Equal Pay Day: Angleichung im Schneckentempo
In Deutschland werden Frauen nach wie vor schlechter bezahlt als Männer. Eine „Bundesstiftung Gleichstellung“ soll helfen, das zu ändern.
Um es korrekt zu schreiben: Verdient haben Frauen selbstverständlich das Geld, sie bekommen es nur vielfach nicht. Seit Jahrzehnten bewegt sich die Lohnlücke um die oben genannte Summe, in den vergangenen Jahren ist sie von einst 21 Prozent auf jetzt 18 Prozent gesunken. Das klingt nach einem Fortschritt, ist aber nicht mehr als das Tempo einer „Schnecke, die auf der Schildkröte reitet und ‚Huiii‘ ruft“, um es mit den Worten der Betriebswirtin und Equal-Pay-Aktivistin Henrike von Platen zu sagen.
Die 18 Prozent Lohnunterschied, auch als unbereinigte Lohnlücke bezeichnet, ergeben sich aus den Unterschieden der Arbeitsmodelle und Lebensentwürfe, in denen sich Frauen und Männer bewegen: verstärkt Teilzeit bei Frauen, mehr Führungspositionen bei Männern, längere Elternzeit für Mütter, kürzere Vätermonate, fehlende öffentliche Kinderbetreuung. Zudem arbeiten Frauen verstärkt in Berufen, die zwar systemrelevant, aber schlechter bezahlt sind. Und: Trotz des in Deutschland geltenden Entgelttransparenzgesetzes sind sowohl Gehälter als auch Gehaltsstrukturen wenig durchsichtig.
Zieht man all diese Umstände ab und blickt dann etwa auf den Stundenlohn, bleibt trotzdem noch eine bereinigte Lohnlücke von etwa 6 Prozent.
Das wollen Gleichstellungsverbände und -Organisationen seit Langem ändern. Mit dabei seit Jahren die Ökonomin von Platen, die die Equal-Pay-Kampagne 2009 in Deutschland mit angestoßen hat. Als Inhaberin und Gründerin des Fair Pay Innovation Lab, eines gemeinnützigen Unternehmens, entwickelt sie heute praktische Lösungen für Lohngerechtigkeit. Dabei stützt sie sich auf Erfahrungen in Island, in dem als erstem Land der Welt seit 2018 ein Gesetz für gleiche Bezahlung von Frauen und Männern gilt. Bis zum kommenden Jahr soll es dort keine genderbedingten Lohnlücken mehr geben.
Es braucht den politischen Willen
Für das Gesetz brauchte es den politischen Willen verschiedener Akteure: Arbeitgeberverbände, Politik, Gewerkschaften. Sie haben das Gesetz ausgearbeitet und sich auf gleiche Bezahlungsstandards von Frauen und Männern geeinigt. Das führte dazu, dass in Unternehmen wie beispielsweise dem Energieversorger Reykjavik Energy heute Frauen und Männer auf gleichwertigen Posten gleich bezahlt werden.
Familienministerin Franziska Giffey ist die geschlechterspezifische Lohnungerechtigkeit ebenfalls ein Dorn im Auge. „Seit Jahrzehnten kämpfen wir für gleiche Chancen von Männern und Frauen“, sagte die SPD-Politikerin anlässlich des Equal Pay Day. Um diese Ungerechtigkeit nachhaltig zu bekämpfen und grundsätzlich die Gleichstellung der Geschlechter voranzutreiben, habe sich die Bundesregierung für eine „Bundesstiftung Gleichstellung“ ausgesprochen, teilte die SPD-Politikerin am Mittwoch mit. Die Stiftung solle „dazu beitragen, notwendige Veränderungen zu beschleunigen“, sagte die Ministerin.
Noch in diesem Jahr soll ein Direktorium berufen werden, auch wenn eine endgültige Entscheidung des Bundestags über die Stiftung noch aussteht. Giffey zufolge sollen dafür in diesem Jahr drei Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Ab 2022 sollen es fünf Millionen Euro pro Jahr sein.
Im internationalen Vergleich schneidet Deutschland bei der Lohngerechtigkeit schlecht ab. Länder wie Italien, Luxemburg und das bereits erwähnte Island weisen weitaus gerechtere Bezahlungen von Frauen und Männern auf. Um die Lohngerechtigkeit in der Europäischen Union voranzutreiben, startet die EU-Kommission eine Art Kampagne. Bereits am 4. März 2021 legte sie einen Richtlinienentwurf für mehr Gehaltstransparenz vor. Darin enthalten sind Maßnahmen, die Lohntransparenz gewährleisten sollen, unter anderem Berichterstattungspflichten für Unternehmen, Auskunftsansprüche oder verpflichtende Angaben zum Entgelt für Arbeitsuchende.
Außerdem: Frauen (und Männer), die glauben schlechter bezahlt zu werden, sollen das leichter von einem Gericht prüfen lassen können. Die geplanten EU-Maßnahmen gehen zum Teil über die Standards bei der Entgelttransparenz in Deutschland hinaus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Krieg in Gaza
Kein einziger Tropfen sauberes Wasser