Eltern kritisieren fehlendes Angebot: Aus dem Kinderheim geworfen
Eltern berichten, ihr geistig behindertes Kind sei in einer Einrichtung stundenweise eingeschlossen worden. Dafür ist eine Richtererlaubnis nötig.
Die Familie, deren Namen wir geändert haben, schrieb einen Offenen Brief an die Lebenshilfe. Die Eltern kritisieren zum einen, dass es zu wenig Angebote für Kinder wie ihre Tochter gibt und dass das Heim, das sie zuletzt betreute, ihr Kind oft einschloss und schließlich abschob, statt gemeinsam eine Lösung zu suchen.
Isa habe eine schwere Form von frühkindlichem Autismus bei „mittelgradiger bis schwerer Intelligenzminderung“. Sie sei in ihrer sozialen und psychischen Entwicklung auf dem Stand eines kleinen Babys. Dabei sei sie motorisch sehr geschickt, unruhig und agil. „Man kann sagen, sie macht den ganzen Tag nur Quatsch“, sagt die Mutter. Etwa, indem sie ein Buch zerreiße oder ein Glas umkippt. „Man kann sie nicht ohne Aufsicht lassen.“ In Hamburg gebe es nur eine Einrichtung, die Fälle wie Isa betreuen könnte, und auf Jahre keine Plätze habe.
Darum waren die Eltern froh, dass die Tochter in Stormarn den Platz fand. Isa habe sich dort anfangs wohl gefühlt. Jedes zweite Wochenende und in den Ferien holten die Eltern sie zu sich. Die Zusammenarbeit laufe „sehr gut“, hieß es noch im Februar 2019 in Bericht des Heims. Um die positive Entwicklung des Kindes weiter voranzubringen, sei weitere Unterbringung dort „unbedingt erforderlich“.
Die Entfernung erschwert den Kontakt
„Deshalb hat uns die Kündigung so getroffen“, sagt Heitmann. Doch das Heim habe nicht mit sich reden lassen. Etwa, ob es helfen könnte, beim Amt zusätzliche Betreuung zu beantragen. So verlor die Tochter auch ihren Schulplatz und die Eltern mussten in nur zwei Monaten ein neues Heim finden. Die einzige Lösung war das zwei Autostunden entfernte Kappeln. Wollen die Eltern ihr Kind am Wochenende zu sich holen, dauert das Bringen und Holen acht Stunden. Das erschwert den Kontakt.
Die Heitmanns berichten, ihre Tochter habe „in den letzten Monaten in der Wohngruppe der Lebenshilfe nur betreut werden“ können, „indem sie sehr häufig in ihrem Zimmer eingeschlossen wurde, damit sie die Abläufe der Gruppe nicht störte“. Dies sei „stets nach der Schule, stets zur Mittagszeit an den Wochenenden und in den Ferien immer wieder zwischendurch“ passiert. Ihr Zimmer sei vom Mobiliar „befreit“ worden, da sie sich laut Aussage des Heims damit selber gefährde.
„Wir waren nicht grundsätzlich gegen den Einschluss, weil es ihr auch helfen konnte, sich zu beruhigen“, sagt die Mutter. Doch dies sei nach ihrem Eindruck zuletzt passiert, weil die Abläufe in der Gruppe es erforderten, „und nicht, weil unsere Tochter es brauchte“. So sei das Kind auch, als sie es zuletzt abholte, nachmittags eingeschlossen gewesen, ohne dass sie dafür einen Grund erfuhr.
Sie hätten den Träger gebeten, über den Zimmereinschluss Buch zu führen. Doch dies habe der, abgesehen von einer Woche vor etwa anderthalb Jahren, nicht getan. Pikant: Seit Oktober 2017 müssen solche Maßnahmen bei Kindern von einem Richter genehmigt werden. Die Eltern schreiben, dem Träger sei wohl bewusst, dass ein solcher Antrag vor Gericht „wegen der übermäßigen Dauer des Zimmereinschlusses“ keinen Erfolg hätte. Durch den Rauswurf, so vermuten sie, wollte der Träger sich dieses Themas entledigen.
Die Lebenshilfe Stormarn äußert sich nur allgemein
Die Wohngruppe in Kappeln schließt das Kind nicht ein, sagt die Mutter. Die Gruppe sei kleiner, habe mehr Personal, gehe „professioneller damit um“.
Die Lebenshilfe Stormarn äußert sich wegen Datenschutz nicht zum Fall, nur allgemein. Wenn Einrichtungen bei Menschen mit hohem Betreuungsbedarf feststellten, dass der Schutz der Betreuten und der Mitarbeitenden nicht mehr gewährleistet sei, müsse „eine Unterbringung in einer anderen Einrichtung angestrebt werden“.
Dem Sozialministerium in Kiel war der Brief nicht bekannt. Die Heimaufsicht werde nun Kontakt zu den Beteiligten aufnehmen und prüfen, „ob hier aufsichtsrechtliche Themen betroffen sind“, sagt Sprecher Christian Kohl. Über besagten Richtervorbehalt habe das Landesjugendamt alle Träger informiert. „In der Regel wird davon nicht Gebrauch gemacht.“
Hamburg arbeitet an neuen Wohnmöglichkeiten
Die Hamburger Sozialbehörde erklärt, es gebe drei Einrichtungen mit 110 Plätzen für Kinder mit schweren geistigen Behinderungen, und 27 Kinder, die außerhalb der Stadt untergebracht sind. Im Prinzip halte man die Plätze für ausreichend, da es jedoch bundesweit mehr Bedarf gebe, arbeite man daran, „neue Wohnmöglichkeiten für diese Kinder zu schaffen“.
Die Eltern erhielten von der Behörde eine persönliche Antwort. Die geschilderten Erlebnisse seien „bestürzend“. Das Fallmanagement sei „irritiert“, dass der Platz gekündigt wurde, ohne die Modalitäten zu prüfen.
„Inklusion sieht anders aus“, sagt die Linke Cansu Özdemir. Der Senat müsse dafür sorgen, dass es mehr Plätze für Kinder mit Behinderung in Hamburg und Umgebung gibt, „mit einer Personaldecke, die gute Arbeitsbedingungen ermöglicht“.
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