Erholung auch für Kleinste: Kinder brauchen Kita-Urlaub
Hamburger Wohlfahrtsverband beklagt einen Trend: Immer öfter lassen Eltern ihre Kinder in den Ferien in der Kita – das aber sei wie Arbeit
Die sechs Wochen Schulferien, die in Hamburg gerade begonnen haben, sind klar vorgegeben. Bei den 1.150 Kitas der Stadt ist es etwas komplizierter. Bis zu vier Wochen im Jahr darf ein Haus schließen, so steht es im Landesrahmenvertrag. Doch es muss für Eltern, die ihre Kinder nicht betreuen können, „Notgruppen“ geben. Diese können auch aus mehreren Kitas der Umgebung gemeinsam gebildet werden.
Die Kita von Elke Schmidt, die ihren wirklichen Namen nicht in der Zeitung lesen will, hat für diesen Sommer so eine Notgruppe eingerichtet. Und dort hätten auch nicht nur Berufstätige ihre Kinder angemeldet, sondern auch Eltern, die zu Hause sind und etwas anderes vorhaben, als Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.
Nicht mal mit zum Einkaufen
Doch das Recht auf Ferien muss auch für Kinder gelten, sagt Schmidt. „In der Kita müssen sie sich immer an Regeln halten, immer pünktlich sein.“ Zu Hause könnten die Kinder auch mal nicht auf die Uhr gucken, mit den Eltern zum Spielplatz oder einfach einkaufen gehen. „Das wird heute alles ohne die Kinder erledigt“, sagt die Erzieherin. „Für die Eltern sind wir Kitas die Dienstleister, die alles für die Kinder machen.“
Hinzu komme, dass der Wechsel in die Notgruppe mit anderen Erziehern und Kindern in fremder Umgebung für die Kleinen „Stress“ bedeute. Die Stadt richte die Politik nur auf die Eltern aus. „Den Blickwinkel der Kinder hat man verloren“, sagt Schmidt.
Schmidts Kita ist eine von rund 200, die beim Alternativen Wohlfahrtsverband Soal Mitglied sind. Der richtete jetzt einen Urlaubs-Appell an die Eltern: Jene 20 Tage Urlaub, auf die jeder Arbeitnehmer mindestens Anspruch habe, stünden auch den Kindern zu. Denn Kitas seien auch Bildungseinrichtungen. „Urlaub von der Kita“ sei wichtig „um das Erlebte und Erlernte zu verarbeiten“. Der Kita-Gutschein sichere zwar das Recht auf ganzjährige Betreuung, sei aber kein „Kinder-Abgabe-Schein“. Darauf sollten Eltern bei ihrer Ferienplanung achten.
„Wir haben aus der Fachberatung den Eindruck, dass Eltern die Kita zunehmend nur als Dienstleistung sehen“, ergänzt Soal-Geschäftsführerin Sabine Kümmerle. „Manche Eltern haben den Eindruck, Urlaub kann nichts anderes sein als verreisen.“ Doch auch die Zeit der Kinder mit der Familie im überschaubaren Umfeld sei „wichtig“.
Auch dem Hamburger Landeselternausschuss (LEA) ist das Thema bekannt. „Leider gibt es dies“, sagt LEA-Vorstandsmitglied Michael Thierbach der taz. Einige Eltern ließen ihre Kinder „Vollzeit“ in der Kita, während sie teilweise sogar selbst in Urlaub führen, und „Oma oder Opa die Enkel weiterhin zur Kita bringen“, so Thierbach. Ob dies zunehme, lasse sich für den LEA nicht beurteilen, da müsse man den Verbänden glauben. Grundsätzlich sollte jedes Kind eine Kita-Auszeit haben. Wünschenswert, aber nicht immer mit der Lebensrealität vereinbar, wären „zwei, drei Wochen am Stück“.
Größter Träger setzt auf Gespräche
Sozialbehördensprecher Oliver Klessmann sagt, die von Soal beschriebene Situation sei der Trägerberatung im Haus „in Einzelfällen bekannt“. Auch er sagt, die tatsächliche Häufigkeit könne man dort nicht abschätzen. „Ob von einem Trend gesprochen werden kann, ist daher fraglich“, so Klessmann. Sinnvoll erscheine, dass in Fällen, in denen Eltern ihren Kindern keine Ferien von der Kita gewähren, die Erzieher im Gespräch nach Lösungen suchen.
Auch den Elbkinder-Kitas, Hamburgs größtem Träger, ist das Phänomen bekannt. „Da wir nur sieben einzelne Tage im Jahr schließen, erleben wir manchmal die Extremsituation, dass Kinder keinen einzigen Öffnungstag im Jahr zu Hause verbringen“, sagt Sprecherin Katrin Geyer. In solchen Situationen suchten die Kita-Leitungen das persönliche Gespräch. Es gebe aber auch Situationen in einer Familie, die so viele Anwesenheitstage des Kindes unausweichlich machen. Deshalb werden die Elbkinder-Kitas auch „keinen allgemeinen Appell an die Eltern veröffentlichen“, so Geyer.
„Es gibt sicher immer wieder Eltern, die ihre Kinder durchgehend in einer Kita betreut haben möchten“, sagt auch Timo Spiewak, Sprecher der Caritas. Gründe dafür könnten „Druck von Arbeitgebern oder eigene Bedürfnisse der Eltern“ sein. Diesem Trend zu entgegnen, sei auch Aufgabe einer Kita. Die meisten katholischen Kitas in Hamburg vereinbarten mit den Eltern im Betreuungsvertrag, dass es Schließzeiten gibt. Dies ermögliche auch den Mitarbeitern eine Auszeit. Auf Basis einer guten Erholung gelinge dann „der Start ins neue Kitajahr besonders gut“, sagt Spiewak.
Es gibt auch Familien, die sich Urlaub mit ihren Kindern schlicht nicht leisten könne, darauf weist Mehmet Yildiz von der Linksfraktion hin. Er schlägt vor, es sollte einen Etat geben, damit die Kitas mit diesen Kindern „Ausflüge und Reisen unternehmen können“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles