Emine Sevgi Özdamar im Theater: Eine wilde Lebensreise
Nuran David Calis inszeniert Emine Sevgi Özdamars gewaltigen Roman „Ein von Schatten umgrenzter Raum“ in Köln. Schön sind die Momente der Stille.
Wenn überhaupt, kann es wohl nur Nuran David Calis gelingen, diesen gewaltigen autobiografischen Roman von Emine Sevgi Özdamar auf eine Bühne zu bringen: einen Lebensroman, der zugleich eine Abrechnung mit türkischer Geschichte und deutscher Diskriminierungspraxis ist sowie die Glückserzählung einer künstlerischen Selbstermächtigung.
Es ist nicht irgendeine Bühne, sondern das Carlswerk des Kölner Schauspiels, wo diese Uraufführung am besten aufgehoben scheint: jene Interims-Schauspielstätte in einer Fabrikhalle vermeintlich auf der „falschen“ Kölner Rheinseite, im oft Problemviertel genannten Mülheim, direkt neben der Keupstraße mit ihrer einst abgeschotteten türkischen Community – und den Traumata vom NSU-Nagelbombenattentat.
Es war Regisseur Calis, der dies im Jahr 2014 mit dem dokumentarischen Theaterstück „Die Lücke“ nachhaltig aufgearbeitet hat, unter Mitwirkung Betroffener. Immer noch läuft „Die Lücke“ im Spielplan, es gibt vorher launige, richtig großartige Führungen durch Moscheen, Bäckereien, Shisha-Bars der Straße.
„Wir wurden hier durch das Schauspiel zum ersten Mal wirklich gesehen, es hat alles verändert“, sagt heute noch Meral Sahin, Vorsitzende der IG Keupstraße. Und so läuft wie selbstverständlich auf zwei Bildschirmen die türkische und englische Übersetzung mit an diesem Abend, der 756 Romanseiten in knapp zwei Theaterstunden kondensiert.
Weil das Leben eine im Idealfall lange Reise ist, hat Bühnenbildnerin Anne Ehrlich einen alten, großen halbierten Eisenbahnwaggon sehr stimmig zum Zentrum der Bühne gemacht. Emine Sevgi Özdamar blickt von dort aus hinaus, mit Kajalstrich unter den Augen, langen schwarzen Haaren, schwarzem Ledermantel, sie raucht, sie erinnert sich.
Kreativ, unerschrocken, fokussiert
Gespielt wird sie in Köln von gleich drei Schauspielern, identisch gekleidet: Michaela Steiger, die etwas ältere Frau. Kristin Steffen, die jüngere. Und der männliche Schauspieler Daron Yates, wie um die Geschlechterklischees sprengende Selbstermächtigung der großen Autorin zu verkörpern.
Doch erst einmal flieht sie dreißigjährig vor der türkischen Militärdiktatur, Krähen prophezeien ihr das Verschwinden ins Nichts: „In der Ferne wird der Mensch auf sich selbst zurückgeworfen“. Was soll eine ehrgeizige Schauspielerin im Deutschland der 1980er Jahre anfangen, wo Türkinnen höchstens Putzfrauen werden?
Doch Emine Özdamar ist kreativ, unerschrocken und fokussiert. Sie wird Assistentin von Benno Besson an der Berliner Volksbühne, geht mit ihm zum Festival nach Avignon, macht Zeichnungen von den Proben, näht Puppen, die dann Vorlage für Kostüm und Maske werden, obwohl sie von ständiger Prekarität und Abschiebeangst gequält ist.
Sie macht Kunst aus allem, sogar aus der damaligen Diskriminierungspraxis an deutschen Theatern: als Mitarbeiterin von Matthias Langhoff verkleidet sie sich spontan als schwangere Putzfrau und läuft über die Bühne, wird Teil des Stücks, blitzschnell wirft sich Kristin Steffen die Utensilien über. Um im nächsten Augenblick von Erinnerungen an die Heimat, ihre Familie, die Gewalt in der Türkei, den Völkermord an den Armeniern heimgesucht zu werden. In der Türkei zeigt ihr die Mutter Schuhkartons voller Tötungsmeldungen: „In diesem Land leben nicht wir, sondern die, die uns töten wollen.“
Feuerwerk an Bühnenmitteln
Regisseur Nuran David Calis entzündet ein Feuerwerk an Bühnenmitteln. Im Waggonfenster sieht man eine der Emines an einem Schminktisch den Spiegel beschreiben, im Hintergrund tackert stets eine Schreibmaschine: bald beginnt die Schauspielerin, die alles in Kunst verwandelt, mit dem Schreiben von Stücken, dann Romanen, sie gewinnt den Bachmannpreis, später den Büchnerpreis. Wenn die eine Emine erzählt, wie Krähen vom Leben in der Fremde warnten, schwingen die beiden anderen im Hintergrund schwarze Krähenflügel.
Calis spielt Nina-Hagen-Songs ein, lässt Piaf- und Dylan-Songs singen, eröffnet immer neue Bühnen- und Soundräume: Hubschrauber kreisen, die Schauspieler karikieren Theatergrößen, gehetzt rasen sie durch die Monolog-Massen, sprechen seltsam burschikos-aufgesetzt. Geradezu grotesk deplatziert wirkt es, wenn in einem Atemzug erzählt und illustriert wird, wie Armenier auf Todesmärsche geschickt werden – und direkt danach Namedropping aus der Theaterszene der 1980er Jahre erfolgt.
Schön ist allerdings, wenn sich Momente der Stille auf den Spielinseln ergeben, etwa im Inneren des drehbaren Waggons, auf einem orientalischen Teppich, auf einem Bett, wo einst ein Liebhaber Özdamar vor der Angst rettete, wieder in die Türkei zurückzumüssen.
Das ist er nämlich, jener „vom Schatten umgrenzte Raum“, ein existenzieller Ort der Besinnung, auch im Leben von Özdamar. In ihrem Roman erzählt sie, wie sie nicht in Ländern, sondern in den kleinsten Dingen lebt. Wie Glücksmomente, Ängste, Privates und Politisches sich überlagern. Wenn dieser Theaterabend noch etwas gebraucht hätte, dann mehr Mut und Ruhe, diese kleinen Dinge zu betonen.
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