Energiewende auf dem Meer: Die Windkraft lernt schwimmen
Windkraftwerke konnten bisher nur in flachen Küstengewässern stehen. Doch Prototypen für schwimmende Rotoren werden immer besser.
Als sich vor Kurzem die Windkraftbranche der ganzen Welt in Kopenhagen zur WindEurope traf, in derselben Messehalle in Kopenhagen, in der 2009 vergeblich um ein Klimaabkommen gerungen wurde, da gab es eine Attraktion. Es waren nicht die Reden der französischen Energiewendeministerin oder des dänischen Klimaministers, sondern die Präsentation einer eher kleinen irischen Firma.
Das Unternehmen Gazelle stellte ein schwimmendes Fundament vor, das Windräder mit bis zu 15 Megawatt Leistung tragen kann. Große Windräder an Land bringen es gerade einmal auf ein Drittel dieser Leistung. Weil der Wind über dem Meer wesentlich stetiger und mit höherer Geschwindigkeit weht, soll die Windenergie jetzt schwimmen lernen.
Das klingt nach einer ziemlich verrückten Idee: schwimmende Windräder. Allerdings nur auf den ersten Blick. „In vielen Regionen der Welt geht es vor der Küste schnell sehr steil in die Tiefe“, sagt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Beispielsweise vor Indien, Taiwan, Japan oder Portugal. Sehr steil bedeutet gleich mehrere hundert Meter.
Für Offshore-Windräder, wie wir sie kennen, ist das viel zu tief, sie müssen ja im Meeresboden versenkt werden. „Offshore-Windkraft ist aber enorm wichtig beim Umbau zu einer klimafreundlichen Stromversorgung“, urteilt Volker Quaschning. Also muss eine Alternative her.
In Nord- und Ostsee ruhen die Windräder weit draußen bisher auf unterschiedlichen Fundamenten. Drei verschiedene Bauarten sind möglich, die sogenannten Tripods, Jackets oder Monopiles: Tripods sind Dreibeine, die in den Meeresboden gerammt werden; Jackets sind fachwerkartige Stahlkonstruktionen, die unter Wasser das Windrad halten – sie sehen ein bisschen aus wie die Unterteile von Hochspannungsmasten. Kommt ein Monopile zum Einsatz, hält ein einziges festes Fundamentrohr die Anlage im Wind.
Deutschland besonders gut für Offshore-Windräder geeignet
Allerdings können solche Fundamente nur in Wassertiefen von 30, maximal 60 Metern aufgebaut werden. „Deutschland und andere Ostsee- und Nordsee-Anrainer haben Glück. In ihren Gewässern gibt es solche Wassertiefen“, sagt Quaschning. Deshalb liegt Deutschland mit mehr als 1.500 Offshore-Windrädern in seinen Hoheitsgewässern hinter Großbritannien bei der Technologie auch auf Platz zwei.
Weltweit aber sind solche Standorte selten, wie das Beispiel Japan zeigt. Mit fast 39.000 Kilometern Küstenlinie besitzt das Land ein gewaltiges Offshore-Windpotenzial. Allerdings fallen die Küsten in der Regel so schnell in Wassertiefen unter 500 Meter ab, dass herkömmliche Offshore-Technik nicht möglich ist. Deshalb rief das japanische Wirtschaftsministerium 2012 das sogenannte Forward Project ins Leben, um die Stromproduktion mit schwimmenden Windrädern zu erforschen.
Und natürlich sind die Japaner nicht die Einzigen, die der Windkraft das Schwimmen beibringen wollen. In Norwegen etwa dreht sich seit 2009 ein Versuchswindrad mit fünf Megawatt Leistung auf einem zylindrischen Schwimmkörper. Vor der bretonischen Küste erzeugt seit 2018 ein Windrad auf einem Betonschwimmer Strom. Auch 20 Kilometer vor der portugiesischen Küste treiben drei Windräder.
