Erfolgsbilanz von Fridays for Future: Liebe reicht ihnen nicht
Vor zwei Jahren begann Greta Thunberg ihren Klimastreik, Am Freitag gingen die jungen AktivistInnen wieder auf die Straße. Was haben sie erreicht?
Quang Anh Paasch könnte zufrieden sein. Der Sprecher von Fridays for Future Berlin steht am Brandenburger Tor vor einer Kamera und gibt ein Interview nach dem anderen. Der Regen hat gerade aufgehört, hinter ihm dröhnt Musik von der Bühne und auf der nassen Straße sitzen Tausende DemonstrantInnen. Trotz Corona-Abstands und schlechten Wetters haben die Klima-AktivistInnen rund um Paasch auch ein Jahr nach den großen Streiks wieder eine bunte Protestmischung auf die Straße gebracht. Aber Paasch sagt: „Realpolitisch haben wir nichts erreicht.“
Vor zwei Jahren begann Greta Thunberg ihren Schulstreik, seit 18 Monaten gehen in Deutschland die „Fridays“ auf die Straße. In dieser Zeit ist in Deutschland so viel für den Klimaschutz passiert wie in Jahrzehnten vorher nicht. Es gibt nun ein Enddatum für die Kohlenutzung 2038, es gibt ein Klimaschutzgesetz, das ab 2021 jährliche Emissionsziele festlegt und einen Emissionshandel auch für CO2 aus dem Verkehr und Gebäuden.
Es gibt Milliarden für die Bahn, neue Ziele für Ökoenergien, eine Wasserstoffstrategie, wahrscheinlich ein schärferes Klimaziel der EU, das Versprechen der „Klimaneutralität“ bis 2050 und einen „Green Deal“, mit dem in Europa Hunderte von Milliarden Euro in Erneuerbare und Effizienz fließen sollen.
Trotzdem sagt Paasch: „Unser Erfolg ist, dass wir den Diskurs verschoben haben. Aber immer noch nimmt die Politik die Wissenschaft nicht ernst. Wir haben ein Klimagesetz, das dem Pariser Abkommen nicht gerecht wird.“ Viele andere AktivistInnen klingen ähnlich: „Wir haben viel bewegt und die Öffentlichkeit sensibilisiert“, sagte Greta Thunberg bei der Klimakonferenz von Madrid im Dezember 2019. „Aber wir wollen richtige Taten sehen. Und richtige Taten gab es nicht. Also haben wir von einem anderen Standpunkt aus nichts erreicht.“
Macht auf der Straße
„Nichts erreicht“, sagte Thunberg auch einen Monat später beim Weltwirtschaftsforum in Davos – als der Rest des Treffens aufgeregt debattierte, dass der größte Finanzinvestor der Welt, BlackRock, angekündigt hatte, Klimaschutz zum Kern seiner Investitionen zu machen. Und der offene Brief von Thunberg und anderen AktivistInnen zur europäischen Klimapolitik, mit dem sie einen 90-Minuten-Termin bei Bundeskanzlerin Angela Merkel bekam, bezeichnet den Beschluss, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, als „eine Kapitulation“.
Aber je weiter man sich von der Klimabewegung entfernt, desto erfolgreicher wird sie. Während viele AktivistInnen unzufrieden sind, dass es zu wenig Resultate gibt, betonen ihre Sympathisanten und Förderer – und erst recht ihre Gegenspieler –, wie viel Macht die Jugendlichen auf der Straße entfaltet haben. Merkel ist nach einer kurzen Ablehnung im Frühjahr 2019 („hybride Kriegsführung“) dazu übergegangen, die streikenden Kids für ihr Engagement zu loben und ihren Druck als Ansporn zu bezeichnen.
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Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat jahrelang gewarnt, Klimaschutz dürfe die Wirtschaft nicht überfordern – und vor zwei Wochen einen Plan für eine „Charta zum Klimaschutz“ vorgelegt, der 20 Schritte vorschlägt. Altmaier, der noch im Frühjahr 2019 vor seinem eigenen Ministerium nicht vor den FFF-DemonstrantInnen sprechen durfte, begründet das ausdrücklich auch damit, wie die jungen Menschen ihn beeindruckt hätten.
Zwar sind die deutschen Emissionen in der Coronakrise so weit abgesackt, dass selbst das Minus-40-Prozent-Ziel bis Ende 2020 möglich erscheint. Aber was es nicht gibt: schnell wirkende Maßnahmen und ein deutliches strukturelles Sinken der Emissionen. „Den Frust über das deutsche Klimapaket kann ich gut nachvollziehen“, sagt deshalb Patrick Graichen, Chef des Thinktanks „Agora Energiewende“, „aber die ‚Fridays‘ hatten bisher schon einen Wahnsinnserfolg.
Ohne sie gäbe es den Green Deal der EU-Kommission nicht.“ Für ihn ist klar: Die junge Klimabewegung hat – neben den Hitzesommern und neuen Warnungen aus der Wissenschaft – in ganz Europa entscheidend zur „Grünen Welle“ bei den EU-Wahlen 2019 beigetragen. Das Thema sei deshalb bei der umstrittenen Bildung der EU-Kommission für Ursula von der Leyen so wichtig geworden, dass sie es ganz nach vorn gestellt habe. „Das hätte von der Leyen von sich aus nie gemacht“, ist Graichen sicher.
Er geht noch weiter: Während FFF das deutsche Gesetz zum Kohleausstieg 2038 kritisieren, sorgten sie indirekt dafür, dass das Ende der Kohle viel schneller kommen werde: „Der Green Deal führt jetzt schon dazu, dass die Preise im Emissionshandel auf 30 Euro pro Tonne gestiegen sind. Kohle wird immer unrentabler, immer mehr Kraftwerke gehen vom Netz.“ Auch wenn Ursachen und Wirkungen in der Energiepolitik „für 16-Jährige nicht immer leicht zu durchschauen“ seien, sei der aktuelle Einbruch bei der Kohleverstromung in Europa letztlich auch ein Verdienst der „Fridays“.
„Das politische System hat die Klimafrage durch die ‚Fridays‘ jetzt viel mehr verinnerlicht“, sagt Jochen Flasbarth, SPD-Staatssekretär im Umweltministerium. Die Bewegung sei „sehr stark und sehr regierungskritisch und sie bringen eine Respektlosigkeit in die Debatte, die wir von den Umweltverbänden nicht mehr gewohnt sind“, sagt Flasbarth, der selbst Präsident des Umweltverbands NABU war. Politik und Wirtschaft hätten außerdem „Angst vor der Mobilisierungskraft der FFF“.
Für den Realpolitiker Flasbarth sind die ultimativen Forderungen der Bewegung aber auch eine Gefahr: „Bei der Klimakonferenz in Madrid haben sie gefordert, dass die UN-Staaten sofort neue Klimapläne vorlegen. Aber das geht in demokratischen Staaten einfach nicht. Legitimation für Politik muss auch über Prozesse kommen, so schwer das manchmal zu ertragen ist.“
Ein ganz privater Machtfaktor seien die Jungen und Mädchen aus der Klimabewegung aber auch am Frühstückstisch, sagt Sabine Nallinger. Sie ist Vorständin der „Stiftung 2 Grad“, mit der deutsche Unternehmen Lobbyarbeit für Klimaschutz machen.
Harte Landung in der Realität
„Mir haben viele Manager und Unternehmenschefs gesagt: ‚Meine Kinder stellen mich zur Rede, sie sagen: Ihr nehmt uns die Zukunft weg.‘“ Für Nallinger hat das einen großen Einfluss auf die Politik in den Chefetagen, immer mehr Unternehmen engagierten sich für Klimaziele. „Sie merken dann auch zu Hause: Es gibt keine Gegenargumente mehr!“
Eine „harte Landung in der Realität“ erwartet Agora-Chef Graichen für die Bewegung. „Es ist ein schmaler Grat, das wissenschaftlich Nötige zu fordern und trotzdem nicht das Ende der Welt zu propagieren, wenn die 1,5 Grad überschritten werden“. Wirkliche Veränderungen gebe es nun einmal nur durch Wahlen. „Deshalb müssen die ‚Fridays‘ also mindestens noch ein Jahr bis zur Bundestagswahl 2021 durchhalten.“
Mut dafür machte den Demo-TeilnehmerInnen vor dem Brandenburger Tor am Freitag der Potsdamer Klimawissenschaftler Stefan Rahmstorf. Er erinnerte daran, dass die deutschen Umweltverbände vor fünf Jahren gefordert hatten, die EU solle ihr Klimaziel auf minus 55 Prozent anheben. Jetzt sei das greifbar nahe – „und das haben wir auch den ‚Fridays‘ zu verdanken“, lobte Rahmstorf.
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