piwik no script img

Ergebnisse der U-18-WahlKlimawahl? Nicht für alle!

Bundesweit würden Jugendliche am häufigsten Grüne wählen – in Sachsen und Thüringen sieht das aber gänzlich anders aus.

Bundesweit blieb die AfD bei den U-18-Wahlen unter 6 Prozent Foto: Karsten Thielker

Berlin taz | Selbst im Kino kann man der nahenden Bundestagswahl nicht entkommen. Zumindest nicht in Berlin. Dort läuft aktuell im Vorprogramm ein Spot der Fridays for Future, die zum globalen Klimastreik am Freitag aufrufen.

Zu sehen ist eine junge Frau, die sich nach der Schule (einem Gymnasium, das wird in diesem Text noch eine Rolle spielen!) einer Klimademo anschließt. „Kohleausstieg in 17 Jahren? Es ist keine Scheißmetapher, dass ihr meine Zukunft verbrennt“, sagt eine wütende Stimme aus dem Off, während man die Schülerin über die Straße rennen und sich in den Demozug einreihen sieht. Dann kommen die entscheidenden Sätze: „Ich bin zu jung, um von diesem Land gehört zu werden, ich darf noch nicht wählen – deshalb streike ich fürs Klima.“

Im Kino war ich kurz davor zu klatschen. Aus Sympathie. Und weil mich der Spot in seiner demokratietheoretischen Stringenz berührt hat. Weil das deutsche Wahlrecht Minderjährigen verwehrt, über die Zukunft des Landes mitzuentscheiden, bleibt ihnen nichts anderes als lautstarker Protest. Der Subtext: Dürften Jugendliche nur mitmachen bei der Bundestagswahl, sie würde anders – grüner – ausfallen; mit ihren Stimmen würde die Klimapolitik endlich zur Priorität und die Erderwärmung vielleicht doch noch begrenzt. Eine Annahme, die jetzt kurz vor der Bundestagswahl nochmal bekräftigt worden ist.

Den Ausschlag dazu gibt die U18-Wahl, bei der dieses Jahr so viele Minderjährige teilgenommen haben wie nie zuvor: rund 260.000. Von ihnen haben 21 Prozent die Grünen gewählt und damit zur Wahlsiegerin vor der SPD (19,2 Prozent) und Union (16,9), FDP (12), Linken (7,5), AfD (5,9) und der Tierschutzpartei (5,7) gemacht. Oder anders formuliert: Der Spielraum für ein progressives Klimabündnis – also ohne die Union – ist bei den U18-Wähler:innen größer als bei den Erwachsenen. Zumindest, wenn man zu den rechnerisch möglichen Mehrheiten von Grün-Rot-Rot und Ampel noch Bündnisse mit der Tierschutzpartei gelten lassen möchte.

Die Grünen sind vorn, aber nicht überall

Ob ein Herabsenken des Wahlalters – wie viele Kli­ma­ak­ti­vis­t:­in­nen fordern – aber tatsächlich Einfluss auf die Regierungsbildung und letztlich die Klimapolitik hätte, ist mehr als fraglich. Allein, weil die Tierschutzpartei sicher an der Fünfprozenthürde scheitern würde und diese Stimmen also verschenkt wären. Mit mehr jungen Wäh­le­r:in­nen änderten sich also die Machtverhältnisse, aber nicht die Bündnisoptionen.

Bedenklich ist jedoch ein anderes Ergebnis der U18-Wahlen. Denn es spiegelt, wie sehr die mediale Präsenz der Fridays for Future zu einem Irrglauben verleitet: nämlich, dass Jugendliche angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise dem Klimaschutz automatisch die höchste Priorität beimessen. Von wegen! In gerade mal sechs Bundesländern haben die Grünen die meisten Stimmen geholt. Vor allem in den ostdeutschen Bundesländern fällt auf: Hier ist die AfD auch bei Kindern und Jugendlichen äußert beliebt. In Sachsen und Thüringen landet die Partei mit je rund 17 Prozent sogar auf dem ersten Platz.

Dass eine rechtspopulistische Partei so gut bei jungen Menschen ankommt, erklären So­zio­lo­g:in­nen mit den Versäumnissen bei der politischen Bildung. „Die Sachsen sind immun gegen Rechtsextremismus“, tönte Sachsens CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf während seiner Amtszeit (1990–2002) – eine historische Fehleinschätzung, wie seine Nachfolgeregierungen einsehen mussten. Spätestens seit dem ersten „Sachsen-Monitor“ 2016 war klar: Auch Menschen, die in der Demokratie groß werden, sind nicht gegen antisemitische, antimuslimische oder autoritären Einstellungen gefeit.

Was das mit der U18-Wahl zu tun hat? Leider einiges. Eine aktuelle Studie der Hochschule Magdeburg-Stendal zeigt: Die Wahlbereitschaft von Gym­na­si­as­t:in­nen (wo die Fridays for Future am meisten Un­ter­stüt­ze­r:in­nen rekrutieren) liegt deutlich höher als bei Jugendlichen, die Haupt-, Real- oder Berufsschulen besuchen. Führt man diese jedoch an politische Prozesse heran – etwa indem man Spielwahlen durchführt –, steigt die Wahlbereitschaft unter Nicht­gym­na­­­si­as­t:in­nen stark an.

2017 profitiert AfD von Nicht­wäh­le­r:in­nen

Wenn man nun berücksichtigt, dass die AfD bei der Bundestagswahl 2017 anteilig am stärksten von vormaligen Nicht­wäh­le­r:in­nen profitiert hat, könnte man schließen, Instrumente der politischen Bildung helfen letztlich womöglich der AfD, zumindest vorerst.

Leider lässt sich diese (zugegeben gewagte) These nicht anhand der U18-Wahlen untersuchen, eine Aufschlüsselung der Wahlergebnisse nach den jeweiligen Schulformen liegt nicht vor. Was jedoch in keinster Weise den Forderungen von Jugendlichen entgegensteht, schon mit 16 wählen zu dürfen. Und erst recht nicht gegen die spricht, die den Planeten retten möchten. Schließlich geht es um ihre Zukunft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Es ist schon eine gewisse Arroganz herauszuhören, wenn eine politische Richtung die Entscheidung zugunsten eigener Ziele als "politische Bildung" qualifiziert.



    Das impliziert ja, das politische Entscheidungen abhängig von Bildung, quasi "naturgesetzlich" vorgegeben seien und eine Entscheidung in andere Richtung "Un-Bildung" sei.



    Dem ist natürlich nicht so.

    • @Paul Rabe:

      "Das impliziert ja, das politische Entscheidungen abhängig von Bildung, quasi "naturgesetzlich" vorgegeben seien und eine Entscheidung in andere Richtung "Un-Bildung" sei.

      Dem ist natürlich nicht so."

      Hä? Doch. Natürlich ist dem so. Wenn man minimal Ahnung von Logik und Wissenschaft hat, erkennt man das auch selbst. Determinismus. Schlechte Entscheidungen sind sehr oft auf einen Mangel an Informationen zurückzuführen. Wenn Entscheidungsträger*innen immer alle Variablen kennen würden und die Motivation, die sie antreibt, immer Allgemeinwohl und die Reduzierung von Leid wäre, dann gäbe es auch immer nur eine optimale politische Strategie.

      "Da gibt es kein objektives "richtig" oder "falsch", es ist also auch keine Frage der Bildung."

      In der realen Lebenswelt nicht aber in der Theorie gibt es sehr wohl objektiv richtig und falsch. Wenn man jederzeit alle Variablen kennt und jede ethische Perspektive "durchdeduziert", dann findet man durchaus "objektive" Antworten. Aber man muss da eben unterscheiden zwischen der realen Lebenswelt und der Theorie. Es ist nicht so, dass es in unserer Welt kein richtig/falsch gibt sondern dass wir meistens nicht die nötigen Informationen und Perspektive haben, um etwas "objektiv" zu betrachten.

    • @Paul Rabe:

      In der realen Welt gibt es dutzende Untersuchungen, die belegen, dass die Affinität für Rechtspopulismus / Rechtsextremismus bei niedrigem Bildungsgrad überdurchschnittlich ist. Ein Beispiel unter vielen:



      de.statista.com/st...ach-bildungsstand/



      Aber das weiß eigentlich auch jeder, der sich für die Fakten interessiert.

      • 0G
        04405 (Profil gelöscht)
        @Kaboom:

        Dem hält Pia Lamberty entgegen: Diese Affinität für Populismus und Verschwörungsglaube rührt nicht aus mangelnder Intelligenz, sondern aus einem Gefühl des "Abgehängtseins". Ich würde strikter formulieren: Genau diese Arroganz treibt die Abgehängten und "Verlierer" in die Arme der Rechtspopulisten und -extremisten.

        Das ist für mich plausibel, denn es ist ja gerade die Demokratie, die sie "abgehängt" hat. Es wird mal Zeit, sich vom neo-liberalen "Aufstiegs"-Mantra (durch Bildung, durch Leistung, ...) zu lösen und lebenswerte Bedingungen für alle zu fordern.

      • @Kaboom:

        Die (von mir) unbetrittene Tatsache, daß die Affinität zu Rechtsradikalität mit dem Bildungsgrad korreliert ist ja in keinster Weise eine Art "Beweis" dafür, daß es irgendwelche "objektiven" Gründe geben könnte wieso z.B. links-liberale Vorstellungen das objektive Ergebnis von "guter Bildung" sein müssten.

        Bildung, insbesondere naturwissenschaftliche Bildung, dient ja dem Verständnis der Welt "wie sie wirklich ist".

        Politische Vorstellungen und Ziele in einer Demokratie folgen den Menschen "wie sie sind".

        Wer also z.b. mit sehr konservativen Vorstellungen erzogen wurde, für den ist eine andere Politik "richtig" als jener der linksliberal erzogen wurde.

        Da gibt es kein objektives "richtig" oder "falsch", es ist also auch keine Frage der Bildung.

  • Jetzt müsste man mal wissen, in wie weit die Jugendlichen ihren Eltern folgen. Beispiel Münsterland: bei den Jugendlichen die CDU vor den Grünen und die AFD chancenlos. Also wenig Klima und wenig Protest, viel allgemeines Milieudenken. Das dürfte leider auch in Sachsen und Thüringen so sein, die Jugendlichen sind ähnlich braun wie ihre Eltern. Vielleicht sogar ehrlicher. Politische Bildung ist natürlich immer gut und man darf auch hoffen, dass Jugendliche, sollten sie hoffentlich demnächst ab 16 mitwählen dürfen, auch verantwortungsvoller wählen, als jetzt bei fiktiven Formaten. Aber man muss auch sehen, dass an den jetzigen Probeabstimmungen eher politisch Interessierte teilnehmen. Würden wirklich alle Jugendlichen in Thüringen oder Sachsen wählen, so wäre die AFD leider wohl noch deutlich stärker als jetzt ermittelt.

  • 9G
    97627 (Profil gelöscht)

    Naja, die Grünen in Sachsen stehen nun auch nicht unbedingt für "Grünes" Abstimmungsverhalten. Man siehe z.B. www.abgeordnetenwa...aunkohlefoerderung

  • 0G
    04405 (Profil gelöscht)

    Da die Beteiligung so gering war, dürfte die Wahl wohl kaum repräsentativ sein - und trotzdem unterscheiden sich die Zustimmungswerte der "großen" Parteien nicht so sehr von den "offiziellen Umfragen". Eigentlich erstaunlich. Wie das wohl erst aussehen würde, wenn das Wahlalter gesenkt würde? Ist am Ende der Einfluss des Alters auf die Parteienpräferenz doch nicht so ausgeprägt?

    Die Passage "Wenn man nun berücksichtigt, dass die AfD bei der Bundestagswahl 2017 anteilig am stärksten von vormaligen Nicht­wäh­le­r:in­nen profitiert hat, könnte man schließen, Instrumente der politischen Bildung helfen letztlich womöglich der AfD, zumindest vorerst." halte ich für verheerend. Wo will der Autor hin, Afd-Wähler bitte nicht zur Wahl gehen? So funktioniert Demokratie nicht, und so wird sie auch nie legitimiert werden können.

    • @04405 (Profil gelöscht):

      "Wo will der Autor hin, Afd-Wähler bitte nicht zur Wahl gehen? So funktioniert Demokratie nicht, und so wird sie auch nie legitimiert werden können."

      Es ist sogar noch konkreter: Potenzielle AfD-Wähler von der Wahl ausschließen. Nur wenn die Umfrage stabil eine bundesweite Mehrheit für die Grünen ergibt (verklausuliert mit "die, die den Planeten retten wollen"), wäre die Senkung des Wahlalters dem Autor zufolge sinnvoll.

      Kann man machen, aber man sollte es halt nicht als Beitrag für mehr Demokratie sehen. Frei nach Deniz Yücel: "Besser" - die Ursachen dafür bekämpfen, dass Jugendliche dem Populismus folgen.