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„Ende Gelände“-Prozess in CottbusHaft für Kohlebaggerbesetzer

„Ende Gelände“ vor Gericht in Cottbus: Der Richter sieht beim Eilverfahren gegen drei Klimaaktivisten „honorige Absichten“, aber eine Straftat.

Aktivist im Schaufelradbagger: So sahen die Blockadeaktionen 2016 im Tagebau Welzow Süd aus Foto: Christian Mang

Cottbus taz | Die drei Besetzer eines Kohlebaggers in der Lausitz sind am Montag im Eilverfahren vom Amtsgericht Cottbus zu zwei Monaten Haft wegen Hausfriedensbruchs verurteilt worden. Richter Georg Kapplinghaus folgte damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft, da eine Geldstrafe gegen nicht identifizierte Personen nicht verhängt werden könne. Die Verteidiger hatten Freispruch verlangt. Der Richter würdigte zwar „honorige Absichten“ der Angeklagten, sprach aber von einer Straftat.

Für die Urteilsfindung war die Frage entscheidend, ob es sich beim Tagebau Welzow um ein lückenlos abgezäuntes Gelände handelt, das den Tatbestand eines Hausfriedensbruchs überhaupt rechtfertige. Der Betreiberkonzern Leag hatte nach einer Besetzung 2016 zwar Sicherungsmaßnahmen verstärkt und mehr Verbotsschilder aufgestellt. Dennoch blieben „tausende Meter freien Zugangs“, so Verteidiger Christian Mertens. Der Richter sah das nicht so. Es komme nicht auf eine praktisch ohnehin nicht mögliche vollständige Einzäunung, sondern die symbolische Umfriedung an.

Am 4. Februar hatten etwa 40 Klimaschützer von „Ende Gelände“ und „Robin Wood“ Geräte in drei ostdeutschen Braunkohletagebauen besetzt. Die meisten von ihnen kamen nach Feststellung ihrer Personalien wieder frei. Drei Aktivisten vom Tagebau Welzow-Süd in der Niederlausitz verweigerten die Angaben zur Person. Seitdem sind sie in Cottbus in Untersuchungshaft. Auch in der Hauptverhandlung wurden sie mit „unbekannte männliche Person“ angesprochen.

In ihren Eingangsstatements plädierten zwei der drei jungen Männer leidenschaftlich für sofortige Klimaschutzmaßnahmen. „Starke Bedrohungen benötigen starke Handlungen“, rechtfertigte einer die Kletteraktion auf einen Abraumbagger und das Hissen eines Banners. Nun solle an ihnen ein politisches Exempel statuiert werden. Wiederholt gab es Beifall junger Prozessbeobachter, die Amtsrichter Kapplinghaus tolerierte. Vor dem Prozess hatten etwa 40 Aktivist*innen vor dem Gerichtsgebäude einen sofortigen Kohleausstieg gefordert.

Entwürdigende Behandlungen nach der Festnahme

Die drei Studenten schilderten entwürdigende Behandlungen nach ihrer Festnahme. Polizisten hätten sie schmerzhaft gefesselt, frieren lassen, nackt leibesvisitiert und einem Durchfallkranken fünf Stunden den Toilettengang verweigert. Sie seien als „scheiß Schwuchteln“ beschimpft worden, und für die Haft habe man ihnen eine Vergewaltigung gewünscht.

Das Urteil ist auch für die übrigen zehn Besetzer des Welzower Abraumbaggers von Bedeutung, die ihre Personalien angegeben hatten und vorerst freikamen. Auf sie könnten Schadensersatzforderungen der LEAG zukommen.

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16 Kommentare

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  • Weniger als die Strafe ist es ein Problem, vorbestraft zu sein. Daher ist diese Haftstrafe für die Beteiligten wesentlich harmloser als eine Geld- oder Bewährungsstrafe.



    Doch akzeptiert der Staat die Nichtidentifikation von Straftäter*innen? Werden sich künftig auch andere Straftäter*innen weigern ihre Personalien anzugeben? Wer zahlt die Prozesskosten, wenn nicht vollstreckt werden kann?

  • Nach meiner Beobachtung haben 90% aller Häuser in den USA keinen Zaun um sich, schon gar keinen Jägerzaun. Trotzdem gilt "Stand you ground", was sich bei uns auch niemand wünschen kann.

  • "Es komme nicht auf eine praktisch ohnehin nicht mögliche vollständige Einzäunung, sondern die symbolische Umfriedung an." Das ist fahrlässige Unfallgefährdung. Vergleichend könnten sich die Autobahndirektionen all die tausenden Kilometer Zaun am Rande der Autobahnen sparen, wenn eine symbolische Umfriedung ausreichen würde.



    Tausende Meter freier Zugang ist keine ausreichende Absperrung des Grundstückes. Schon gar nie nicht, wenn dort Unfallgefahr besteht. Die Baustelle ist abzusichern.

    Ich hoffe hier wird Revision beantragt. der Richter hat hier eindeutig unzureichend geprüft (fachliches Gutachten zur Umzäunung) und falsch entschieden.

