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Ende Gelände in der LausitzTausende blockieren Tagebaue

Erfolg für Ende Gelände: Braunkohlereviere in Ostdeutschland werden besetzt. Dabei hatte es vorher Drohungen von Rechten gegeben.

Puh! Aktivistin bei der Blockade von Bahngleisen, die zum Kohlekraftwerk Jänschwalde führen Foto: dpa

Cottbus/Jänschwalde/Welzow taz | Um kurz nach acht Uhr stand bereits die erste Blockade: Rund 500 Aktivist*innen erreichten die Kohlegrube Jänschwalde und rutschten in ihren Maleranzügen die sandigen Abhänge hinunter. Im Hintergrund ging die Sonne auf: Eine Kulisse fast wie in einem Science-Fiction-Film, die typisch ist für die Klimaaktivist*innen von Ende Gelände. Am Samstag nach den globalen Klimastreiks ging es gegen fünf Uhr morgens los.

4.000 Menschen aus Berlin, Dresden und Leipzig brachen in Richtung des Leipziger und des Lausitzer Braunkohlereviers auf. Zum ersten Mal dabei war auch ein Ableger von Fridays For Future, „die Antikohlekids“. Anders als bei früheren Aktionen von Ende Gelände gab es dieses Mal kein Camp.

In der Lausitz betreibt das Energieunternehmen LEAG mehrere Kraftwerke und Tagebauten, darunter das größte Kraftwerk Deutschlands. Am Samstagmittag verkündete Ende Gelände, alle Finger (so werden Gruppen von Demonstrant*innen oft genannt) hätten ihre Ziele erreicht. Bei Teichland verhindern rund 400 Aktivist*innen das Durchkommen einer Kohlebahn auf den Gleisen.

Den Aktionen war ein juristisches Tauziehen vorausgegangen. Das Verwaltungsgericht Dresden bestätigte am Freitagabend das behördliche Verbot von Protestaktionen nahe des sächsischen Braunkohlekraftwerks Boxberg. Auch eine Kundgebung bei Leipzig wurde verboten. Fridays for Future Sachsen kritisierte dies als „willkürliche“ Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Bei Klimaprotesten in ganz Deutschland waren bereits am Freitag nach Veranstalterangaben mehr als 600.000 Menschen auf die Straße gegangen.

Sicherheitsrisiko Polizei

Auch die Anti-Kohlekids blockierten gemeinsam mit dem bunten Finger geheingeschränkter Menschen einen Schienenabschnitt. 400 Aktivist*innen des grünen Fingers harrten bis zum Nachmittag im Tagebau Welzow Süd aus und vereinbarten dann mit der Polizei, die Grube ohne Identitätsfeststellung zu verlassen.

Die Stimmung im Vorfeld der Aktion war nicht nur unter den Aktivist*innen angespannt gewesen. Neben Mitarbeiter*innen der Kohleindustrie hatten auch Rechtsextreme teils gewalttätigen Protest gegen Ende Gelände angekündigt. Am Freitagabend hatten Cottbusser Polizist*innen acht mutmaßlich Rechtsextreme mit Axtstielen und Quartzhandschuhen in der Nähe der von Ende Gelände angemeldeten Mahnwachen aufgegriffen.

Auf Twitter verkündete LEAG, Strafanzeigen gegen jeden zu stellen, der die Betriebsgrenzen missachte.

Aber auch Teile der Brandenburger Polizei selbst dürften in den Augen der Aktivist*innen eher ein Sicherheitsrisiko darstellen, nachdem seit Donnerstag ein Bild von Beamt*innen kuriserte, die vor einem Graffiti der Cottbus-Ultras mit der Aufschrift „Stoppt Ende Gelände“ posierten.

In schwarzen Maleranzügen – als Antwort auf die weißen Anzüge von Ende Gelände – hielten Mitarbeiter*innen eine Mahnwache am Kraftwerk Jänschwalde, das wegen der Proteste den ganzen Tag auf Sparbetrieb lief. Auch der Ortsverband der SPD Cottbus Nord war vor Ort und verteilte Tee und Brote.

Kein Verständnis für Ende Gelände

„Für die Blockaden von Ende Gelände habe ich kein Verständnis“, sagte der 23-jährige Julius Gilbert, seit einigen Monaten Mitglied des Ortsverbands. Dabei habe er auch Sympathien für Fridays For Future. Auch der Kohleausstieg sei grundsätzlich in Ordnung, nur die Perspektiven für die Beschäftigten der Branche müssten geklärt werden. Man müsse mehr reden, statt zu blockieren. „Wir sind für den Kohleausstieg, aber nicht vor 2038, denn die Region kann sich nicht so schnell umstellen“, sagte auch Thomas Hauke, Ingenieur für Kraftwerktechnik der LEAG.

Andere Mitarbeiter*innen waren derweil wesentlich unentspannter unterwegs. Auf Twitter verkündete das Unternehmen, Strafanzeigen gegen jeden zu stellen, der die Betriebsgrenzen missachte. Am Tagebau Welsow-Süd, in dem seit morgens eine Gruppe Aktivist*innen Infrastruktur blockierte, fuhren LEAG-Mitarbeiter*innen das Gelände ab und verhinderten, das Journalist*innen sich der Abbruchkante näherten.

Auf Nachfrage einer Journalistin des Neuen Deutschland wollten die LEAG-Mitarbeiter ihren Presseausweis fotografieren. Davor wiederum warnten andere Journalist*innen bei Twitter – in rechten Facebookforen werde mit solchen Fotos gegen Journalisten und Aktivisten gehetzt. Um 15:30 Uhr verkündete auch der goldene Finger, der den Tagebau im Leipziger Revier blockiert hatte, das Gebiet freiwillig zu verlassen.

Parallel kündigten die Aktivist*innen der beiden Gleisblockaden an, die Schienen wieder freizugeben. Für Ende Gelände war der Tag ein Erfolg: Trotz der Drohungen von Rechten im Vorfeld, und obwohl drei Landkreise Versammlungsverbote nahe der Kraftwerke erlassen hatten, ist es den Klimaaktivist*innen gelungen, die Massenaktion wie geplant durchzuführen.

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13 Kommentare

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  • Danke, liebe Frau Schipkowski für den wirklich exakt informierenden Artikel! 💐 .



    Besonders erschüttert hat mich die Info über Quartz[sand]handschuhe.



    Die gehören verboten, sind m. E. Waffen, werden auch von vielen Polizisten benutzt, obwohl sie nicht zur offiziell zugelassenen Ausrüstung gehören.



    Geht gar nicht!



    de.wikipedia.org/w...Quarzsandhandschuh



    Zum Thema 2038, es sei sonst keine Zeit für die "Umstellung" der "Kumpel" (es geht m. E. viel eher darum, den Betreibern genügend Zeit zu verschaffen, sich neue Abzockbereiche zu erschließen – die Menschen sind denen doch so was von wumpe):



    Der Klimawandel wird noch viel mehr –und je länger wir warten – viel schneller Arbeitsplätze kosten, denn wir MÜSSEN die Produktion und den Konsum von ALLEM herunterfahren – das ist ja gerade der "Witz", dass das die Klimakiller sind.



    Und



    Die AlG2-Bezieher hat auch kein Mensch gefragt, ob sie sofort oder erst in 18/19 Jahren zur gesetzlich verordneten Armut verdonnert werden wollen, obwohl ja auch diese Menschen nichts dafür können, wenn die Arbeitsplätze schwinden und nur noch prekäre Beschäftigung "vergeben" wird.



    Die Agenda 2010 war nur der Anfang, um die Menschen gefügig zu machen, und sie jetzt auch die Folgen der Klimakatastrophe auf Armutsniveau ausbaden zu lassen. M. E..



    Wer und warum wählt diese "Leute" immer wieder?! (Rhetorisch…)



    Wie doof "darf" der Mensch sein?!

  • Fridays for Future solidarisiert sich ausdrücklich mit Ende Gelände! Es gab einen gemeinsamen Aufruf, gemeinsame Bilder.

    Und ich kenne persönlich FFF-Demonstranten, die mit Ende Gelände erstmals in der Grube waren. Das nächste mal bin ich selbst dabei.

    Dieser Tag setzte Zeichen: zusammen ist die Klimabewegung unfassbar stark.

    "Sympathien", die der SPD-Mann für hat, bringen FFF überhaupt nichts. FFF hat genug von leerem Lob. Deshalb arbeitet man jetzt enger mit anderen Klimabewegungen zusammen. Genauso werden sie erfolgreich sein.

