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Erkenntnisse zu Geflüchteten in EuropaAufsteiger rein

Eine UN-Studie über Geflüchtete aus Afrika zeigt: Es ist trügerisch, wenn Politik behauptet, gegen Migration helfe Armutsbekämpfung.

Ein Geflüchteter arbeitet in einer Lernwerkstatt in München Foto: dpa

BERLIN taz | „Afrikas Beste kommen“ war am Montag auf Spiegel online zu lesen. Gemeint war: Viele jener, die auf Booten das Mittelmeer überqueren, sind keineswegs die Allerärmsten ihrer Heimatländer. Das UN-Entwicklungsprogramm UNDP hat fast 2.000 in Europa lebende AfrikanerInnen befragt. Das Ergebnis: Im Schnitt wurden sie mindestens drei Jahre länger ausgebildet als Gleichaltrige in ihren Herkunftsländern. Und während der Durchschnittsverdienst dort bei 160 US-Dollar im Monat liegt, verdienten die Auswanderer im Schnitt 260 US-Dollar.

Das Phänomen ist lange bekannt. Sieht man von Kriegs- und Diktaturflüchtlingen ab, dann ist es vor allem ein – sehr kleiner – Teil der unteren Mittelschicht, der sich irregulär, also ohne Visum, auf den Weg nach Europa macht.

4.250 Dollar haben die von der UN Befragten im Schnitt für die Reise bezahlt. Extrem Arme können das nicht aufbringen. Die Mittelschicht wiederum hat definitionsgemäß ein Einkommen von mindestens zehn Dollar pro Tag und entsprechend wenig Anlass, die lebensgefährliche Reise auf sich zu nehmen. Und die Oberschicht kann mit Visum und Flugzeug reisen, wenn sie will.

Für die untere Mittelschicht aber gilt all das nicht. Die ankommenden AfrikanerInnen in Spanien und Italien sind Menschen, die zuvor in größeren Städten lebten (unter den Befragten: 85 Prozent), eine weiterführende Schule (43 Prozent) oder Universität (acht Prozent) besuchten oder eine formale Berufsausbildung sechs Prozent) absolvierten.

Was die Menschen aufhält? Nichts.

Das Problem: In Afrika reicht das nicht automatisch für ein gutes Leben. Viele afrikanische Volkswirtschaften wachsen schnell, aber nicht schnell genug für alle. Für manche ist sozialer Aufstieg zwar in Sicht – aber eben nicht greifbar.

Verstärkt wird die Auswanderungsneigung durch fehlende Freiheit und Korruption in vielen Staaten. Über die Hälfte der von der UN-Befragten gaben an, dass die Reise nach Europa schlimmer als erwartet war. Auf die Frage, was sie von dieser Reise hätte abhalten können, war die häufigste Antwort aber: „nichts“.

Das Ergebnis der UN-Studie ist mehr als die Korrektur eines falschen Klischees. Es ist auch nicht nur eine gute Nachricht für jene, die mit Migration pragmatisch umgehen wollen und daraus – zutreffend – schließen, dass die, die kommen, für den europäischen Arbeitsmarkt ganz brauchbar sind. Es zeigt vor allem, wie trügerisch es ist, wenn Politik den Leuten einredet, gegen die Migration sei ein Kraut gewachsen und das heiße Entwicklungshilfe.

Denn diese wird zur Zeit immer mehr in den Dienst der Innenminister gestellt. Wenn wir uns anstrengen und den Armen helfen, weniger arm zu sein, bleiben sie zu Hause – das ist das Versprechen einer zweckentfremdeten Armutsbekämpfung. Ihr Grundgedanke findet sich gleichermaßen im „Marshallplan mit Afrika“ von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), den „Afrikapolitischen Leitlinien“ der Bundesregierung, dem „Nachbarschaftsrahmen mit Afrika“ der EU oder in Positionspapieren zur Migration von der Linken bis zur FDP.

Alles wird gut. Es dauert nur noch

Migration stagniert erst, wenn ein bestimmtes Durch­schnittseinkommen erreicht ist

Doch falls Entwicklungszusammenarbeit in dem Sinne erfolgreich ist, dass mehr Menschen aus extremer Armut befreit werden, dann wächst genau jenes gesellschaftliche Segment, aus dem sich irreguläre ArbeitsmigrantInnen rekrutieren. Mehr Familien sind in der Lage, einzelnen ihrer Angehörigen, die im Land keine Arbeit finden, die Reise zu bezahlen. In der Forschung spricht man vom Migration Hump, dem „Migrationsbuckel“: Steigt das Einkommen in einer Region, steigt erst einmal auch die Migration – ein Prozess, der etwa auch in Osteuropa zu beobachten war.

