vorhang geht zu, das Stück ist zu Ende. Sie sind erlöst. „Was für ein Kackstück!“, sagen Sie zu Ihrer Begleitung. Sie wollen Ihr Geld zurück haben und nehmen sich vor, erst mal nicht mehr ins Theater zu gehen. Ist doch scheiße sowas. Sie gucken noch mal auf das teure Ticket und ärgern sich, als Sie den Titel wieder lesen. „Rechtsstaat“, heißt das Stück. Sie schmeißen es auf den Boden und spucken drauf.
Sechseinhalb Jahre ist der G20-Gipfel in Hamburg jetzt her. Vor einigen Tagen stellte die Staatsanwaltschaft die letzten Ermittlungen gegen Polizeibeamt*innen wegen Körperverletzung im Amt und Nötigung ein. Bei dem letzten Fall ging es um drei Polizisten einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, die beschuldigt waren, einer Demonstrantin, die nichts getan hatte, das Wadenbein gebrochen zu haben. Sie war Tänzerin gewesen.
Die Hamburger Morgenpost zitiert aus den Akten des Falls: In internen Chats der Einheit hätten die Beamten damit angegeben, wie brutal sie gegen die G20-Gegner*innen vorgegangen waren. Die Staatsanwaltschaft bescheinigte einem der Beschuldigten eine „hochproblematische Dienstauffassung“. Er habe „Gefallen an der Gewalt gefunden“. Dann stellte sie die Ermittlungen ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen