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Ende der Ära DraghiMarios großes Experiment

Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt

Mit Mario Draghi geht an der Spitze der EZB ein Mann, der mit seiner Nullzinspolitik wie kein anderer die europäische Finanzpolitik geprägt hat.

Am Donnerstag leitete EZB-Präsident Mario Draghi zum letzten Mal eine Ratssitzumg Foto: Boris Roessler/dpa

M ario Draghi tritt ab und mit ihm ein Mann, der ohne demokratische Legitimation ein gigantisches Experiment mit Europa zu verantworten hat. Das Gute vorweg: Das Experiment glückte, vorerst. Ohne Draghi würde es den Euro wahrscheinlich nicht mehr geben. Sein berühmter Satz von Juli 2012, er werde die Währung retten „whatever it takes“, ist in die Geschichte eingegangen. Er bedeutete: Wer auf den Untergang des Euro spekuliert, wir wetten dagegen und wir können Geld drucken, ihr nicht. Das hat die Währung gerettet.

Der Euro ist ein noch junges Kons­trukt, ebenso wie seine Zentralbank. Was sie darf und muss, ist im Vertrag von Maastricht festgelegt – doch wie sich daraus eine politische Praxis schmiedet, das entschied sich erst im Feuer der Geschichte. Und es war Mario Draghi, der die Rolle der EZB geschmiedet hat.

Er hat durchgesetzt, dass die EZB Staaten finanzieren darf: Für die Rettung des Euro kaufte die EZB Staatsanleihen auf, vom Sekundärmarkt, nicht direkt von den Finanzministerien in Berlin, Athen oder Paris. Auch wenn er öffentlich immer predigte, es gehe nur um das offizielle Mandat der Bank, eine Inflation von zwei Prozent: De facto erweiterte er die Macht der EZB auf Jahrzehnte. Draghi hat politisch Geschichte geschrieben. Nebenbei ist jetzt auch geregelt, wer die EZB kontrolliert: Der Europäische Gerichtshof machte durch seine Urteile klar, dass er die Zentralbank stoppen darf, tat es nur nicht.

Die Deutschen sind nun gefangen in einer Ironie der Geschichte: Sie wollten, dass die EZB genauso unantastbar ist, wie sie Draghi gemacht hat – und hadern nun permanent mit deren Nullzinspolitik. Auch die ist ein gigantisches Experiment, für das es kein historisches Pendant gibt, aus dem sich Rückschlüsse über den Ausgang schließen lassen. Die Nullzinsen sind der eigentliche Grund der schwarzen Null im Bundeshaushalt, sie lassen Sparer*innen mit Sparbuch fluchen und Aktienbesitzer*innen jubeln. Sie haben dem Euroraum ökonomisch auf die Beine geholfen und legen die Grundlage für die nächste Krise. ­Draghis Experiment wird Europa noch lange beschäftigen.

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Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.

3 Kommentare

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  • ­Mario Draghis Experiment wird nicht nur Europa sondern alle Welt lange beschäftigen, weil Draghi, unter vergeblicher Prämisse, ein Zeitfenster zu für Strukturwandel zu öffnen, mit seiner Negativzinspolitik auf der Basis der Geldquantität Ausweitung die Unwuchten in unserer asymmetrisch aufgestellten Weltwirtschaft, Umverteilung von unten nach oben, samt Weltwährungssystem verstärkt hat, u. a. abgebildet an einer Kreditvolumenblase billigen Geldes für vermögensnahe Schichten, bei anschwellender Überschuldung von Privathaushalten, staatlichem Sektor, Handelsbilanzüberschüssen Chinas, Japans, Deutschland allein an 300 Milliarden €anno, Handelsbilanzdefiziten bei anderen Weltwirtschaftspartnern, USA allein an 2 Billionen $/anno ohne Ausgleichsmechanismen mit der Folge des Rückbaus freien Handels, Wandels, Verkehrs durch Protektionismus, Zollschranken, erschwerte Freizügigkeit für Personen Grenzvrkehr, Güter, Dienstleistungen.

    Am Ende der Ära Draghis scheint alle Welt geneigt, ihn unkritisch zu feiern, damit nicht die eigenen Unterlassungen auf Regierungsebene bei der Reform des Weltwährungssystems, der Weltwirtschaft, IWF, Weltbank, WTO, UNO nicht auf die Tagesordnung kommen auch wenn das eine Entscheidung für die Ausweitung militärischer Ausbildungs- , Stabilisierungsmissionen in der Welt, die Rückkehr der Generäle in Krisengebiete, Krieg in Failed States Strukturen an der Peripherie Europas, Afrikas, Kleinasiens bei gleichzeitigem Rückzug der Diplomatie bedeuten wird, s. CDU Bundesverteidigungsministerin AKKs Vorstoß Nordsyrien aus der Hüfte, ich wollte es nur einmal zum richtigen Zeitpunkt gesagt haben, auich wenn daraus erst einmal nichts wird.

  • Wie kann man ernsthaft von demokratischer Legitimation sprechen die bei Draghi fehlte? Politik und Zentralbank sind per Definition zu trennen um frei von deren Begehrlichkeiten und der der Wähler den politisch festgelegten Auftrag zu erfüllen.



    Und wieso schließt sich Sparer und Aktionär aus, bzw. hier so getan wird als dass das per Definition getrennte Welten wären?



    Stimmunsmache für den der sich aufregen will.....bin da nicht dabei, sorry.

    • @Tom Farmer:

      EZB ist im herkömmlichen Verständnis keine Nationale Zentralbank, sondern eine privatrechtlich aufgestellte Agentur, wie die FED in den USA, an der Mitgliedsländer, orientiert an deren Wirtschaftskraft, mit einem Vertreter ihrer eigenen Zentralbank beteiligt sind.

      An US Präsident Donald Trumps Politik des Protektionismus, der Zollschranken seit 2017, bisher vergeblich das US Handelsbilanzdefizit zurückzuführen, lässt sich verstärkt seit Nine Eleven 2001 exemplarisch abbilden, wie Zentralbanken, sonders die FED mit ihrer Währungs- , Nullzinspolitik der Geldquantität solcher Regierungspolitik mit der Wirkung folgt, dass G 20 Staaten, von den übrigen nicht zu reden, die Spaltung ihrer Volkswirtschaften in Vermögensinflation, abgebildet in Aktien Indices Kursexplosionen an den Börsen einerseits, die den Zugang zu Vermögen wie Immobilien, Grund, Boden immer teurer macht, Motor für das Aufblähen von Kreditvolumen ist, virtuelles BIP Wachstum zu generieren, andererseits Kaufkraftverlust, einhergehend mit drohend deflationärem Preisverfall, bei anschwellender Überschuldung von Privathaushalten als Umverteilung von unten nach oben im permanenten Krisenmodus hinnimmt, als befänden wir uns im III. Weltkrieg?