    Gleichfalls sollte der Betreiber wegen unzureichender Absperrung der Baustelle angezeigt werden, um eine ordnungsgemäße Umzäunung der Baustelle zu erwirken. Andernfalls sind nach UVV die Arbeiten auf der Baustelle umgehend einzustellen.

    Eine Anzeige gegen die Ordnungshüter wegen Schikane während der Haft ist vermutlich nicht zielführend, da bekanntlich immer öfter entsprechende Beweise bei den Behörden verloren gehen oder vernichtet werden, um "kriminelles" Handeln zu vertuschen.

  • Interessanterweise wurden die anderen 20 Aktivist*innen laufengelassen. Werden diese ebenfalls verurteilt oder bleibt es tatsächlich bei einem Exempel? Was dann der Logik des herrschenden Rechtssystems widerspräche, schließlich könnten für die gleiche Tat, die einen nicht als unschuldig und andere gleichzeitig als schuldig gelten. Da geht es aber wohl eher um Repression und Abschreckung, wie es auch im Artikel heißt. Hierzu passt sich auch die menschenverachtende Behandlung der Gefangenen durch die Pozilei ein. Großes Kino, "Rechtsstaat"!

  • Warum beruft sich niemand auf Art. 20 GG, da hier ja offensichtlich rechtswidrig in staatsfeindlicher Absicht versucht wurde, Tatsachen zu schaffen.



    Wenn der Richter also hehre Absichten unterstellt, dann kann das in Verbindung mit d zahlreichen BVerfG-Urteilen und BGH-Urteilen, die sich auch mit Besetzungen beschäftigen, niemals eine Straftat sein.



    Immerhin war Gefahr in Verzug, daß der Eigentümer geschütztes Kulturgut zerstört.



    Im BGB und StPO gibts bei ähnlichen Delikten gerade das Recht auf Gewaltanwendung:



    Das Jedermann-Festnahmerecht - hier in diesem Fall der Bagger.



    Immerhin sollte dem politischem Willensbildungsprozeß im Rahmen der Kohlekommision vorgegriffen und durch Schaffung von Fakten verunmöglicht werde. Das ist doch ein Anschlag auf staatliche Handlungsfähigkeit, Mißbrauch von Einsatzkräften und ein Anschlag auf die demokratische Grundordnung durch die beteiligten Unternehmen.



    Hier nun einem Besetzer derart die Freiheit zu berauben ist offensichtlich schlichtweg unverhältnismäßig, zumal das Gelände frei zugänglich war. Mit der recht willkürlichen Argumentation des Gerichts von wg symbolische ... könnte man jegliche Arbeitsschutz- und Sicherungsvorschriften, die Absperrungen vorsehen, in die Tonne treten. Immerhin ist jeder zur Baustellensicherung gesetzlich verpflichtet. Das soll hier nicht gelten? Wird hier das Recht gebeugt?

  • Die festnehmenden Polizisten haben keine Bodycams o.ä. getragen? Aktivisten haben nicht gefilmt?

    Kommt noch irgendwas wegen der Polizeigewalt, der Kältefolter, den Beleidigungen usw., oder sieht da niemand Bedarf?

    • @kditd:

      Wünschenswert wäre es, wenn die filmenden und ach so friedlichen Aktivisten ihre Aufnahmen, welche eindeutige Straftaten von Seiten der Demonstranten gegen die Polizei zeigen, unmittelbar nach der Kundgebung zur Beweissicherung zur Verfügung stellen.

    • @kditd:

      oft werden aufnahmen monatelang konfisziert (siehe endegelände oktober 2018) und verfahren gegen polizisten ohnehin mit an sicherheit grenzender wahrscheinlichkeit eingestellt.



      aber vielleicht nutzt das hier ein wenig: www.neues-deutschl...ggerbesetzung.html

  • "Der Richter würdigte zwar „honorige Absichten“ der Angeklagten, sprach aber von einer Straftat."



    Kurz, bündig schlüssig.



    Ende Gelände.

    • @Trabantus:

      Die Beobachter würdigten zwar "honorige Absichten" des Richters, sprachen aber ansonsten von einem Fehlurteil. Lässt sich nicht hier die Radbruch´sche Formel anwenden?

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @Trabantus:

      Irgendwie höre ich immer Marschmusik, wenn ich so etwas lese.

      • @88181 (Profil gelöscht):

        Kann man behandeln lassen. ;-)

      • @88181 (Profil gelöscht):

        Das da? :D



        www.youtube.com/watch?v=4ZKtqz4fzDQ

        • 8G
          88181 (Profil gelöscht)
          @Uranus:

          Ja genau :-)

    • @Trabantus:

      Stimmt. Manchmal ist es so einfach.

  • "Dennoch blieben „tausende Meter freien Zugangs“, so Verteidiger Christian Mertens. Der Richter sah das nicht so. Es komme nicht auf eine praktisch ohnehin nicht mögliche vollständige Einzäunung, sondern die symbolische Umfriedung an."



    "Ohnehin nicht mögliche vollständige Einzäunung." Ganz Europa wird gerade vollständig ein gezäunt, geht bei der Leag wegen der Gewinnmaximierung natürlich nicht. Armselige Urteilsbegründung