Ende von rot-grün in Hannover: Aufbruch abgesagt
Hannovers rot-grüne Koalition zerlegt sich vordergründig wegen des Streits um die autoarme Innenstadt. Dahinter steckt eine Profilneurose der SPD.
A ch, es hätte ja so schön sein können. Endlich mal ein OB, der was hermacht, bundesweit Gehör findet, ein Hauch von Aufbruchstimmung weht durch das als langweilig verschriene Hannover.
Nee, sagt da die SPD, aber nicht mit uns. Nun haben sie also wirklich die grün-rote Koalition im Rathaus platzen lassen. Vordergründig, weil sie das Innenstadtkonzept des Oberbürgermeisters nicht mittragen wollten, hintergründig spielten wohl auch viele persönliche Befindlichkeiten und eine wuchernde Profilneurose eine Rolle. Die gute alte Wer-ist-hier-Koch-und-wer-Kellner-Frage, die hat ja Tradition in diesem Bündnis.
Es war schon darüber spekuliert worden, die SPD könnte künftig mit CDU und FDP eine Koalitionsmehrheit formen und dem grünen Oberbürgermeister Belit Onay das Leben sehr schwer machen. Aber nein, mit wechselnden Mehrheiten im Rat wolle man es jetzt versuchen, sagt SPD-Parteichef Adis Ahmetović. Da zähle dann die Kraft des Arguments.
Das klingt doch erst einmal hübsch, demokratietheoretisch jedenfalls, nach Wettstreit der Ideen und so. Der Haken ist nur: Fragt man nach konkreten Ideen, Konzepten, Visionen, die man da in den Wettstreit werfen wollte, werden einem schnell die Augen glasig und die Ohren schalten ganz von allein auf Durchzug.
Die Sache mit dem großen Wurf haben die Sozialdemokraten nämlich bisher ganz gern den Grünen überlassen, beschränken sich selbst lieber aufs Rummosern und kleines Karo. Auch jetzt wieder bei der großen Pressekonferenz zum Koalitionsbruch. Das einzige konkrete Beispiel, das kam: Eine Buslinie auf der Waldchaussee. Hm. Ansonsten beschränkt sich die Kritik auf: „Das muss man breiter diskutieren“ (nämlich mit Wirtschafts- und Sozialverbänden) und: „Was wird denn das kosten?“ (als ob so ein grundlegendes Konzept schon bis ins Letzte durchgerechnet sein könnte).
Die SPD scheint vollkommen darauf fixiert zu sein, dem grünen OB auf gar keinen Fall sein Prestigeprojekt zu gönnen. Aber welches Profil glaubt sie damit zu gewinnen? Wäre es nicht klüger, eigene Akzente zu setzen? Sich auf soziale Fragen zu konzentrieren, bei denen in der Stadt immerhin auch einiges im Argen liegt? Als totale Autofahrer-Partei und oberste Parkplatzverteidiger wollen die Genossen ja auch nicht durchgehen. Sie wissen, dass diese Rolle längst besetzt ist. Aber bei wem punktet man, wenn man zu allem „ja, schon, aber nicht so“ sagt?
Aber gut, auf der anderen Seite muss man den hannoverschen Grünen wohl vorwerfen, eine paar grundlegende Spielregeln nicht ganz verstanden zu haben: Nämlich, dass man in einem demokratischen Prozess halt Kompromisse machen und Mehrheiten organisieren muss.
Sind die jungen Wilden zu eifrig vorgeprescht? Haben sie die Beharrungskräfte unterschätzt? Oder die Woge der Zustimmung überschätzt, die sie durch die Oberbürgermeisterwahl 2019 und die Kommunalwahl 2021 getragen hat? Haben – wie es manche Sozialdemokraten behaupten – die multiplen Krisen der letzten zwei Jahre die Veränderungsbereitschaft der Bürger aufgezehrt? Ist das jetzt zu viel verlangt, wenn die auch noch woanders parken sollen?
Mal sehen, welche Erzählung am Ende hängen bleibt. Die eine geht so: Diese Grünen wollen ja immer nur auf Teufel komm raus ihre ideologischen Ziele durchsetzen, dabei ist nichts zu Ende gedacht und schon gar nicht durchgerechnet. Die andere geht so: Die SPD will alles zu Tode verwalten und in Hinterzimmern kleinquatschen bis kein Fortschritt mehr sichtbar ist.
So demontiert man sich gegenseitig. Das ist das traurige Ende eines Bündnisses, das irgendwann einmal für Aufbruch und Fortschritt stand. Man ahnt schon, wer dabei am Ende der lachende Dritte ist: Die, die früher sowieso alles besser fanden. Willkommen in der Hauptstadt des Stillstandes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen