Erdgasförderung in Deutschland: Er will an die Nordsee
Bundesfinanzminister Lindner will Öl und Gas aus der Nordsee. Damit legt er sich mit seinen Koalitionspartnern an.
Bislang deckt Deutschland nur 5 Prozent seines Gasbedarfs von etwa 100 Milliarden Kubikmetern pro Jahr selbst. Sie stammen hauptsächlich aus Erdgasfeldern in Niedersachsen, dessen Landvorkommen weit größer als die Nordseevorkommen sind. Die Nordsee hat bislang einen Anteil von weniger als einem Prozent an der deutschen Erdgasförderung. Dort neue Vorkommen zu erschließen würde laut dem Ingenieurgeologen Tobias Mörz von der Universität Bremen zwischen fünf und zehn Jahre dauern. Die Situation beim Erdöl ist eine andere: Dessen Nordseevorkommen machen bereits mehr als die Hälfte der deutschen Erdölförderung aus. Insgesamt deckt Deutschland aber bislang nur etwa 2 Prozent seines Erdölbedarfs mit Eigenförderung.
Schon im Entlastungspaket, das die Bundesregierung als Reaktion auf die steigenden Energiepreise im Zuge des Kriegs in der Ukraine beschlossen hatte, wollte die FDP eine Erhöhung von Deutschlands Erdöl- und Erdgasförderung ankündigen. Das schaffte es aber nicht in den finalen Entwurf. Im Koalitionsvertrag hatten Grüne, SPD und FDP festgeschrieben, keine neuen Genehmigungen für Öl- und Gasbohrungen jenseits der erteilten Rahmenbetriebserlaubnisse für die deutsche Nord- und Ostsee erteilen zu wollen. Dementsprechend kritisch stehen die Bundestagsfraktionen von Grünen und SPD dem Vorstoß gegenüber. Die energiepolitische Sprecherin der SPD, Nina Scheer, sagte der taz, statt „blind neue Quellen zu erschließen oder weitere Investitionsentscheidungen in fossile Ressourcenförderung auszulösen“ sollte man sich auf den Ausbau der Erneuerbaren konzentrieren. Für die unmittelbare Versorgung solle die Bundesrepublik vorzugsweise auf europäische Importe setzen, „auch wenn es schwer wird, unseren Bedarf damit allein zu decken“.
Julia Verlinden, ökologische Sprecherin der Grünen-Fraktion, sieht das ähnlich: „Bevor wir weitere fossile Energiequellen anzapfen, die zusätzliche Umweltprobleme schaffen und unseren Klimaschutzbemühungen zuwiderlaufen, sollten wir lieber alles dafür tun, so viel Energie wie möglich einzusparen.“ Das Bundeswirtschaftsministerium wollte sich zu Christian Lindners Vorstoß nicht äußern.
In Niedersachsen gibt es am meisten Gas und Öl
Aus Niedersachsen kam bereits Anfang März der erste Vorschlag, mehr Erdgas zu fördern. Eigentlich sollten Bohrungen in der ganzen Nordsee verboten werden. Der Umwelt- und Energieminister Olaf Lies (SPD) sagte jedoch, die Situation habe sich wegen des Krieges in der Ukraine geändert. Jetzt sollen nur noch Bohrungen im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer verboten werden. Der niedersächsische BUND kritisierte, dass so „Fakten für die nächsten Jahrzehnte“ geschaffen würden. „Alle Anstrengungen müssen in wirksame Maßnahmen zur Energieeffizienz, zum Energiesparen und in den Ausbau erneuerbarer Energien fließen.“ Der BUND warnte vor Umweltzerstörung und „unkalkulierbaren Risiken“ durch den Austritt von Schadstoffen, Landabsenkungen und Erdbeben.
BUND Niedersachsen
Im deutsch-niederländischen Grenzgebiet plant das Unternehmen ONE Dyas die Erschließung eines Erdgasfeldes. Dort könnten laut dem BVEG schon innerhalb von drei Jahren bis zu zwei Milliarden Kubikmeter Gas gefördert werden, teilweise auch auf deutschem Gebiet. Dem muss Niedersachsen noch zustimmen. Ein Kubikmeter Gas sorgt beim Verbrennen für etwa 2 Kilogramm CO2-Emissionen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“