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Entwicklerin über App für bedrohten Frauen„Die App wird keinen Namen haben“

Stefanie Knaab entwickelt mit ihrem Verein ein Tarn-Programm gegen häusliche Gewalt. Es soll Betroffenen ermöglichen, unbemerkt Hilfe zu rufen.

Könnte helfen: das Smartphone Foto: Westend61/getty
Patricia Hecht
Interview von Patricia Hecht

taz: Frau Knaab, Sie entwickeln eine App, die bei häuslicher Gewalt einen stillen Notruf möglich macht. Was genau heißt das?

Stefanie Knaab: Das heißt, dass betroffene Frauen einen Notruf bei der Polizei absetzen können, ohne mit dieser zu sprechen. Durch den Druck einer Taste an ihrem Telefon schickt die Betroffene eine Nachricht – und die Polizei kommt. Die Frauen können in der App aber auch einstellen, dass nicht die Polizei, sondern Vertrauenspersonen wie Mutter, Bruder oder Freundin benachrichtigt werden.

Was ist der Vorteil, wenn Frauen dabei nicht sprechen müssen?

Der Täter bekommt nicht mit, dass der Notruf gewählt oder dritte Personen gerufen werden. Viele Betroffene in akuten Notsituationen haben große Angst, dass der Partner sie dabei hört, manche sprechen kein oder wenig Deutsch, andere sind gehörlos. Deshalb nutzen sie die bestehenden Hilfestrukturen nicht. Unsere App baut ihnen eine Brücke zum Notrufsystem des jeweiligen Bundeslandes, mit dem sie verknüpft sein wird.

Im Interview: Stefanie Knaab

31, ist Vorsitzende des Vereins „Gewaltfrei in die Zukunft“ und Leiterin des App-Projekts

Wie wird die App aussehen?

Dazu kann ich keine Auskunft geben. Wir wollen ja vermeiden, dass Täter die App erkennen können. Aber es ist eine getarnte App. Nur die Nutzerinnen wissen und erkennen, dass es sich um eine App gegen häusliche Gewalt handelt. Wir richten den Frauen einen Zugang ein, sodass außer ihnen selbst niemand darauf zugreifen kann.

Wie kommt die App zu den betroffenen Frauen?

Wir bringen sie zu ihnen. Wie wir das machen, darauf kann ich nicht eingehen. Die App wird auch keinen Namen haben. Und in keiner Zeitung wird stehen: Laden Sie sich diese App runter, wenn Sie von Gewalt betroffen sind. Aber sie wird die Frauen erreichen.

Die App soll außerdem gerichtsfeste Dokumentationen von Übergriffen ermöglichen. Was muss sie dafür können?

Es gibt extrem viele Fälle, in denen Betroffene wegen fehlender Beweise wenig Möglichkeiten haben, strafrechtlich gegen den Täter vorzugehen. Mit der App sollen Frauen Beweise sammeln können – zum Beispiel, indem sie Fotos ihrer Verletzungen aufnehmen und in der App verschlüsselt hinterlegen. Wir stellen dabei technisch sicher, dass keine alten Fotos hochgeladen oder Fotos gefälscht werden können, sodass die Beweise auch vor Gericht Bestand haben werden. Die Frauen können auch Tagebuch darüber führen, was ihnen passiert. Auch diese Einträge können später nicht mehr verändert werden, sodass auch sie vor Gericht zugelassen werden.

Besteht nicht die Gefahr, dass ein Täter doch mal auf die App zugreift und all diese Daten entdeckt?

Niemand, der das Passwort nicht hat, kann auf die App zugreifen. Alle Daten sind verschlüsselt. Wir arbeiten mit den höchsten Sicherheitsstandards, um die Daten verlässlich vor unbefugten Dritten zu schützen. Es gibt aber auch noch eine dritte wichtige Funktion der App.

Welche?

Frauen haben damit auch die Möglichkeit, sich niedrigschwellig zu informieren. Was bedeutet physische und psychische Gewalt eigentlich? Ist es auch Gewalt, wenn mein Partner kontrolliert, wen ich treffe? Wir klären auf, was passiert, wenn eine Frau Anzeige erstattet oder wie das Leben im Frauenhaus aussieht. Diese Fragen haben viele gewaltbetroffene Frauen. Aber manche sind überfordert, weil sie nicht wissen, wie und wo sie nach Hilfe suchen können. Für viele ist es außerdem sehr schambehaftet, sich an Dritte zu wenden, oder sie haben Angst, dass ihnen niemand glaubt. Die App macht es möglich, dass sie sich informieren können, ohne zunächst mit externen Personen zu sprechen. Das Ziel der App ist: Hilfe zur Selbsthilfe.

Wie ist Ihnen die Idee zur App gekommen?

Ich lebe in Berlin und habe 2018 gelesen, dass im Jahr zuvor rund 15.600 Verfahren im Land wegen häuslicher Gewalt eingeleitet worden waren. 13.011 davon wurden unter anderem aufgrund fehlender Beweise eingestellt. Noch dazu ist die Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt mit bis zu 90 Prozent extrem hoch, weil viele Frauen gar nicht erst anzeigen. Das hat mich schockiert und wütend gemacht. Aber obwohl das Smartphone im Alltag extrem viele Funktionen übernimmt, gibt es noch kein digitales Hilfsangebot dieser Art.

Und dann?

Ich habe offene Türen eingerannt. Weil häusliche Gewalt ein strukturelles Problem ist, war klar, dass es ein interdisziplinäres Projekt werden musste. Jetzt testen wir schon den Prototyp an ehemaligen Betroffenen.

Wie?

Wir schauen, was ihnen in der damaligen Situation geholfen hätte und welche Funktionen der App sie sich gewünscht hätten. Dann prüfen wir, wie sich die App in bestehende Hilfestrukturen eingliedern lässt und wie sie angepasst werden muss. Über Begleitforschung im kriminologischen, frauenpolitischen sowie rechtswissenschaftlichen Bereich stellen wir die Qualiät sicher.

Wann wird die App einsatzbereit sein?

Weil die Sicherheit der Betroffenen unsere höchste Priorität ist, geben wir das Datum der Veröffentlichung nicht bekannt. Aber wenn sie fertig ist, wird sie dazu beitragen, gewaltbetroffene Frauen zu empowern und sich entgegen aller Hürden Hilfe zu suchen.

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4 Kommentare

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  • An sich eine gute Idee.



    Aber eine App die nicht kommuniziert wird und nicht runtergeladen werden kann, wird wohl keine Breitenwirkung entfalten.

  • Ein innovativer Ansatz, sehr schön. Ich frage mich, wie die App genügend potentiell betroffene Frauen erreichen wird, wenn nicht aktiv dafür geworben werden kann. Wenn die App nur zu einzeln zu ausgewählten Frauen gebracht wird, die sowieso schon in der Sozialarbeit bekannt sind, dann wird nur denen geholfen, denen doch eh schon geholfen wird.

  • Ich hoffe, dass das alles so funktioniert, nur vorstellen kann ich es mir nicht.

  • Die App gibt's bereits in Polen, glaube daher kan die Idee :)