Ermittlungen gegen Chiles Präsidenten: Pandora Papers fachen Proteste an
Zwei Jahre ist der Beginn der Massenproteste in Chile her – viele Forderungen sind bis heute aktuell. Präsident Piñera droht nun eine Verfassungsklage.
Der Protest richtet sich aber nicht nur gegen den konservativen Präsidenten Sebastián Piñera, sondern ähnelt auch einem Fest zum zweiten Jahrestag der sozialen Revolte vom 18. Oktober 2019.
Die Massenproteste erreichten die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung, um das alte Grundgesetz aus der Diktaturzeit zu ersetzen. Aber die Regierung von Piñera, einem der unbeliebtesten Regierungschefs Lateinamerikas, hält sich noch im Amt. Ändern soll das eine Verfassungsklage gegen ihn, die Oppositionspolitiker*innen vor kurzem eingereicht haben.
Der Auslöser: Piñeras Name tauchte kürzlich in den Pandora Papers auf, einem Datenleak, mit dem investigative Journalist*innen geheime Geschäfte von Politiker*innen, Milliardär*innen und Prominenten in Steueroasen aufgedeckt haben.
Interessenskonflikt bei Bergbauprojekt
Es geht um das umstrittene Bergbauprojekt Dominga. Zu Beginn seiner ersten Amtszeit 2010 war Piñera Hauptaktionär des Projekts. Im Dezember 2010 verkaufte er seine Aktien an seinen Schulfreund Carlos Alberto Délano für 152 Millionen US-Dollar. Ein Teil dieser Transaktion fand in den britischen Virgin Islands statt, einer Steueroase in der Karibik.
Der Betrag wurde in drei Raten bezahlt. Bei ihren Pandora-Recherchen deckten chilenische Journalist*innen auf, dass die letzte Ratenzahlung an eine Bedingung geknüpft war: dass keine Umweltauflagen die Durchführung des Projekts behindern sollten – ein Interessenkonflikt für den Präsidenten.
Umweltorganisationen fordern seit 2004, die Küstenregion um die Gemeinde La Higuera, in der das Eisen- und Kupferbergwerk entstehen soll, zum Naturschutzgebiet zu erklären. Denn dort ist einer der wichtigsten Biodiversitäts-Hotspots der Welt: Wale, Delfine und Pinguine sind dort zu Hause.
Piñera hat das Dekret für die Errichtung des Naturschutzgebiets nie unterzeichnet, sein Schulfreund zahlte die letzte Rate und im August dieses Jahres gab die staatliche Umweltbehörde grünes Licht für das Bergbauprojekt. Der Präsident bestreitet die Vorwürfe – er habe vom Verkauf seiner Aktien nichts gewusst.
Stimmen der Regierung nötig
Die chilenische Staatsanwaltschaft hat inzwischen Ermittlungen wegen des Verdachts auf Bestechung, Korruption und Steuerhinterziehung gegen Piñera eingeleitet. Die Verfassungsklage, die ihn seines Amtes entheben könnte, muss aber noch von beiden Kammern des Parlaments gebilligt werden, im Senat sogar mit einer Zweidrittelmehrheit, was Stimmen aus der Regierungskoalition voraussetzt.
Piñeras nur noch wenige in seiner rechten Regierungskoalition Chile Vamos verbleibenden Unterstützer kritisieren, dass die Verfassungsklage die politische Stabilität des Landes gefährde. Der Oppositionsabgeordnete Tomás Hirsch argumentiert hingegen: „Die größte Instabilität verursacht der Präsident, der seine eigenen Geschäfte begünstigt und außerhalb der Verfassung und der Gesetze handelt.“
Piñera ist laut dem Forbes-Magazin mit einem geschätzten Vermögen von 2,7 Milliarden Dollar einer der fünf reichsten Chilen*innen und einer der reichsten aktiven Politiker*innen der Welt. Er wurde mit der Vermarktung von Kreditkarten reich. Zwischenzeitlich besaß er auch eine Fluggesellschaft, einen Fernsehsender und einen Fußballverein.
Es ist bereits das zweite Mal, dass Piñera eine Verfassungsklage bevorsteht. Die erste reichte die Opposition im November 2019 ein, um ihn für die Menschenrechtsverletzungen bei den Massenprotesten zur Verantwortung zu ziehen. Die Klage scheiterte an fehlenden Stimmen aus den Regierungsparteien.
Geringe Zustimmung für Piñera
Die Proteste im Rahmen der sozialen Revolte 2019 und 2020 waren die größten der letzten 30 Jahre. Mehr als 30 Menschen kamen ums Leben, Hunderte erlitten Augenverletzungen durch Schrotschüsse der Polizei, Zehntausende wurden verletzt.
Piñera regiert seit zwei Jahren mit extrem niedrigen Zustimmungswerten von um die 15 Prozent. Kein anderer Präsident Chiles war seit der Rückkehr zur Demokratie 1990 in der Bevölkerung so unbeliebt.
Auch wenn ihm nur noch wenige Monate im Amt verbleiben – im November sind Präsidentschaftswahlen und im März steht der Amtswechsel an –, erhoffen sich viele durch die Verfassungsklage etwas Gerechtigkeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen