Endorsements im US-Wahlkampf: Ab jetzt ohne Empfehlung
Die „Washington Post“ und „LA Times“ brechen mit der Tradition, eine Wahlempfehlung auszusprechen. Aus journalistischer Sicht ist das genau richtig.
A ufruhr in den USA: Vergangene Woche kündigte die LA Times an, dass sie 2024 keine Wahlempfehlungen für das Weiße Haus aussprechen wird. Auch die Washington Post wird darauf verzichten. Damit brechen beide Zeitungen mit der jahrelangen Tradition des politischen „Endorsement“, bei dem in einem Leitartikel für eine oder einen Präsidentschaftskandidat*in argumentiert wird.
Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Mariel Garza, Redakteurin im „Editorial Board“ der LA Times – das Meinungsressort der Zeitung, das auch für Wahlempfehlungen zuständig ist –, kündigte prompt am Mittwoch ihren Rücktritt an. Zwei weitere Mitglieder des Editorial Boards folgten am Donnerstag, darunter der Pulitzer-Gewinner Robert Greene.
Bei der Washington Post hat der Editor-at-Large Robert Kagan gekündigt. „Beunruhigende Rückgratlosigkeit in einer Institution, die für ihren Mut bekannt ist“, schrieb Martin Baron, ehemaliger Chefredakteur der Zeitung. Auch Post-Veteranen Bob Woodward und Carl Bernstein kritisierten die Entscheidung öffentlich. Beide Zeitungen verlieren nun Tausende Abonnent*innen.
Doch die Entscheidung, keine Wahlempfehlung auszusprechen, ist aus journalistischer Sicht die richtige. Die Aufgabe von Medien soll sein: Leser*innen so zu informieren, dass sie selbst fundierte politische Entscheidungen treffen können – nicht selbst Wahlkampf zu machen. Kritisiert werden müssen dabei alle Parteien und Politiker*innen. Das ist die wichtige Rolle der Medien in einer Demokratie.
Eine Gefahr für die Demokratie
Dass Trump eine Gefahr für eben diese Demokratie darstellt, dass sogar sein Ex-Stabschef ihn inzwischen als „Faschisten“ bezeichnet, dass er in einer zweiten Amtszeit die US-Demokratie radikal um- und abbauen würde – über all das haben die Washington Post, die LA Times und auch viele andere Medien schon mehrfach ausführlich und kritisch berichtet.
Wer Trump trotzdem wählt, tut das meist aus tiefer Überzeugung, aus einer Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, aus einer Resistenz gegenüber Fakten – und wird sich nicht durch die offizielle Wahlempfehlung einer Zeitung beeinflussen lassen. Im Gegenteil: Trumps Narrativ einer befangenen Lügenpresse, der „Fake News Mainstream Media“, findet unter seinen Stammwähler*innen dadurch noch mehr Glaubwürdigkeit. Denn es ist kein Geheimnis, dass die Post und die Times sich nicht für ihn ausgesprochen hätten.
Die Tradition des Endorsement ist dabei gar nicht so tradiert, wie manche behaupten. In Deutschland ist die Praxis ungewöhnlich. Die LA Times war seit ihrer Gründung 1881 eine eher konservative Zeitung, die die Republikaner unterstützte. Nachdem sie 1972 Richard Nixon empfohlen hatte und er nach dem Watergate-Skandal zurückgetreten war, beendete sie die Praxis – bis 2008. Dann sprach sie sich für Barack Obama aus und empfahl seitdem immer die demokratischen Kandidat*innen in Präsidentschaftswahlen.
Bei der 1877 gegründeten Washington Post gehörte es eigentlich zur Tradition, keinen Kandidaten zu unterstützen. Erst ab 1976 begann die Zeitung, regelmäßig Wahlempfehlungen auszusprechen und hat seitdem immer die Demokraten unterstützt (mit Ausnahme der Wahl 1988, bei der es keine gab).
Hilfe zur Selbsthilfe
Bei beiden Zeitungen setzten sich die Eigentümer durch, die Praxis zu beenden, wie mehrere Medien berichten. Der Unternehmer Patrick Soon-Shiong, der seit 2018 die LA Times besitzt, wolle lieber Leser*innen anhand unparteiischer Informationen selbst entscheiden lassen, wen sie wählen wollen, schrieb er auf X. Amazon-Gründer Jeff Bezos, der 2013 die Washington Post kaufte, hat sich dazu nicht geäußert. Aber William Lewis, seit Herbst 2023 Chef der Zeitung, begründete den Schritt ähnlich wie Soon-Shiong.
Die Argumentation ist an sich richtig, die Entscheidung begrüßenswert, auch wenn manche zynische Geschäftsgründe dahinter wittern. Trotzdem muss man sie bestenfalls ambivalent sehen. Denn sie kommt zur Unzeit. Die Praxis des Endorsement ausgerechnet jetzt zu beenden, wo Trump und Harris immer noch Kopf an Kopf in den Umfragen stehen, wo Trumps Rhetorik immer enthemmter, dystopischer und vor allem wahnsinniger wird, wo immer mehr Expert*innen davor warnen, dass ein Trump-Sieg der Anfang vom Ende der US-Demokratie sein könnte, ist bitter, wenn nicht fatal.
Die richtige journalistische Praxis ist die eine Sache. Die Rettung der liberalen Demokratie jedoch eine völlig andere, die mit allen möglichen Mitteln unterstützt werden muss. Denn nach deren Abschaffung wird es keine freie Presse mehr geben.
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