Erlebniswelt Freibad: Bahnen ziehen zwischen Brüsten
Absurdes Theater, regulierte Anarchie und soziologisches Brennglas – unsere Autorin findet: Der Zustand Freibad muss unbedingt verteidigt werden.
E ingeschnürt in einen neuen Sportbadeanzug laufe ich durchs berühmte Kreuzberger Prinzenbad. Es riecht nach Schwüle, Stress und Kinderkacke. Zwei Jungs oben ohne – einer mit flacher Brust und einer mit ordentlich Brustdrüsengewebe – gehen direkt vor mir zum Becken.
Ist die Kreuzung meines und ihres Weges Murphy’s Law? Versuche ich zum Zwecke der Überholung in die Lücke zwischen ihnen vorzurücken, führen sie ihre Wegstrecke enger. Setze ich zum großen Bogen an, vergrößern sie die Lücke.
Am Becken angekommen, verschaffen wir uns einen Überblick. Während ich nach der Bahn suche, auf der am wenigsten los ist, unterstelle ich den beiden, nach hübschen Mädchen zu schauen.
Nach ein paar Bahnen merke ich, dass mir ein Hinterherschwimmer mehrfach in die Beine greift. Ich stoppe, dreh mich um und schimpfe: „Es reicht jetzt, du Idiot!“ Ich sehe in ein typisches Schwimmergesicht: stumpf-doofer Blick hinter getönter Schwimmbrille und offen stehender Mund. Aus dem Mund kommt nichts, die Person wechselt kurzerhand Bahn und Richtung und pflügt technisch stark mangelhaft und hyperaggressiv davon. „Vollarsch“, schimpfe ich.
Nach der Person mit den wippenden Brüsten fahnden
Als mir die Person auf der Rückrunde entgegenschwimmt – ich erkenne den aggressiv-mangelhaften Stil – erblicke ich wippende Brüste. Einer der Jungs von vorhin? Nein! Form und Größe der Brüste sind eindeutig weiblicher.
Ich hänge lässig am Beckenrand und versuche, die Person mit den wippenden Brüsten zu finden. Als ich sie entdecke, sehe ich: Badehose Typ Frau, restliche Figur auch – die schwimmt einfach oben ohne. Stimmt, das darf ja jetzt jeder. Da sehe ich die beiden Jungs von vorhin. Sie streichen ums Becken. Ich glaube, sie machen das gleiche wie ich: nach der Person mit den wippenden Brüsten fahnden.
Inzwischen stehen noch mehr Männer mit unbedeckten Brüsten am Beckenrand. Dazwischen tummeln sich Männer, deren Brüste von roten Shirts bedeckt sind. Sie haben Walkie-Talkies und erklären den Männern mit unbedeckten Brüsten Dinge.
Als ich Richtung Umkleidekabine gehe, geht eine Frau mit unbedeckten Brüsten an mir vorbei. Die Männer oben ohne starren sie an. Ich auch. Sie geht schwimmen, die Männer oben ohne glotzen ihr hinterher. Ich glotze die Männer an und sehe neue Männer mit bedeckten Brüsten kommen. Sie tragen weiße T-Shirts und lassen ihre prallen Oberarme aufblitzen, als wären es Springmesser.
Die Atmosphäre im Bad ist schwüler als das Wetter. Alle scheinen ständig damit zu rechnen, dass irgendwas hochgeht, eskaliert, irgendwer beschützt, gerettet oder von etwas abgehalten werden muss. Oder bilde ich mir das nur ein? Bin ich von der hyperventilierenden Berichterstattung über Schlägereien im Freibad geblendet?
Mitgutschs Wimmelbilder brauchen ein Update
In der Dusche höre ich, wie eine Mutter ihren kleinen Kindern den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur erläutert. Und an den Fahrradständern schnappe ich auf, wie ein Vater seinen Sohn fragt: „Weißt du, was ein KZ ist?“
Absurdes Theater, regulierte Anarchie und soziologisches Brennglas – der Zustand Freibad muss unbedingt verteidigt werden. Ali Mitgutschs Freibad-Wimmelbilder aber brauchen ein Update: Mehr unbedeckte Brüste, Walkie-Talkies, Videokameras und Polizeipatrouillen. Letzteres fordern Polizeigewerkschaft und Schwimmmeisterverband.
Die abschreckende Wirkung, die das haben soll, könnte das Ende des Freibads sein. Unter Polizeiaufsicht Pommes essen, Kinder nass spritzen und Kampfschwimmer anbrüllen – das wünschen sich nur Leute, die aus dem Freibad eine Gated Community machen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Greenpeace-Vorschlag
Milliardärssteuer für den Klimaschutz
Katja Wolf über die Brombeer-Koalition
„Ich musste mich nicht gegen Sahra Wagenknecht durchsetzen“
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen