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Emilia-Pérez-Regisseur Jacques Audiard„Ich kann damit nichts anfangen“

„Emilia Pérez“ ist ein Musical im mexikanischen Narco-Milieu mit einer Transperson als Hauptfigur. Regisseur Jacques Audiard sagt, warum er das darf – und was ihn an Gewaltdarstellungen im Kino stört.

Würden Sie dieser Frau ein paar Kilo Kokain abkaufen? Emilia Pérez (Karla Sofía Gascón) Foto: Neue Visionen
Thomas Abeltshauser
Interview von Thomas Abeltshauser

Die Anwältin Rita ist frustriert, weil im korrupten Rechtssystem Mexikos ihre Arbeit nicht honoriert wird. Da macht der berüchtigte Kartellboss Manitas ihr ein lukratives Angebot: Er will untertauchen und zur Frau werden, Rita soll ihm helfen. In seinem ersten spanischsprachigen Film, „Emilia Pérez“, erzählt der französische Regisseur Jacques ­Audiard („Ein Prophet“) vom Bandenkrieg in Mexiko in Form einer Mischung aus Sozial­drama, Musical und Telenovela, mit einer faszinierenden Transfigur im Mittelpunkt, die ihre gewalttätige Vergangenheit hinter sich lassen will. Was irre klingt, funktioniert überraschend gut. Ein Gespräch mit dem 72-Jährigen über Musicals und Maskulinität, die richtige Haltung und die Frage, ob Menschen sich ändern.

Der Film

„Emilia Pérez“. Regie: Jacques Audiard. Mit Zoe Saldaña, Karla Sofía Gascón u. a. Frankreich 2024, 130 Min.

taz: Monsieur Audiard, wie kommt man auf die Idee, ein Musical über den Drogenkrieg und verschwundene Opfer in Mexiko mit einer Transfigur im Zentrum zu machen?

Jacques Audiard: Ah, Sie wollen gleich mit der einfachsten Frage anfangen. Lassen Sie es mich so sagen: Wenn man über ernste Themen reden will, ist es besser, zu singen und zu tanzen. Ich sehe es wie mein verehrter, 1970 verstorbener Regiekollege Jacques Demy. Um sich mit dem Algerienkrieg auseinanderzusetzen, drehte er „Die Regenschirme von Cherbourg“, eine romantische Musicalkomödie. Es braucht einen gewissen Abstand zum Gegenstand. Oder nehmen Sie Homers „Odyssee“. Nichts davon ist real, aber alles wahrhaftig. Und es ist konzipiert wie ein langes Lied, in Versform. Ich erzähle von sozialen und politischen Realitäten, aber ich wollte nie einen Dokumentarfilm über die Situa­tion in Mexiko oder über die Transition einer Person machen. Ich nutze eine überhöhte Form, das Artifizielle des Musicals und Melodrams, um meine Geschichte emotional zu erzählen. Dabei mag ich Musicals gar nicht besonders. Aber hier sind die Songs integraler Bestandteil der Handlung, nicht nur schmückendes Beiwerk.

taz: Ihr Film ist im Studio in Paris entstanden. Warum haben Sie nicht vor Ort in Mexiko gedreht?

Audiard: Weil es schlicht nicht möglich war. Ich habe es mehrmals versucht. 2019 hatte ich eine erste Fassung von „Emilia Pérez“ geschrieben, damals noch als Oper. Es war ein Libretto. Dann wollte ich einen Film daraus machen. Ich flog dreimal nach Mexiko, auf der Suche nach Drehorten, und erkannte, dass die konkrete Wirklichkeit nicht zu dem passte, was ich wollte. Die Häuser waren zu massiv, die Straßen zu weit, viel zu viele Menschen, ich mochte das Licht nicht. Da wusste ich, dass ich mit diesem Film zum Ursprung des Kinos zurückkehre, zu dessen DNA, dem In-Szene-Setzen im Studio.

taz: Dennoch sind die darin verhandelten Themen komplex und für viele Menschen in Mexiko auch schmerzhafte Realität. Spüren Sie eine Verantwortung, dem gerecht zu werden?

Audiard: Zunächst einmal sind Filme für mich eine Art, eine Verbindung mit der Welt aufzubauen. Dinge zu entdecken, die nichts mit mir und meinem Leben zu tun haben. Aber ein Dokumentarfilm taucht oft sehr fokussiert und begrenzt in ein Thema ein. Ich wollte größere Dimensionen, den Blick weiten, ein breiteres Publikum erreichen. Das birgt auch die Gefahr, zu vereinfachen. Und natürlich hätte ich mir einen leichteren Stoff aussuchen können. Ich könnte mein Leben damit verbringen, alle heiklen Themen zu vermeiden. Aber das interessiert mich nicht, weder als Filmemacher noch als Mensch. Und manche Momente sind gar nicht so weit weg von der Realität. Im Film gibt es zum Beispiel eine Szene mit Frauen ermordeter und verschwundener Männer, die das Lied „Para“ singen. Einen solchen Chor der Witwen gibt es in Mexiko tatsächlich. Die eigentliche Frage ist doch: Bin ich legitimiert, über bestimmte Themen zu sprechen? Darf ich mich als weißer, heterosexueller Franzose Anfang 70 mit einer Transition auseinandersetzen? Mit dem Leid der Hinterbliebenen von Kartellverbrechen? Nun, ich denke, ich darf. Ich lebe in dieser Welt, ich lese und nehme wahr, mache mir Gedanken. Und warum sollte ich diese nicht formulieren und ausdrücken, ob nun gesprochen, gesungen oder sogar getanzt?

taz: Es ist vielleicht eher eine Frage der Haltung, wie man sich mit bestimmten Themen auseinandersetzt.

Audiard: Das A und O ist das Zuhören. Ich wusste sehr wenig über die Lebensrealität von Transpersonen, was es bedeutet, sich im falschen Körper zu fühlen, sich zum Prozess einer Geschlechtsangleichung zu entschließen. Meine Lehrerin war die Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón. Ich durfte ihr all meine Fragen stellen und sie hat sie mit großer Geduld ausführlich und erhellend beantwortet. Bei jedem Zweifel oder Problem habe ich sie gefragt. Ich hätte nie eine Entscheidung gegen ihren Rat getroffen. Wie auch? Ich bin nur ein weißer Normalo mit sehr limitierter Vorstellungskraft.

taz: Karla Sofía Gascón spielt sowohl Emilia Pérez als auch den Drogenboss Manitas. Wie haben Sie die richtige Besetzung für diese Doppelrolle gefunden?

Audiard: Das war ein langer Prozess. Ich habe viele Transschauspielerinnen in Mexiko getroffen, professionelle und Laien. Sie erschienen mir sehr selbstbezogen. Als ich Karla Sofía traf, sah ich sofort Emilia vor mir. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie bereits als Karl Schauspieler war, die Transition also auch in ihrem Beruf machte. Sie war perfekt, um beide Rollen zu verkörpern.

Im Interview: Jacques Audiard

Geboren 1952 in Paris. Er studierte dort zunächst Literatur und Philosophie, arbeitete dann als Schnittassistent und Drehbuchautor. Seine erste Regiearbeit war der Spielfilm „Wenn Männer fallen“ (1994). Mit „Götter und Dämonen“ gewann er 2015 die Goldene Palme in Cannes.

taz: Es geht in „Emilia Pérez“ auch um toxische Maskulinität und Gewalt. Und die Frage, inwieweit eine Transition einen Charakter verändern kann.

Audiard: Wenn Manitas zu Emilia Pérez wird, gleicht sie nicht nur ihr Geschlecht an, sie versucht damit auch, die maskuline Gewalt in sich auszumerzen. Es ist ihr Wunsch nach Wandel und Erlösung, um ein besserer Mensch zu werden. Sie hat genug von den Zwängen des Patriarchats und dem Leid, das dieses System ihr und anderen zufügt. Auch wenn es sich als Illusion erweist und die Vergangenheit sie einholen wird.

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Trailer „Emilia Pérez“

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taz: Wie schwierig war es, Hollywoodschauspielerinnen wie Zoe Saldaña und Selena Gomez für die Rollen zu gewinnen?

Audiard: Überhaupt nicht. Für US-Stars ist das europäische Kino sehr attraktiv, weil es ihnen Freiheiten bietet, die sie im US-Studiosystem nicht haben. Schon bei meinen früheren Filmen wie dem Western „The Sisters Brothers“ waren viele sehr erpicht darauf, dabeizusein. Und ich arbeite gerne mit ihnen zusammen, weil sie gut ausgebildet und hochmotiviert sind. Schon beim ersten Treffen haben sie etwas für die Rolle vorbereitet. Das gefällt mir. Ich war anfangs scheu, jemanden wie Zoe Saldaña zu bitten, etwas zu singen oder zu tanzen. Und sie legte einfach los! Das wäre in Frankreich unvorstellbar.

taz: Die Dialoge und Songs sind in Spanisch und Englisch. „Emilia Pérez“ ist damit Ihr dritter Spielfilm, nach „Dämonen und Wunder“ und „The Sisters Brothers“, den Sie in einer anderen Sprache drehen. Wie herausfordernd ist das?

Audiard: Ich würde die Frage eher umgekehrt stellen: Warum lege ich in meinen Filmen so oft meine Muttersprache ab? Ich bin ein passionierter Leser, ich komme von der Literatur. Wenn ich auf Französisch drehe, achte ich penibel auf jede Silbe, auf Akzent und Aussprache. Bei einer Fremdsprache ist meine Aufmerksamkeit viel mehr bei Mimik und Gestik, wie sie ihre Körper bewegen, beim Schauspiel. Beim Drehen habe ich ein sehr musikalisches Verhältnis zu den Schauspielern.

taz: Die Narco-Kartelle sind ein populäres Sujet für Filme und Serien geworden, fast schon ein eigenes Genre. Inwiefern wollten Sie sich davon absetzen?

Audiard: Ich kann damit nichts anfangen. Es mag Sie überraschen, aber ich habe große Probleme mit Gewaltdarstellungen im Kino. Auch wenn meine Filme oft von Gewalt handeln, versuche ich diese anders einzusetzen. Ohne moralisieren zu wollen, ist der Zynismus in Narco-Serien etwas, das ich verabscheue. Auch deshalb habe ich mit Emilia Pérez eine Figur erschaffen, die zeigt, dass wir Menschen in der Lage sind, uns zu ändern und uns zu entwickeln.

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