Erinnerungskultur bei Instagram: Likes für den Holocaust
Der Instagram-Kanal „eva.stories“ erzählt die Geschichte einer 13-jährigen Jüdin, die in Auschwitz ermordet wurde. Das Projekt ist umstritten.
„Hallo, ich heiße Eva. Willkommen auf meiner Seite. Folgt mir für random Gedanken, Verliebtsein und meine #BFFs.“ Auf den ersten Blick liest sich der Instagram-Account „eva.stories“ wie einer von tausenden Teenager*Innen. Doch dann kommt alles anders: Statt vom schönen Leben erzählt die aus Ungarn stammende Eva von den wenigen Monaten zwischen dem Einmarsch der Wehrmacht in Ungarn und ihrer eigenen Deportation nach Auschwitz.
Es ist der 15. Februar 1944, Evas 13. Geburtstag. Im roten Kleid hüpft sie glücklich durch den Park, isst Eis mit ihrem Cousin und tanzt mit ihren besten Freundinnen im Innenhof. Doch ein Ereignis erschüttert ihren Geburtstag: Soldaten haben ihre Cousine und deren Eltern nach Polen gebracht (#lifeduringwar). Zwischen den Gesprächen mit ihren Großeltern kommen kurze Videos einer Rede von Hitler. Dazu schreibt sie: „I hate him so much. I wish he would die.“ (dt. „Ich hasse ihn so sehr. Ich wünschte, er würde sterben.“) Die Story endet mit einer schlaflosen Eva im Bett. Ein neuer Tag – und damit eine neue Story – beginnt.
Das Social-Media-Projekt „eva.Stories“ soll eine neue Form des Gedenkens an den Holocaust darstellen. Ab dem 1. Mai, dem nationalen Holocaust-Gedenktag in Israel, bis Donnerstag Mittag wurden über 100 mehrsekündige Videos hochgeladen.
In englischer Sprache und mit hebräischen Untertitel wird aus Evas Perspektive von den Verbrechen der NS-Zeit und der Verfolgung der Jüd*innen erzählt. Sie beruhen auf den Tagebüchern der ungarischen Jüdin Éva Heyman, die von Nazis ermordet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Tagebuch des Teenagers von deren Mutter entdeckt und veröffentlicht.
Das Mädchen mit dem Smartphone
Verantwortlich für die Verfilmung, in der Eva von der britischen Schauspielerin Mia Quiney verkörpert wird, sind der milliardenschwere israelische Unternehmer Mati Kochavi und seine Tochter Maya Kochavi. Sie haben laut eigenen Aussagen mehrere Millionen Dollar investiert, um die Geschichte für ein junges Publikum aufzubereiten. Mit hunderten Menschen hinter der Kamera und gut 20 Schauspieler*innen vor der Kamera wurde die Erzählung komplett mit dem Smartphone aufgenommen; ein Großteil der Szenen wurde in der Ukraine gedreht.
Ausgangspunkt für die Videos war die Frage: „What If A Girl In The Holocaust Had Instagram?“ (dt. „Was wären, wenn ein Mädchen im Holocaust, Instagram gehabt hätte). Gäbe es statt Einträgen im Tagebuch kurze mit dem Smartphone gefilmte Stories von Deportationen? So stellen es sich zumindest die beiden Schöpfer*innen vor.
Instagram sehen sie als wirksames Plattform, um an den Holocaust zu erinnern. So sagte Mati Kochavi im offiziellen Pressestatement: „Im digitalen Zeitalter, in der die Aufmerksamkeitsspanne sinkt und die Erregungsschwelle steigt und vor dem Hintergrund der immer kleiner werdenden Zahl Überlebender, besteht ein enormer Bedarf an neuen Erinnerungs- und Zeugnismodellen.“
Schon vor dem Start hat das Projekt große Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Am Mittwochmorgen als auf dem Profil nur ein Trailer und das Profilfoto zu sehen waren, hatte der Instagram-Kanal schon über 300.000 Follower*innen. Das liegt wohl auch an der groß aufgefahrenen Werbekampagne. Die Kochavis ließen große Werbebanner in Israel aufhängen und neben vielen Influencer*innen warb auch Premierminister Benjamin Nethanyahu am vergangenen Montag mit einem Video bei Twitter für „eva.stories“.
Die richtige Plattform für Gedenken?
Doch nicht alle beantworten die Fragen, ob Instagram eine geeignete Plattform für Erinnerungskultur ist, mit einem so entschiedenen Ja wie Nethanyahu. Neben einer Vielzahl an positiven Stimmen, äußern sich Nutzer*innen in sozialen Medien auch kritisch. Durch die für Instagram typische Aufmachung mit GIFs, Umfragen und Emojis sehen sie den Holocaust verharmlost.
Der Lehrer Yuval Mendelson schreibt in einem Gastkommentar für die israelische Tageszeitung Haaretz, er befürchte die negativen Auswirkungen des Social-Media-Projekts: „Der Weg von ‚eva.stories‘ zu Menschen die Selfies vor dem Eingang in Auschwitz machen, ist kurz.“
Doch auch das genaue Gegenteil könnte die Geschichte von Eva bewirken. Menschen die Selfies in KZ-Gedenkstätten oder beim Holocaust-Mahnmal in Berlin machen und diese mit geschmacklosen Hashtags bei Instagram hochladen, gibt es schon seit geraumer Zeit. Vielleicht vermittelt „eva.stories“ gerade denjenigen das nötige Hintergrundwissen, um solches Verhalten zu hinterfragen und künftig sein zu lassen.
Die Holocaust‐Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem äußerte sich in einem Statement positiv zu der Idee von „eva.stories“. Die Vertreter*innen der Gedenkstätte findet den Einsatz von Sozialen Medien legitim und effektiv, um an den Holocaust zu erinnern.
Aufmerksamkeit ist da
Effektiv ist er vor allem deswegen, weil mit Instagram ein Publikum erreicht werden kann, was viele klassische Medien nicht mehr erreichen. Doch durch die Gegebenheiten der App, eröffnen sich auch neue Probleme: Im Gegensatz zu einem Film fällt es mit nur höchstens 10 Sekunden langen Videos schwer, eine stringente Geschichte zu erzählen, die verständlich ist und in den Köpfen hängen bleibt. Auch bei Evas Geschichte wünscht man sich eine längere Vorstellung der Personen und zu Beginn eine zeitliche Einordnung, um die Geschichte besser verstehen zu können. War es doch das Ziel der Macher*innen, denjenigen Wissen über den Holocaust zu vermitteln, die kein Vorwissen mitbringen.
Aufmerksamkeit haben die Kovachies mit „eva.stories“ in jedem Fall erreicht. Bis Donnerstag Nachmittag haben knapp 900.000 Menschen den Account abonniert, zahlreiche internationale Medien berichten über die Geschichte und in den Sozialen Medien wird kontrovers debattiert. Welche langfristigen positiven wie negativen Auswirkungen die Instagram-Stories haben, lässt sich nicht sofort ablesen – das ist allerdings bei Büchern, Ausstellungen und Gedenkfeiern meist nicht anders.
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