Ende des Baubooms in Spanien: Die Jugend kann nur auswandern
Seit dem Ende des Baubooms sind hunderttausende Jugendliche arbeitslos. Auch Akademiker von Rezession betroffen: "Mileuristas", die 1.000-Euro-Verdiener, werden sie genannt.
Männlich, zwischen 25 und 29 Jahre alt. So sieht der spanische Krisenverlierer schlechthin aus. Seit die Spekulationsblase 2008 geplatzt ist und die Bauindustrie fast völlig zum Erliegen kam, haben 1,7 Millionen junge Menschen zwischen 16 und 35 Jahren ihren Job verloren. 93 Prozent der durch das Ende des Baubooms vernichteten Arbeitsplätze hatte diese Altersgruppe inne. Eine Generation, die erstmals von Vollbeschäftigung träumte, ist unsanft erwacht. Insgesamt sind in Spanien 4,1 Millionen Menschen als arbeitslos gemeldet. Das ist eine Quote von 20 Prozent.
Von den 1,7 Millionen unter 35 Jahren, die ihren Job durch das Ende des Baubooms verloren haben, sind 68 Prozent Männer. Bisher waren es in Spanien immer die Frauen, die zuerst ihre Arbeit verloren. Im Jahrzehnt des Booms schmissen viele junge Männer die Schule oder die Berufsausbildung hin. Schließlich war auch als unqualifizierter Arbeiter gutes Geld zu verdienen. Verließen 2004 schon 34 Prozent der jungen Menschen beiderlei Geschlechts die Schule ohne Abschluss, waren es 2006 sogar 40 Prozent. Und unter den jungen Männern lag die Quote bei 47 Prozent. Erst einmal arbeitslos, sind diese Menschen nur schwer zu vermitteln.
Doch selbst ein abgeschlossenen Hochschulstudium ist keine Garantie für einen guten Arbeitsplatz und vor allem nicht für ein gutes Einkommen. "Mileuristas", die 1.000-Euro-Verdiener, taufte der spanische Volksmund die jungen Akademiker mit schlechter Bezahlung und Zeitvertrag. Selbst in der Forschung sind sie tätig. Nachdem die Regierung im neuen Haushalt die Ausgaben für Universitäten und Institute zusammengestrichen hat, droht vielen von ihnen die Arbeitslosigkeit. Längst ist von einer "Flucht der Gehirne" die Rede. Hochqualifizierte junge Spanier treten den selben Weg an wie einst ihre Großeltern. Sie emigrieren nach Europa oder in die Vereinigten Staaten.
Die sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit unter den jungen Spaniern sind nicht zu übersehen. Sie werden immer später flügge. Eine Umfrage zeigt, dass knapp 62 Prozent der jungen Menschen zwischen 18 und 29 bei ihren Eltern leben. In der Hauptstadt Madrid sind es gar 69 Prozent. Die Jugendlichen sind damit gleich doppelt Opfer des Baubooms. Die Preise für eine Wohnung vervierfachten sich in den zehn Jahren vor der Krise, für junge Menschen unerschwinglich. Jetzt sinken sie zwar allmählich, doch die jungen Menschen sind ohne Arbeit und liegen den Eltern auf der Tasche. Jeder dritte spanische Familie hat am Monatsende regelmäßig finanzielle Schwierigkeiten. Und knapp 40 Prozent geben an, sich nicht einmal einen einwöchigen Urlaub leisten zu können.
Um die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, kramt so mancher wieder die alten Rezepte hervor. So verlangt der Unternehmerverband einen speziellen Arbeitsvertrag für junge Menschen. Danach sollen sie bei Kündigung nur eine geringe Entschädigung erhalten. Außerdem müsse der Staat einen Teil der Sozialversicherungsbeiträge übernehmen. "In jeder Krise werden die Jugendlichen beäugt, als wären sie für ihre Lage verantwortlich, als wollten sie gar nicht arbeiten", beschwert sich der Direktor des staatlichen Jugendinstituts, Gabriel Alconchel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“