Erfahrungen eines VW-Diesel-Fahrers: Mein tolles Stinkmobil
Ich mochte meinen Caddy, als er mich zuverlässig von A nach B brachte. Heute fühle ich mich von VW als Verbraucher verarscht.
Ich hätte es ahnen können, dass mit dieser Firma etwas nicht stimmt. Als ich meinen VW vor ein paar Jahren in Hannover abholte, war der Autobauer so nett, mir einen ganzen Liter Kraftstoff zu schenken, damit ich bis zur nächsten Tankstelle komme. Am Tankstutzen pappte ein Aufkleber mit dem Hinweis, Super zu tanken. Komisch. Hatte ich nicht einen Diesel gekauft? Ich schaute zur Sicherheit in die Zulassung. Ja, es war ein Diesel. Ein verdammter Diesel. Also zapfte ich diesen Kraftstoff, mit dem ich nicht den Tiger im Tank haben sollte, sondern die Pest.
Mein erstes selbst gekauftes Auto war ein VW Caddy. Bekannt aus dem Golfsport, trägt er dem Profigolfer die Schläger hinterher. Ein Caddy ist zuverlässig, er dient seinem Herrn ergeben. Mein Caddy war eigenwilliger. Schon bald blieb er auf der Autobahn zwischen Leipzig und Berlin stehen. Motorschaden. Injektor kaputt. Damals wusste ich nicht, was ein Injektor ist, heute könnte ich einen Aufsatz über den Injektor schreiben, denn nichts scheint anfälliger zu sein in einem VW Caddy als der Injektor, der den Kraftstoff aus dem Vorhof der Hölle direkt in den Kolben spritzt, wo dann das ganze Teufelszeug entsteht: Stickoxide und Feinstaub, Schimpf und Schande.
Ich wollte immer nur ein Auto, das funktioniert: Das Ding steht vor der Tür, und wenn man den Zündschlüssel herumdreht, fährt’s los. Mit Problemen rechnete ich erst ab Kilometer 150.000, denn ich bin ein Auto-Pragmatiker. Ich hänge nicht am Auto, es soll nur seinen Zweck erfüllen. VW schien mir damals, also noch vorm großen Knall und solchen Dingen wie dem „Diesel-Gipfel“, der heute in Berlin stattfindet, als ein Anbieter von geradezu spießiger Zweckmäßigkeit. Das ist kein Auto für Romantiker oder Fetischisten, die ihrem sogar Namen geben, nein, mein VW sollte mir gute Dienste leisten wie ein fleißiger Caddy auf den Grüns von Augusta.
Die Familienkutsche sollte meine Familie sicher von A nach B bringen. Nichts anderes. Dass ich auf fahrender Betrugssoftware saß, die mein Auto zu einem Stinkmobil machte; dass ich beim Kauf arglistig getäuscht wurde vom VW-Konzern; dass ich hereingefallen war auf Motormanipulateure, ja im Grunde auf den ganzen automobil-industriellen Komplex, der sich wohl seit Jahren beim Kundenbehumsen abgesprochen hat; dass ich in Alexander Dobrindt (CSU), dem selbst ernannten „Minister für Mobilität und Modernität“, nun wahrlich keinen Fürsprecher haben sollte, all das war mir damals nicht klar. Wie sollte es auch? Schrieb VW nicht in seiner Firmenphilosophie, man stehe „seit Generationen für Qualität, Sicherheit und Innovation“? War der Diesel nicht das „gute“ Auto, weil es weniger Kohlendioxid durch den Auspuff jagte als ein Benziner?
Doch dann kam’s knüppeldick
In Deutschland, dem Land der Bleifüße, dem Land von Carl Benz und Nicolaus Otto, ist das Auto mehr als nur eine dienstbare Karre, und das ist vielleicht auch ein Teil des Problems. Der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme hat einmal geschrieben, das Auto sei niemals nur ein Auto, sondern stets auch „das Medium von Ästhetik, Leidenschaften, von sozialen Distinktionen und statuserzeugenden Ausstrahlungen“. Es sei „Ich-Ausstattung, Requisit, Schutzraum, Waffe, Gefährte, kurz: eine semantisch höchst variable soziokulturelle Figuration“. Das mag ja stimmen für viele Besitzer von SUVs oder für ältere Fahrer aus dem Osten, die in der DDR zwölf Jahre auf ihren Lada warten mussten und ihn wie einen Freund in der Familie aufnahmen. Für mich trifft das nicht zu.
