Erfahrungen als Frau: Geschlechtslos und asexuell

Behinderte Frauen werden in erster Linie als behindert wahrgenommen, nicht als weiblich. Deshalb finden sie auch im Feminismus kaum statt.

Frau im Rollstuhl auf der Skaterstrecke

Lisa Schmidt ist Wheelchairskaterin. Auch behinderte Frauen brauchen Feminismus Foto: Jörg Farys

Behinderte Menschen sind geschlechtslose Wesen. Man sieht es an Toiletten in Restaurants, Ämtern und Kaufhäusern. Männer – Frauen – Behinderte. Und weil sie so schön geräumig sind, werden die Behindertentoiletten häufig nebenbei als Abstellkammer verwendet.

Behinderte sind auch asexuelle Wesen – zumindestens in der Vorstellung der meisten Nichtbehinderten. Die gefühlt am häufigsten gestellte Fragen sind: „Hast du Sex?“ und – noch offensiver – „Wie hast du denn Sex?“

Selbst Fremde schrecken vor solch intimen Fragen nicht zurück. Gerne im Flüsterton, mit aufgerissenen Augen und gerunzelte Stirn, als sei ihnen die Vorstellung zuwider. So ganz genau will man es nicht wissen, interessiert ist man trotzdem.

Und da vor allem behinderte Frauen in erster Linie als behindert wahrgenommen werden und nicht als weiblich, finden sie im Feminismus selten bis gar nicht statt. Im Juni nominierte des Online-Frauenmagazin Edition F 50 Frauen, von denen 25 als „Frauen, die unsere Welt besser machen“ ausgezeichnet werden sollten. Die Frauen waren aus über 750 Einsendungen ausgewählt worden.

Nicht beeindruckend genug?

Keine Frau mit Behinderung stand auf der Liste. Die Redaktion von Edition F teilt mit, dass es keine Nominierte mit Behinderung gegeben hätte, später stellt man klar, dass es vielleicht doch welche gab, diese aber schlicht nicht beeindruckend genug waren. Stolz verweisen sie darauf, dass immerhin in der Jury eine Frau mit Behinderung sitze.

Menschen mit Behinderungen fordern immer wieder: „Nichts über uns ohne uns!“ Jedoch sind sie in den Redaktionsräumen des Landes kaum vertreten. Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2016 präsentiert sich die taz am Vortag als Ergebnis einer „freundlichen Übernahme“.

Darin erzählen Autor_innen von sich. Davon, dass sie nicht „an den Rollstuhl gefesselt sind“ oder „an ihrem schweren Schicksal leiden“. Davon, wie es ihnen im Alltag und im Beruf ergeht. Koordiniert wird die Übernahme von Leidmedien.de. taz.mit behinderung – am Kiosk, eKiosk und natürlich online auf taz.de.

Ständig werden Frauen mit Behinderung übersehen. Im Feminismus werden Women of Color, LGBT-Frauen und Migrantinnen eingebunden, selten jedoch Frauen mit Behinderung, obwohl 8 bis 10 Prozent aller Frauen in Deutschland schwerbehindert sind.

2014 sorgte der Hashtag #YesAllWomen für Aufsehen. Frauen teilten darunter ihre Erfahrungen mit Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts. Als sich Frauen mit Behinderung an der Aktion beteiligten, erfuhren sie teils Zurückweisung. Es sei ein Unding, dass behinderte Frauen die Bewegung nutzten, um vom eigentlichen Problem abzulenken und auf die Probleme behinderter Frauen aufmerksam zu machen. Diese Anschuldigungen kamen von Frauen. Von Frauen ohne Behinderung.

Kaum Anlaufstellen für behinderte Frauen

Es ist unsinnig, verschiedene Randgruppen innerhalb der sowieso schon marginalisierten Gruppe der Frauen gegeneinander auszuspielen. Aber es ist ebenso unsinnig, Frauen mit Behinderung zu ignorieren. Denn häufig werden sie der Behindertenbewegung zugeschrieben, unabhängig davon, welche Themen sie interessiert oder welche Probleme sie haben.

Wird eine behinderte Frau etwa Opfer von physischer oder psychischer Gewalt, hat sie kaum Anlaufstellen. Denn nur 10 Prozent der Beratungsstellen und Frauenhäuser sind deutschlandweit barrierefrei. Eine traurige Bilanz. Und sie zeigt deutlich, dass behinderte Frauen in den Köpfen vieler einfach nicht stattfinden. Selbst in den Köpfen derer, die sich mit den Problemen von Frauen auseinandersetzen müssen.

60 bis 70 Prozent der behinderten Frauen weltweit haben physische, 90 Prozent psychische und die Hälfte sexualisierte Gewalt erfahren. Wenn Frauen mit Behinderung Opfer von Gewalt werden, dann ist die Behinderung zwar meist auch Teil des Problems, aber das Frausein eben auch.

Die Betroffenen brauchen Frauenhäuser, sie brauchen Rückhalt und ärztliche Hilfe. Und sie brauchen Feminismus. Nur den Feminismus der weißen, nichtbehinderten Frauen: Den brauchen sie nicht.

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Jahrgang 1989, ist Autorin und Herausgeberin des N#mmer-Magazins

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