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Ende des Lehrstuhls GeschlechtergeschichteHörsaal in Jena besetzt

Studierende protestieren gegen das Ende der Professur für Geschlechtergeschichte. Und gegen Arbeitsbedingungen studentischer Hilfskräfte.

Aktuell besetzt: der Hörsaal 1 der Friedrich-Schiller-Universität Jena Foto: Sebastian Drue

Leipzig taz | Auf dem Podium des Hörsaal 1 der Friedrich-Schiller-Universität Jena liegen Matratzen. Nicht, weil Studierende hier eine Pyjamaparty veranstalten oder in der Uni übernachten, um in ihren WGs Energie zu sparen. Sondern weil sie den Hörsaal besetzen – und das bereits die fünfte Nacht in Folge.

Ihr Protest richtet sich gegen die geplante Abschaffung des bundesweit einzigen Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte. Die Professur von Lehrstuhlinhaberin Gisela Mettele, die 2025 in den Ruhestand geht, soll nicht nachbesetzt werden.

Grund dafür sind Sparmaßnahmen: Die Uni Jena hat sich dazu verpflichtet, die Juniorprofessur für Digital Humanities – die seit 2019 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wird – nach sechs Jahren in eine Vollprofessur umzuwandeln und selbst zu finanzieren. Das kostet Geld – was die Uni an anderer Stelle sparen muss.

Um den Lehrstuhl Geschlechtergeschichte zu erhalten, haben die Studierenden seit der Bekanntgabe der Pläne im Sommer schon vieles probiert, etwa eine Kundgebung veranstaltet und eine Petition gestartet, die mehr als 2.900 Personen unterschrieben haben. Weil das nichts gebracht hat, haben sie nun härtere Maßnahmen ergriffen – und den größten Hörsaal der Uni Jena mit knapp 200 Studierenden besetzt. So wollen sie die Unileitung dazu bringen, die Professur von Lehrstuhlinhaberin Gisela Mettele nach ihrer Emeritierung neu zu vergeben.

Fatales Signal

„Wir besetzen den Hörsaal so lange, bis uns die Uni versichert, dass der Lehrstuhl Geschlechtergeschichte erhalten bleibt“, sagt Jonas, 23, am Telefon. Er ist einer von rund 40 Studierenden, die den Hörsaal seit Mittwoch dauerhaft besetzen. „Die Abschaffung der Professur Geschlechtergeschichte ist antifeministisch und sendet ein fatales politisches Signal – denn die Uni geht damit indirekt der Forderung der Thüringer AfD nach, Gender-Lehrstühle nicht nachzubesetzen“, sagt Jonas, der seinen Nachnamen aus Angst vor rechten Gruppierungen in Jena nicht nennen möchte. „Das Vorhaben der Uni steht im Widerspruch dazu, dass sie sich klar zu gendergerechter Sprache bekennt und Genderthemen lehrt.“

Jonas und die anderen Pro­test­ierenden kritisieren aber nicht nur die Abschaffung des Lehrstuhls an sich, sondern auch die Art und Weise, wie die Entscheidung getroffen wurde. Die Perspektive der Studierenden habe dabei keine Rolle gespielt.

Zunächst habe eine „völlig undurchsichtig“ besetzte Kommission beschlossen, entweder den Lehrstuhl Geschlechtergeschichte oder den Lehrstuhl Mittellatein zugunsten der Digital Humanities zu streichen. Die endgültige Entscheidung gegen die Geschlechtergeschichte hat dann im Juli der Fakultätsrat der philosophischen Fakultät getroffen. „Wir Studierenden hatten aber nur zwei von 17 Stimmen“, kritisiert Jonas. „Außerdem haben wir erst einen Tag vor der Fakultätsratssitzung erfahren, dass darin darüber abgestimmt werden soll, welcher Lehrstuhl für die Digital Humanities weichen muss.“

Den Vorwurf der Studierenden, die Entscheidung sei „undemokratisch und intransparent“ gefallen, weist der Dekan der philosophischen Fakultät, Christoph Demmerling, zurück. „Das Rechtsamt der Universität hat alle Schritte, die zur Abstimmung führten, eingehend geprüft und festgestellt, dass der Prozess keinen Anlass für Beanstandungen gibt“, sagt Demmerling der taz. „Es fanden verschiedene Gespräche und Diskussion im Vorfeld der Entscheidung im Fakultätsrat statt. Jeder hätte davon wissen können, dass da ein Entscheidungsprozess anstand.“

Zur Entscheidung gegen die Geschlechtergeschichte sagt Demmerling, dass der Wegfall einer Professor immer ein „inhalticher Verlust“ sei. „Aber im Fall der Geschlechtergeschichte lautete ein Argument, dass der Verlust besser kompensiert werden könne als an anderen Stellen, da Geschlechterthemen in vielen Bereichen der Fakultät – und zwar in Lehre und Forschung – eine wichtige Rolle spielen.“

Professorin begrüßt Protest

Gisela Mettele, die derzeitige Lehrstuhlinhaberin der Geschlechtergeschichte, hält dagegen. „Das Argument, der Lehrstuhl sei nicht mehr nötig, da Geschlechtergeschichte ein Querschnittsthema sei und in den Fächern ohnehin präsent, entspricht nicht den Realitäten.“ Mettele, die in drei Jahren in den Ruhestand geht, plädiert für die Nachbesetzung ihres Lehrstuhls und begrüßt den Protest der Studierenden.

Diese setzen sich neben dem Erhalt der Professur und mehr Mitbestimmung auch für bessere Arbeitsbedingungen von studentischen Hilfskräften ein. „Unsere zweite Kernforderung sind Tarifverträge für studentische Beschäftigte in Thüringen“, sagt Nico, der zwei Hiwi-Jobs hat und ebenso wie Jonas den Hörsaal besetzt. „Wir bekommen gerade mal den Mindestlohn und müssen uns nach zwei oder drei Monaten meist wieder neue Jobs suchen, weil die Verträge so kurz sind“, kritisiert der 24 Jahre alte Soziologiestudent.

Studentische Hilfskräfte werden bisher nur in Berlin nach Tarif bezahlt. Thürigens Finanzministerin Heike Taubert (SPD) reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf die Anfrage der taz, wie sie zu der Forderung nach einem Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte steht.

Wie lange die Studierenden noch den Hörsaal 1 besetzen werden, ist unklar. Am Freitag, dem dritten Tag der Besetzung, haben sich Uni-Leitung und Studierende zu einem ersten Gespräch getroffen. „Insgesamt war es ein angenehmes Gespräch“, heißt es in einem Statement der Hörsaal-Besetzer:innen. „Es zeigten sich viele Gemeinsamkeiten, etwa die geteilte Einschätzung, dass der Geschlechtergeschichte als Forschungsgebiet eine hohe wissenschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung zu kommt.“

Zufriedengeben wollen sich Jonas, Nico und die anderen Demonstrierenden damit aber nicht. „Eine Beendigung der Besetzung ist erstmal nicht geplant“, sagt Jonas. In dieser Woche sollen weitere Gespräche zwischen Unileitung und Studierenden stattfinden. Darin soll es insbesondere um die Arbeitsbedingungen studentischer Hilfskräfte sowie die Forderung nach mehr demokratischer Mitsprache gehen.

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9 Kommentare

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  • Die Fakultät hat im Fakultätsrat mit demokratischer Mehrheit beschlossen eine andere Richtung der historischen Forschung und Lehre zu stärken und dafür eine auslaufende Professur nicht nachzubesetzen. Die Einmischung der Politik und Medien in die Angelegenheiten einer Fakultät sind befremdlich. Es gibt im übrigen keine Lehrstühle mehr an der Universität Jena, auch wenn einige Professor*innen das behaupten. Dass die Professorin über Ihre Zeit hinaus ihre Denomination behalten möchte ist verständlich aber höchst undemokratisch. Demokratische Entscheidungen sind auch dann zu respektieren, wenn sie einem persönlich missliebig sind.

    • @Historikerin:

      Die sog. demokratische Entscheidung wurde auf der letzten Sitzung des amtierenden Fakultätsrats vor der Sommerpause im letzten Tagesordnungspunkt getroffen. Die universitäre Öffentlichkeit erfuhr einen Tag vorher davon. Was diese Öffentlichkeit hier erfuhr, war dann auch lediglich, dass es um die Finanzierung der Digital Humanities geht. In den Hinterzimmern war offenbar bereits lange vorher klar, wohin die Reise gehen soll. Alle Einsprüche im Nachhinein, die an diesem undurchsichtigen Verfahren erhoben worden sind, wurden dann vom Rechtsamt weggewischt, denn rein formal lief ja alles "demokratisch". Das ist dann die demokratische Entscheidung, die die Studierenden respektieren sollen? Zudem ist doch sehr zweifelhaft, dass alle Personen in diesem Fakultätsrat sich nach so kurzer Debatte zum Thema auf einer einzigen Sitzung überhaupt adäquat informieren konnten - noch dazu auf Grundlage eines schlecht gegliederten, ohne jede Vergleichsmaßstäbe zusammengeschriebenen 22-seitigen Strukturkommissionspapiers (was ganz sicher alle aufmerksam, vorher gelesen haben).

      • @Anne.:

        Nun ja, was die "universitäre Öffentlichkeit" erfährt, hängt auch damit zusammen, worüber sich sie sich informiert (die Universität ist nicht schuld, wenn Kommissionspapiere nicht gelesen werden!); dass universitäre Entscheidungprozesse manchmal undurchsichtig sind, ist ärgerlich, aber das Besetzen eines Höhrsaals ist auch nicht gerade ein demokratisches Verfahren - zumal es hier um Entscheidungen geht, die langfristige Folgen haben und kaum die gegenwärtigen Studierenden betreffen.

