Enteignungs-Volksbegehren in Berlin: Geiseldrama bald vorbei

Das Enteignungs-Volksbegehren wird wohl zugelassen. Letzte Bedenken räumte der Senat im Gespräch mit der Volksinitiative aus.

Miet-Aktivist:innen auf einer Demo für Vergesellschaftung von Wohnraum: Eine Frau mit Mundschutz trägt ein Schild.

Zulässiges Volksbegehren: Die Enteignung von großen privaten Wohnungskonzernen Foto: dpa

BERLIN taz | Die rechtlichen Prüfungen des Enteignungs-Volksbegehrens sind fast abgeschlossen – und werden wohl für die Volksinitiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ positiv ausgehen: Ihr Anliegen, Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zu vergesellschaften und in kommunale Wohnungsgesellschaften zu überführen, ist aus Sicht des Senats offenbar rechtlich zulässig. Letzte Bedenken wurden am Donnerstagsnachmittag in einem Gespräch zwischen Vertreter:innen des Volksbegehrens, des Senat und Koalitionsparteien ausgeräumt. Anfang Juli könnte die Prüfung abgeschlossen sein.

Von Senatsseite waren neben dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) auch Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) sowie Senatskanzleichef Christian Gaebler (SPD) und Vertreter:innen aus den rot-rot-grünen Parteien dabei.

Nina Stahr, die sich als Landesvorsitzende der Grünen an den Gesprächen beteiligte, sagte der taz am Donnerstagnachmittag: „Wir sind einen guten Schritt weitergekommen. Die Prüfung wird jetzt schnell abgeschlossen. Anfang Juli wird es wahrscheinlich in den Senat kommen.“ Und Kalle Kunkel vom Volksbegehren sagte der taz: „Wir sind sehr zufrieden mit dem Gespräch. Es gibt keine Zweifel mehr, ob Enteignungen grundsätzlich möglich sind. Man hat uns zugesagt, dass die Prüfungen nun schnell abgeschlossen werden.“

Die Mietaktivist:innen hatten sich bei ihrer Enteignungsforderung gegen Mietenwahnsinn und renditeorientierte Wohnraumbewirtschaftung zu Lasten von Mieter:innen stets auf den Artikel 15 des Grundgesetzes berufen. Dieser ermöglicht grundsätzlich Vergesellschaftungen zum Wohle der Gemeinschaft – bei einer Entschädigung.

Mit der rechtlichen Zulassung des Antrags auf ein Volksbegehren durch die Innenverwaltung von Andreas Geisel (SPD) muss sich der Senat binnen vier Monaten mit der Enteignungs-Frage befassen. Theoretisch könnte er das direktdemokratische Anliegen dann bereits umsetzen.

Allerdings ist das unwahrscheinlich, weil Rot-Rot-Grün in der Enteignungs-Frage uneins ist: Während die Linke das Volksbegehren vollends und Grüne mit ein paar Abstrichen befürwortet, lehnt die SPD es ab – entsprechende Beschlüsse hatten die Parteien im vergangenen Jahr getroffen.

Nochmal 175.000 Unterschriften benötigt

Für Grünenchefin Nina Stahr ist allerdings noch nicht ausgemacht, dass das Anliegen abgelehnt wird: „Mal sehen, ob der Senat das übernimmt oder nicht. Wir halten die Ziele für richtig – würden aber auf qualitative Kriterien gehen für die Vergesellschaftung – und halten sie nur als absolute Ultima Ratio für gerechtfertigt. Etwa wenn Vermieter sich nicht an den Mietendeckel halten, mit Leerstand spekulieren oder nicht sanieren.“

Und eigentlich hätte die Politik alle Beteiligten an einen Tisch holen müssen, so Stahr: „Hätte Müller das zur Chefsache gemacht, wären wir jetzt schon weiter und das Volksbegehren überflüssig – so sehr ich damit übereinstimme, dass die Deutsche Wohnen kein fairer Vermieter ist.“

Wenn der Senat nicht enteignen will und auch das Abgeordnetenhaus keine Gesetzesinitiative aus dem Anliegen schustert, kommt es zur nächsten Stufe der Volksgesetzgebung – dem eigentlichen Volksbegehren. Dann haben die Miet-Aktivist:innen vier Monate Zeit, rund 175.000 gültige Unterschriften zu sammeln, das entspricht sieben Prozent der Wahlberechtigten.

Sollte die Initiative diese Unterschriften zusammen bekommen, ist das Abgeordnetenhaus aufgefordert, das Anliegen der Volksinitiative unverändert zu übernehmen. Folgt das Parlament dem nicht, kommt es zum Volksentscheid. Bei zeitlicher Nähe werden Volksentscheide (wie etwa beim Volksentscheid zum Tempelhofer Feld, der zeitgleich mit der Europawahl 2014 stattfand) mit einer Wahl zusammengelegt. Der vor wenigen Wochen vorgelegte Entwurf des überarbeiteten Abstimmungsgesetzes sieht vor, dass bis zu acht Monate zwischen Abschluss der Prüfung der Unterschriften und einem Wahltermin liegen dürfen.

Wird am Ende ein Dax-Konzern enteignet?

Beim Enteignungsvolksbegehren scheint dies mit Blick auf die Wahl 2021 zumindest nicht ganz abwegig – möglicherweise könnte es aber auch bereits zuvor zu einem Entscheid kommen. Bei einem Volksentscheid müssen bei einer Wahlbeteiligung von wenigstens 25 Prozent der Wahlberechtigten und eine Mehrheit der Abstimmenden dafür stimmen – dann könnte mit der Deutschen Wohnen erstmals ein Dax-Konzern enteignet werden.

Fast ein Jahr lang wird die Prüfung am Ende gedauert haben. Am 14. Juni 2019 hatten die Volks-Initiative 70.000 Unterschriften für den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens gesammelt und in der Innenverwaltung abgegeben. 50.000 davon sind gültig.

Die lange Prüfzeit war auch ein Ärgernis für Volksbegehren – denn direktdemokratische Anliegen können durchaus an Fahrt verlieren, wenn ewig geprüft wird. Das Enteignungs-Volksbegehren hatte bereits geklagt und nannte die lange Prüfung in der Innenverwaltung von Andreas Geisel (SPD) „Geiseldrama“.

Rot-Rot-Grün will auch deswegen mit dem Abstimmungsgesetz auch die direkte Demokratie reformieren – künftig soll die Prüfung eines Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens nur noch fünf Monate dauern. Beschlossen werden soll ein entsprechendes Gesetz nach der Sommerpause des Parlaments.

Das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. enteignen hatte bereits geplant zum Einjährigen der Antragsprüfung mit einer großen Geburtstagstorte bei der Innenverwaltung vorbei zu schauen. Kunkel freut sich drauf – mit einer Torte wolle man trotzdem vorbeikommen. Er sagt: „Nun gibt es sogar wirklich was zu feiern.“

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