Diese Erkenntnis spricht überhaupt nicht dagegen, Armen zu helfen. Es spricht aber dagegen, den Leuten hierzulande zu versprechen, dass man unerwünschte Zuwanderung so abwürgen könne.

Man wird sich damit arrangieren, dass weiter Menschen kommen, auch von dort, wo die Armut zurückgeht. Migration stagniert erst dann – etwa auf einem Niveau, wie wir es in der EU kennen –, wenn ein bestimmtes Durchschnittseinkommen erreicht ist, von dem man halbwegs leben kann. Das wird auch in Afrika der Fall sein. Es dauert aber noch eine Weile.

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14 Kommentare

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  • Wir haben das Privileg zu reisen, Durch die ganze Welt. Wir glauben, dass uns das zugesteht. Wieso? Ich mache Urlaub in Mali, Ghana, Uganda,... Aber können meine Freunde und Familien auch zu mir nach Deutschland kommen? Nur für einen 2-wöchigen Urlaub? No way! Impossible! Wir nehmen uns in dieser Welt Rechte heraus, die wir anderen aber nicht zugestehen. Mit welcher Begründung? Wenn ein Mensch reisen möchte, seine/ihre Entwicklungsmöglichkeiten in einem anderen Land sucht - auch in Europa- warum verweigern wir das, wo wir selber doch davon ausgehen, in die ganze Welt "jetten" zu dürfen.

    • @Henni:

      Das sind keine Rechte. Das ist die bilaterale Wertschätzung anderer Staaten für unsere Pässe, basierend vermutlich auf unserer Wirtschaftskraft und dem außenpolitischen Gewicht unseres Staates. Es steht jedem afrikanischen Staat frei die Visa an deutsche Staatsbürger mit scharfen Restriktionen zu versehen.

  • "Mehr Familien sind in der Lage, einzelnen ihrer Angehörigen, die im Land keine Arbeit finden, die Reise zu bezahlen".



    Und sich solidarisch zeigen mit ihren Brüdern und Schwestern um das Land aufzubauen ist keine Option? Gegen ihre korrupten Herrscher mit westlicher Unterstützung aufzubegehren ist kein Ziel für das es sich lohnt zu kämpfen?



    Müssen wir uns nicht alle in Anbetracht von Klima- und Umweltkrise darüber klar werden, dass die Zeiten von immerwährendem Wachstum und Reichtum für die oberen Zehntausend endgültig und für alle Zeiten vorbei sein müssen.



    Um die Probleme in den Griff zu bekommen, müssen wir weltweit radikal umverteilen und überall ein Höchst- und Grundeinkommen einführen. Wer sich dann noch ohne Arbeit nutzlos fühlt, kann sich ja Beschäftigung suchen. Dafür müssen aber die Menschen nicht über den halben Globus irren, ihr Leben riskieren um dann hier vom Kapital ausgebeutet zu werden.



    Ich vermisse neue Zukunftsvisionen. Bitte nicht immer die alten, abgelutschten Stanzen. Wegen meiner hier geäußerten Vision bin ich auch nicht bereit zum Arzt zu gehen. Punkt.

    • @APO Pluto:

      Sie sollten eines nicht unterschätzen: das Geld, das die Migranten aus Europa an ihre Familien schicken, ist ein wichtiger Entwicklungsfsktor. Es ist nicht nur mehr, als die internationale Entwicklungshilfe aufwendet, es kommt auch direkt bei den Familien an, ohne auf Umwegen über Bürokratie, Entwicklungsprojekte, die nicht immer zielführend sind, korrupte Funktionäre zu versickern. Mit dem Geld wird zum Beispiel jüngeren Geschwistern der Schulbesuch länger ermöglicht, es können damit kleine Betriebe gegründet, gerettet, unterstützt werden. Die Migranten sind oft die ältesten Söhne, die sehr wohl solidarisch mit ihren Brüdern und Schwerstern sind, mehr, als Sie sich das vielleicht vorstellen können. Ohne Geld baut man kein Land auf - durch Arbeitsmigration kann dieses Geld beschafft werden.

      • @Kolyma:

        Das Geld wird für Parties und Statuskonsum zum Fenster rausgeschmissen.

