Eltern von Mordopfer im NSU-Prozess: „Wovor haben Sie Angst?“
Im NSU-Prozess kritisieren die Eltern des Mordopfers Halit Yozgat das Gericht scharf. Und wenden sich an Beate Zschäpe.
Ismail und Ayse Yozgat sprachen im Rahmen der Nebenklage-Plädoyers im Prozess. Ihr Sohn Halit wurde am 6. April 2006 vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ erschossen. Der 21-Jährige war das neunte von zehn Mordopfern der Rechtsterroristen. Ismail Yozgat hatte seinen schwer verletzten Sohn noch in dessen Internetcafé aufgefunden, er starb in seinen Armen. Der Mord gehört bis heute zu den rätselhaftesten des NSU, da am Tatort auch der Verfassungsschützer Andreas Temme war.
Im Münchner Prozess konnte die Rolle Temmes nicht aufgeklärt werden. Mehrmals war der Verfassungsschützer befragt worden. Stets behauptete er, er sei rein privat und zufällig im Internetcafé gewesen und habe von dem Mord nichts mitbekommen.
Yozgat: Geheimdienstler in Mord verwickelt
Ismail Yozgat warf dem Verfassungsschützer vor, zu lügen. Er wiederholte seine These, dass Temme in den Mord verwickelt sein müsse. Seit Jahren fordere er erfolglos eine Begehung des früheren Tatorts in Kassel durch das Gericht, kritisierte Yozgat. „Was für eine Verhandlung verhandeln Sie? Wovor haben Sie Angst?“ Das Gericht verstehe offensichtlich nicht das Leid seiner Familie, sagte Yozgat. Ohne die Ortsbegehung aber werde er ein Urteil nicht akzeptieren können.
Der 62-Jährige kritisierte auch den früheren hessischen Innenminister und heutigen Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU): Dieser habe den Verfassungsschützer Temme geschützt. Statt der versprochenen Aufklärung erlebe er nur Aktenschreddern, so Yozgat. Schon gleich nach dem Mord habe er gesagt, Ausländerfeinde müssten seinen Sohn ermordet haben. „Keiner glaubte mir.“
Ayse Yozgat wandte sich auch direkt an Beate Zschäpe. „Können Sie einschlafen, wenn Sie Ihren Kopf abends auf das Kissen legen?“, fragte sie. „Ich kann seit elf Jahren nicht einschlafen.“
Auch die Anwälte der Familie Doris Dierbach und Alexander Kienzle kritisierten, dass bis heute ungeklärt sei, warum gerade Halit Yozgat ermordet wurde. Wie kam der NSU auf Kassel? Wie auf das Internetcafé? Die Rechtsterroristen hätten alles stets gut organisiert, eine Zufallstat sei abwegig. Dem Prozess sei hier dennoch keine umfassende Aufklärung gelungen – auch aufgrund des Mauerns durch den Verfassungsschutz.
Schon Ende November hatte Ismail Yozgat seine Kritik im NSU-Untersuchungsausschuss in Hessen vorgebracht. Dort forderte er auch erneut, die Holländische Straße in Kassel in Halit-Straße umzubennen. Die Stadt ist dem bisher nicht nachgekommen, da es sich um eine Hauptstraße handelt. Sie benannte 2012 aber einen kleinen Platz in der Nähe des Tatorts als Halitplatz.
In München formulierte Ayse Yozgat am Mittwoch eine letzte Hoffnung: „Es wird der Tag kommen, an dem Allah alles aufklären wird.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links