Als mein VW dann eines Winters vorm Haus geklaut wurde und später Teile davon in einem polnischen Lager auftauchten, war ich immer noch ein VW-Freund. Ja wirklich, ich kaufte mir wieder einen Caddy. Doch dann kam’s knüppeldick. Ein Motorschaden folgte auf den nächsten. Der VW-Händler wollte nur widerwillig zahlen und machte deutlich, dass ihm eines völlig schnuppe ist: Kundenzufriedenheit. Ich lernte, was es heißt, ein Verbraucher zu sein. Ein Verbraucher hat gefälligst zu verbrauchen. Aber wenn das, was er gerade verbraucht, nicht in Ordnung oder Pfusch ist, wird der Verbraucher in den Augen der Hersteller schnell mal zum Querulanten. Lästig, so einer.
Zu den Motorschäden und dem – heute insolventen – Autohausbesitzer, der sich mir gegenüber verhielt wie ein Lehnsherr zum Vasallen, gesellte sich nun einer der größten Industrieskandale der Republik: Dieselgate. Mit einem Schlag reduzierte sich der Wert meines VW um mehrere tausend Euro: in zwei Jahren um mehr als 7.000 Euro. Das ging VW-Besitzern auf dem ganzen Globus so, aber nur in den USA wurden sie entschädigt. Volkswagen kaufte ihnen sogar die Schummelautos wieder ab. Das kostete Milliarden. Und weitere Milliarden hätte es gekostet, VW-Fahrer in Deutschland zu entschädigen.
Die Entschädigung nach den Vorstellungen von VW sah hierzulande so aus: Ich bekam Monate nach dem Bekanntwerden von Dieselgate einen Brief von VW. Es gehe um das „Motorsteuergerät NOx“. Man bedauere sehr, schrieben ein Herr Schuhkraft von der Abteilung Produktsicherheit sowie ein Herr Gasterstädt vom VW-Verbraucherschutz (sic!), dass mein Vertrauen in die Marke Volkswagen derzeit auf die Probe gestellt werde. O ja, und wie! Die Herren entschuldigten sich und empfahlen ein Software-Update, mit dem mein Stinkeschleifer zum Saubermobil werden sollte. VW gab sich gönnerhaft: Ich durfte kostenlos updaten. Wow. Danke ,VW! Wer nicht updaten wollte, musste wohl damit rechnen, dass sein Paria auf vier Rädern stillgelegt wird.
Ich habe mich einer VW-Sammelklage angeschlossen
Dass dieses Update, wie mir ein VW-Mitarbeiter im Updating-Autohaus bestätigte, nur ein fauler Kompromiss ist, ein Kompromiss übrigens, der vom Kraftfahrt-Bundesamt und dem Mobilitätsminister geschlossen wurde, überraschte mich nicht. Der Mobilitätsminister war bisher eh so nachsichtig mit VW, als ginge es nur um kleinere Lackschäden. Dabei geht’s um so viel mehr: um millionenfachen Betrug, eine Verpestung unserer Städte und um die Frage, ob eine ganze Branche von Porsche bis Daimler damit durchkommt, nur weil sie für die Deutschland AG „systemrelevant“ ist. Und außerdem: Darf man die gelackmeierten VW-Käufer einfach so übergehen und ihre im guten Glauben gekauften Dieselautos auch noch aus den Städten verbannen? Ist das nicht der Diesel-Gipfel der Verbraucherverarsche?
Weil ich mehr wollte als ein Schummel-Update, nämlich eine echte Lösung des Problems, schrieb ich VW. Antworten bekam ich nie. Ich hatte meine Briefe offensichtlich in tote Briefkästen gesteckt, wo Verbraucheranliegen still verklappt werden. Ich war nicht wichtig. Der globale Markt ist wichtig: 2016 verkaufte die „Kernmarke“ VW schon wieder mehr Autos als im Jahr davor. 5,99 Millionen Stück verscherbelte der Wolfsburger Konzern, vor allem in China. In Europa (0,9 Prozent Absatzminus) schien das Image der Marke VW kaum angekratzt zu sein.
Skandale haben VW bislang wenig anhaben können. Volkswagen überstand den Fall López (Geheimnisverrat), die Lustreisen-Affäre (Bestechung des Betriebsrates), und die kürzlich aufgedeckte Kollaboration von VW Brasília mit der Militärjunta wird die Wolfsburger wohl auch nicht groß kratzen. Und jetzt? Habe ich mich einer Sammelklage gegen VW angeschlossen. Ich, der Verbraucher, will nicht mehr der ohnmächtige Depp sein. Aber das wird wohl nichts mit der Selbstermächtigung der Kunden, denn das deutsche Recht ist für Sammelklagen nicht gemacht.
Vor ein paar Tagen habe ich übrigens meinen VW Caddy wieder aus der Werkstatt geholt. Der Injektor. Hat nur ein paar hundert Euro gekostet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“