  • @Julius Gilbert (SPD Ortsverband Cottbus Nord) Dieser Satz ist genau das Problem: "Man müsse mehr reden, statt zu blockieren. Wir sind für den Kohleausstieg, aber nicht vor 2038, denn die Region kann sich nicht so schnell umstellen“



    Das Klima hat sich bereits umgestellt und zwar im Rekordtempo und physikalische Gesetze richten sich nun mal nicht nach der Kompromissbereitschaft der SPD. Außerdem gehts der SPD schon lange nicht mehr um die Arbeitende Bevölkerung. Das einzig sichere an diesem "Kompromiss" sind bislang die saftigen Entschädigungen für die betroffenen Konzerne. Staatliches Geld von Steuerzahlern wie den Kohlekumpels erarbeitet in den Rachen von Eignern und Aktionären die ALG II wenn überhaupt nur aus dem Film kennen. Statt Laufzeitverlängerung + Staatskohle für Kohlewinnler täte die SPD auch vor Ort gut daran lieber saftige Entschädigungen für die Arbeiter_innen oder noch besser ein auskömmliches Grundeinkommen für alle zu fordern. Dann würde niemand mehr existenziell an einem Job hängen der unseren Planeten zerstört.

    • @Nina Janovich:

      Der SPD geht es nicht mehr um die arbeitende Bevölkerung?

      Diese steile These lässt sich sogar beweisen.

      In der Kohle arbeiten 20 Tausend. Da wird ein riesiges Trara gemacht, weil es angeblich um die Jobs geht.

      In den Erneuerbaren sind 100 Tausend Jobs weggefallen. Kein Pieps der SPD.

      "Der SPD geht es nicht um die arbeitende Bevölkerung" - Quod erat demonstrandum.

  • versteh gar nich warum die arbeiter so gern im kohledreck buddeln sollen sich doch bei tesla bewerben is viel cooler und vielleicht verdienen se och mehr

    • @prius:

      "sollen sich doch bei tesla bewerben"



      Ihr Vorschlag erinnert mich an "Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen", das wird Marie Antoinette zugeschrieben.

      Allenfalls zwischen 6000 und 7000 Arbeitsplätze sollen alleine in der Fabrik in Brandenburg entstehen, erklärte Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. Und das von Musk angekündigte Designzentrum in Berlin werde wohl auch "ein paar hundert, wenn nicht gar ein paar tausend" Angestellte haben. Diese Rechnung kann aber nur stimmen, wenn Tesla in dem Werk tatsächlich hunderttausende Fahrzeuge pro Jahr herstellt. (Manager-Magazin).

      Ich glaube jedenfalls nicht, dass dass eine Umstellung des Individualverkehrs auf E-Autos ökologisch sinnvoll ist. So gesehen ist die Erwartung einer Massenproduktion mit verbundenen Arbeitsplätzen eine Spekulation.



      Hoffentlich endet die Tesla-Fabrik (die zweifellos mit deutschen Fördermitteln und Kreditmitteln gebaut werden wird) nicht wie die Fabrik von Nanosolar.com aus USA in Luckenwalde, ein Fördermittel- und Schuldendebakel auf Kosten des deutschen Steuerzahlers.

    • @prius:

      @PRIUS Dass Tesla teils ein cooles Image zugesprochen wird, ändert nichts daran, dass Autos, insbesondere schwere, leistungsstarke, nicht die ökologischste Lösung ist sondern den Wachstumswahn. Der Austausch von Verbrenner durch Elektroautos und Aufbau einer Ladeinfrastruktur bedeutet einen riesigen Ressourcenaufwand und ändert nichts an der gewaltigen Menge an Autos. Ein Ausbau von Bahn und ÖPNV wäre viel ökologischer.



      @Artikel Schön jedenfalls, dass so viele Aktist*innen da waren ...



      twitter.com/Ende__...200738454084243458



      ... und, dass Sie gesund wieder nach Hause fahren konnten. Sieh auch:



      twitter.com/NikeMa...200808733334528002

      • @Uranus:

        Danke, dass Sie auch so ein unermüdlicher "Rufer" in der Wüste sind.

        • @Frau Kirschgrün:

          Ach, das gleiche antworte ich gerne Ihnen. Danke! :)

      • @Uranus:

        *sondern dem Wachstumswahn entsprechen.



        Da fehlte das Verb. Sorry.

      • @Uranus:

        So ist es.



        Wer 48 Millionen Autos mit Ver-brennungsmotor durch 48 Millionen Elektro- und Wasserstoff-Autos ersetzen will, der hat nix kapiert.

        • @APO Pluto:

          Stümmt.

        • @APO Pluto:

          :)