    • @Historikerin:

      Nicht als Kritik, sondern als Ergänzung möchte ich hier anmerken, dass hier der Universität der Schwarze Peter für Entscheidungen zugeschoben wird, die einem viel zu knappen Etat geschuldet sind; nun kenne ich keine Jenaer Interna - aber aus Erfahrungen an anderen Universitäten kann ich sagen, dass sich niemand solche Entscheidungen leicht macht. Wenn, wie oben im Artikel, die AfD ins Spiel gebracht wird, ist das diffamierend und lenkt vom eigentlichen Problem ab - dem nämlich, dass Deutschland seit langem nicht mehr genügend in das Bildungssystem investiert - mit Folgen wie in Jena.

  • Zitat Dekan: „Es fanden verschiedene Gespräche und Diskussion im Vorfeld der Entscheidung im Fakultätsrat statt. Jeder hätte davon wissen können [...].“ Fakt ist allerdings, dass die Studierenden und wohl auch die Angestellten genau einen Tag vor der Entscheidung des Fakultätsrats am 12. Juli davon erfuhren! Der Tagesordnungspunkt lautete auch nicht "Streichung", sondern lediglich Zitat "TOP 6a: Bericht der Strukturkommission zur Finanzierung der Verstetigung der Juniorprofessur Digital Humanities". Von "Gesprächen" und "Diskussionen" (Plural!!!) zu sprechen, ist eine Frechheit und zeigt, dass die Besetzung des Hörsaals leider notwendig ist, um das einzufordern, von dem behauptet wird, es hätte bereits stattgefunden.

  • Ich verstehe diesen Protest, weil dies wieder ein Indiz dafür ist, dass sogenannte Orchideenfächer, mit dem rationalisierenden Argument wegstruktutiert werden, dass, wie in diesem Fall, Genderthemen auch in anderen Zusammenhängen mitthematisiert werden. Der anglistische Begriff "gender studied" wird generell sehr spezifisch - funktionell gebraucht, wie ihn Foucault versteht. Der deutsche Begriff Geschlechtergeschichte ist viel weitreichender zu verstehen und bezieht sich nicht nur historiografisch, sondern kann auch genealogische im Sinne eines Gattungsbegriff verstanden werden.

    • @Takker:

      Tja, die Fakultät ist da eben auch in sich gespalten. Die Fakultät hat sich dennoch mehrheitlich entschlossen, das Kleine Fach Digital Humanities auf Kosten der Geschichte zu stärken. Geschlechtergeschichte ist eine Spezialisierung innerhalb der Geschichte. Kleine Fächer sind definiert : www.kleinefaecher....echer-von-a-z.html

    • @Takker:

      Das Problem hier ist allerdings, dass zwei Orchideen-Fächer gegeneinander ausgespielt werden; Mittellatein ist mittlerweile auch sehr selten geworden, fällt aber in einer Zeit schwindender philologischer Kompetenzen eine wichtige Lücke. Dass Mediävistik in taz-nahen Kreisen nicht besonders populär ist, überrascht nicht, aber zumindest soviel Kulturbewusstsein sollte man besitzen, dass man auch die Geschichte vor 1800 zur Kenntnis nimmt - und das geht nicht nicht ohne eine solide mittel- und neulateinische Ausbildung bzw. ohne Fächer wie Mittellatein und Byzantinistik, die hier entsprechende Grundlagen legen.



      Das ist eine ärgerliche Situation und ich bin über den Verlust der Professur für Geschlechtergeschichte auch traurig; dass das studentische Aktivistenmilieu das aber mal wieder zum Anlass nimmt, die eigene Kultur- und Wissenschaftsresistenz unter Beweis zu stellen, macht das alles nicht besser.

  • Nun, das Fach ist nicht am Ende. Das gibt es so eigentlich nicht. Beendet wird die Nomination der Professur.



    Die Stelleninhaberin - die natürlich gegen das Ende ist - kommt ja auch aus dem Fach Geschichte. So könnte wohl auch eine andere Historikerin das eine Modul Geschlechtergeschichte im BSc Studium übernehmen (und weitere Seminare).



    Fächer und Studienangebote werden laufend aktualisiert. Und das ist richtig so. Auch ohne Landespolitik.

    Da die Studierenden auch einen zweiten - nicht korrelierenden - Punkt haben, die Hiwi Verträge, wird sich ein Kompromiss finden lassen. Die Uni Jena wird, wie viele andere Unis, auf längerfristige Hiwi Verträge umstellen (müssen). Das benötigt auch Verrenkungen, aber von der anderen Seite, den Anbietern. Und führt natürlich dazu das weniger Studierende einen solchen Vertrag bekommen.