Dabei treiben die Rotoren auf Schwimmkörpern, die mit dem Meeresgrund vertäut sind. Die Seile sind armdick und können bei großer Tiefe mehr als 100 Tonnen wiegen. „Als Inspiration für ihre Entwicklungsarbeit dienen den Ingenieuren die Plattformen der Erdöl- und Erdgasindustrie“, sagt Professor Quaschning.
Die Anforderungen an die Windtechnik sind gigantisch. Die Gondel eines Windrades wiegt um die 450 Tonnen, dazu kommt das Gewicht der Rotorblätter. Die Ingenieure müssen schwimmende Plattformen entwickeln, die ein solches Gewicht in 150 Metern Höhe stabil halten, obwohl es sich – je nach Windrichtung – um die eigene Achse dreht. Dazu kommt: Die Kraftwerke im Meer müssen ihren Dienst auch bei 19 Meter hohen Wellen sicher erfüllen, wie sie zum Beispiel an einer norwegischen Versuchsplattform vorkommen.
Bisher scheiterte die Idee am Kostenfaktor
Lange waren die Kosten für den produzierten Strom aus der „schwimmenden Windkraft“ sehr hoch. „Die Systeme stehen technologisch kurz vor dem Durchbruch“, urteilt nun aber Volker Quaschning von der HTW Berlin. Hilfreich dafür sind solche Entwicklungen, wie sie die irische „Gazelle“ auf der Windmesse in Kopenhagen vorgestellt hat. Verglichen mit bisher eingesetzten schwimmenden Plattformen braucht das Fundament aus Dublin wesentlich weniger Stahl, was die Kosten nach Firmenangaben um 30 Prozent reduzieren soll.
Noch steckt die schwimmende Windkraft in den Kinderschuhen, Ende 2021 betrug ihre weltweit installierte Gesamtleistung 139 Megawatt – verglichen mit mehr als 55.000 Megawatt jener Offshore-Windkapazität, die auf Tripods, Jackets oder Monopiles in den Meeren aufgebaut ist. Mittlerweile sind aber auch große Konzerne wie Siemens, Equinor oder Statoil ins Geschäft eingestiegen.
Die Europäische Investitionsbank hat im vergangenen Jahr mehr als 200 Millionen Euro freigegeben, um drei Pilotparks für schwimmende Offshore-Windkraftanlagen vor der französischen Mittelmeerküste anzuschieben. Im Oktober 2022 ging in Norwegen der aktuell weltgrößte schwimmende Offshore-Windpark ans Netz.Derzeit sind ein gutes Dutzend Windparks mit jeweils Hunderten Schwimmanlagen in Planung, etwa zwischen Irland und Wales, aber auch in Südkorea oder den USA.
Zwar ist wegen der Küstengeografie Deutschland eher kein Land für schwimmende Kraftwerke, aber die Technik könnte eine Chance für deutsche Firmen sein. Der Energiekonzern EnBW aus Baden-Württemberg ist dabei führend. Sein Projekt Nezzy2 trägt gleich zwei Windräder auf einer schwimmenden Plattform. Unweit des ehemaligen Atomkraftwerks Lubmin war eine Modellanlage im Meeresboden der Ostsee verankert, jetzt wird solch ein Doppelwindrad im Südchinesischen Meer aufgestellt. „Die Anlage ist auf Taifune mit Wellen von 21 Metern Höhe ausgelegt“, sagt Chefkonstrukteur Sönke Siegfriedsen.
Auch RWE baut mit. In den USA plant der Konzern ein schwimmendes Offshore-Projekt mit bis zu 1.600 Megawatt. Im Dezember gewann RWE die Ausschreibung für die Humboldt-Bucht, wo eine Wassertiefe von bis zu 723 Metern herrscht. Das ist viel zu tief für eine klassische Anlage, aber wenn alles klappt, ist die Bucht nun bald ein Windenergiestandort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“