      • @Kolyma:

        Teil 2



        Ich gebe hier mal aus einem Buch über die Münchener Räterepublik ein paar Zeilen wieder. Auf Wunsch kann ich den Titel dieses sehr interessanten Buches nachreichen:



        All diese politischen Zerwürfnisse machen auch das Leben in der Festungshaft immer schwieriger. Beim gemeinsamen Essen der Gefangenen entbrennen erbitterte politische Diskussionen. Diejenigen, die, wie Ernst, nicht glauben, dass eine neue Revolution bereits vor der Tür steht, werden als Verräter, Kleinbürger oder Konterrevolutionäre tituliert. Jenseits der Gefängnismauern streitet die deutsche Arbeiterbewegung, die Parteien und Organisationen spalten sich wieder und wieder. Dasselbe wiederholt sich diesseits der Mauern. Es bilden sich Splittergruppen, die einander verfolgen, verleumden, verprügeln. Eine kommunistische Gruppe verbietet ihren Mitgliedern, mit Angehörigen der anderen kommunistischen Gruppe zu sprechen.“Der Hass ist umso größer, je mehr Gemeinsames sie haben“, notiert Ernst.



        Mich erinnert das sehr stark an die heutigen Zustände. Wenn die linken Parteien jetzt nichts Gemeinsames zustande bringen, sehe ich schwarz,

      • @Kolyma:

        Teil 1



        Ich habe auf Change.org eine Petition eingestellt, die genau das fordert, was sie hier beschreiben. Auch ich will nicht, das die Hilfsgelder vorher durch die klebrigen Hände von Kleptomanen gleiten. Da müssen sich aber Menschen nicht auf eine lebensgefährliche Reise begeben und ihr Leben riskieren nur um eine mies bezahlte Arbeitsstelle zu bekommen. Familien werden da auch nicht auseinander gerissen. Das scheint mir eine Alternative zu sein, über die man ruhig mal nachdenken sollte.So wird auch nicht das kapitalistische System mit Humankapital bedient.



        Ich habe übrigens SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen auf Bundes- wie auf Landesebene angeschrieben und um Unterstützung gebeten, Resonanz gleich Null. Meine Mail an die Antikapitalistische Linke wurde laut Rückmeldung nicht weitergeleitet. Meine Nachfrage, ob es dafür inhaltliche Gründe gebe, wurde nicht beantwortet. Die Linke plant ja jetzt eine Strategiediskussion, an neue Ideen ist sie da aber nicht interessiert.

    • RS
      Ria Sauter
      @APO Pluto:

      Das wäre der richtige Weg.



      Leider wird das wohl eine Vision bleiben.

  • Die Studie zeigt, was man vorher schon wusste: Es kommen nicht die Ärmsten, und eine Verbesserung der Einkommensverhältnisse verringert nicht die Migration. Aus der Studie geht noch etwas hervor, was man aber ebenfalls vorher schon wissen konnte: Die immer wieder kolportierte Behauptung, dass "Klimaflüchtlinge" nach Europa kämen, ist ein Märchen. Die im verlinkten Spiegel-Artikel gelisteten Auswanderungsgründe, die von den Befragten genannt wurden, haben mit dem Klima und seinem Wandel jedenfalls nichts zu tun.

  • Wenn die Oberschicht mit Flugzeug und Visum reisen könnte, bleibt die Frage, warum die Mittelschicht das nicht auch macht. Für 4250$ sollte man auch einen Hin- und Rückflug bekommen. Die meisten haben irgendwelche Verwandten in Europa, deren Besuch als Reisegrund ausreichen könnte.

    • @fly:

      Dubai hat sich zu einem internationalen Messezentrum entwickelt? Warum?



      Selbst für afrikanische Geschäftsleute, die obere Mittelklasse, ist es kaum möglich ein Visum für Europa zu bekommen. Dubai hat die Marktlücke erkannt.

    • @fly:

      Verwandte in Europa zu haben reicht nicht für ein Visum. Der Sohn von einen Freund von mir arbeitet in einer Bank als stellvertretender Filialleiter in Abidjan / Elfenbeinküste. Er bekam 2007 kein Visum für Deutschland um seinen Vater zu besuchen. Begründung war, dass sie davon ausgehen das er nicht zurückkehren wird. 2008 hat es dann geklappt weil ein Bekannter mit sehr hohen Einkommen eine Bürgschaft übernahm. Ein normales Durchschnittseinkommen reicht nicht für eine Bürgschaft. Man kommt nur mit Geld legal rein.

      • @Andreas J:

        Weil sonst der Anreiz zu groß wäre einfach dazubleiben.

      • @Andreas J:

        Ups: 2017 und 2018