Emmanuel Macron in Deutschland: Hauptsache Style
Die Deutschen feiern Macron wie einen Popstar. Dass er trotz der Makel seiner Politk glänzt, liegt an der stilistischen Ohnmacht deutscher Kollegen.
![Der französische Präsident mit Boxhandschuhen bringt sich in Stellung. Der französische Präsident mit Boxhandschuhen bringt sich in Stellung.](https://taz.de/picture/7029127/14/35446300-1.jpeg)
T ausende junge Menschen haben sich am Montag vor der Dresdner Frauenkirche versammelt. Als der erwartete Redner auf die Bühne tritt, jubeln sie. Es ist kein Konzert, sondern eine Rede an die europäische Jugend, die pathetisch genug ausfällt, um zu emotionalisieren und gleichzeitig nicht kitschig zu wirken. Es ist einer der Momente beim dreitägigen französichen Staatsbesuch in Deutschland, in denen man sich fragt, ob Emmanuel Macron nun ein Politiker ist, den man wie andere Politiker immer auch kritisch betrachten sollte, oder ein Star, den man einfach anhimmeln darf.
Auch sonst machte der französische Präsident in diesen Tagen immer eine gute Figur: beim Staatsbankett im Schloss Bellevue prostete er mit Champagnerglas freundschaftlich, aber unaufdringlich Angela Merkel und anderen Gästen zu. Beim Besuch des Berliner Holocaustdenkmals dosierte er seinen betroffenen Blick ebenso angemessen wie glaubwürdig. Im sächsischen Moritzburg, wo ihm der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer vor Barockkulisse einen Apfelbaum überreichte, schien der Klassenunterschied am größten – noch langweiliger als Gastgeschenk wäre wohl ein Sack Kartoffeln gewesen.
Wohldosierte Breitbeinigkeit
Das anschließende Zusammentreffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz im Schloss Meseberg in Brandenburg markierte den Höhepunkt eines glanzvollen Auftritts: Augenzwinkern und Daumen hoch beim obligatorischen Handshake mit dem Kollegen, wobei der Kollege wirkte wie ein Fan, der auf seinen Lieblingsfußballspieler getroffen ist und ihn erfolgreich um ein Foto gebeten hat. Beim Tee oder Kaffee am malerischen Gartentisch schaute dieser Fan sein großes Idol dann ganz verliebt an, während der wieder wohldosiert breitbeinig in die Kameras grinste. Macron trug sein dunkelblaues Sakko offen, Scholz sein schwarzes zugeknöpft, sodass es bei der gemeinsamen Pressekonferenz unschön spannte.
Auch rhetorisch lieferte der französische Präsident, der einst vom Hirntod der Nato sprach, ordentlich: Europa brauche einen „Investitionsschock“ und man müsse angesichts der Bedrohungen Europas „entschlossen als Europäer handeln“, weil dieses Europa sonst sterben könne – die Ukraine soll mit westlichen Waffen Stellungen in Russland angreifen dürfen. Auch Bodentruppen sind für Macron denkbar. Kritiker:innen stellen angesichts dieser und anderer großer Worte Macrons inszenierungskritisch fest, dass konkrete Ergebnisse aber dürftig seien.
Macron, der Macher. Scholz, der Schmoller
Trotzdem bleibt hängen: Macron, der Macher. Scholz, der Schmoller! Dabei liegt Deutschland im besagten entschlossenen Handeln gegen das Sterben Europas, möchte man dieses an Ukrainehilfen messen, nach den USA weltweit auf Platz zwei und vor Frankreich europaweit auf Platz eins. Natürlich taktiert Scholz im Wissen um die German Angst und bevorstehende Wahlen. Trotzdem: Was bringt gute Politik, auch in vielen anderen Fragen, wenn man sie nicht verkörpern kann?
Der verstorbene Literaturkritiker Karl Heinz Bohrer stellte einmal fest, dass „Stilfragen“ ein „in Deutschland unbewältigtes Problem sind, von dem man nicht redet“. Als Beispiel zog er, der Stil als „Kapazität der Selbstdarstellung“ definierte, ein unangenehmes Zusammentreffen deutscher und britischer Banker heran. Das Problem der Deutschen sei nicht etwa ein Fauxpas, sondern ihre „einfallslose Nichtanwesenheit“ gewesen. Ihr „Mangel an Ausdrucksvermögen, Mangel, über die eigene Situation hinauszuwachsen und seine Authentizität sozusagen zu stilisieren und in Haltung und Sprache Autorität zu verbreiten, eine Autorität jenseits von Kenntnissen des Faches“.
Nach den letzten Tagen hätte der Kritiker nun einen weiteren markanten Beleg für diese Beobachtung. Denn Macron mag zwar Stil haben. Aber erregen konnte er die deutsche Öffentlichkeit auch so sehr, weil sich die Deutschen an die leidenschaftslose Trägheit ihrer politischen Repräsentant:innen gewöhnt haben.
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