Elektromobilität in Deutschland: Batterie voll, Tank leer
Die Umstellung von Benzin- auf Elektroautos kostet viele Arbeitsplätze. Sie ist aber notwendig und bietet Chancen für den Klimaschutz.
Die Automobilindustrie steht vor einem Umbruch. Wie viele Jobs in der Branche, eine Stütze des Wohlstands in Deutschland, wegfallen werden, weiß niemand. Denn noch ist unklar, wie schnell der Umbruch stattfindet. Derzeit gibt es gerade mal 26.000 reine E-Autos in Deutschland, während rund 45 Millionen Autos von Verbrennungsmotoren angetrieben werden.
Fakt ist aber: Der Antriebsstrang eines Verbrenner-Autos ist komplexer und in der Herstellung arbeitsintensiver als der eines E-Autos. Die verbauten Teile im Motor sind keine einfachen Lego-Klötzchen, sondern Ergebnis jahrzehntelanger Forschung und Herstellungsoptimierung – sie müssen hohen Druck, Temperaturen und Geschwindigkeiten aushalten. Verschwinden die Teile, verschwindet auch Know-how.
Einbußen wird es auch beim Drumherum geben, das zum Betrieb eines Benzin- oder Dieselautos notwendig ist: von der Entwicklung der Motorsteuerungssoftware bis zu den Werkstätten, von den Raffinerien bis zu den Tankstellen. Das bedeutet: Ohne Verbrenner wird die Branche langfristig wohl weniger Menschen beschäftigen – selbst wenn auch E-Autos Karosserien, Achsen, Bremsen, Räder, Reifen, Sitze, Scheiben und Beleuchtung brauchen.
Zulieferer bedroht
„Wenn das Auto mit Verbrennungsmotor durch das Elektroauto ersetzt wird, fällt ein Großteil der Wertschöpfung weg“, sagt Stefan Bratzel, Autoexperte an der Fachhochschule Bergisch Gladbach gegenüber der taz. 30 bis 40 Prozent der Wertschöpfung beim Verbrenner mache der Antriebsstrang aus. Ein Verbrennungsmotor bestehe aus 1.000 Teilen, bei einem E-Motor seien es nur 50. „Das macht Herstellung und Montage eines Elektromotors wesentlich einfacher.“
Sollten die traditionellen Autos komplett durch E-Autos ersetzt werden, würden 20 bis 25 Prozent der Arbeitsplätze in der Autoindustrie wegfallen, schätzt Bratzel. Ob sie durch die Batterieproduktion ersetzt werden, ist fraglich. Manche Hersteller haben schlicht nicht vor, in diese Sparte zu investieren. Und selbst wenn die Fertigung der Batteriezellen in Deutschland angesiedelt wird, werden trotz hoher Wertschöpfung dafür wenige Arbeitskräfte benötigt. Bratzel: „Die Batteriefertigung ist hochautomatisiert.“ Dennoch sei es sinnvoll, Batterien auch in Deutschland herzustellen, schon um die Abhängigkeit von den Produzenten in Fernost oder den USA zu verringern.
„Die Transformation der Industrie wird aber nicht von heute auf morgen stattfinden“, ist sich Bratzel sicher. Mitte der zwanziger Jahre werde es wohl einen Umschwung geben, wenn wegen der Nachfrage nach Elektroautos das absolute Volumen bei den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren abnehme. Dann könnten auch Zulieferer Probleme bei der Finanzierung von Innovationen bekommen. Die Zulieferer müssten sich bis dahin nach neuen Branchen umschauen oder in der E-Mobilität Fuß fassen.
Das sehen die Insolvenzverwalter ähnlich. Allein in der Zulieferindustrie könnten 100.000 Arbeitsplätze verloren gehen, sagt Insolvenzanwalt Martin Prager. Gerade hoch spezialisierte Zulieferer stünden vor existenziellen Herausforderungen. „Viele werden die Anpassung nicht schaffen.“
Nur noch das Blechgehäuse?
Auch die IG Metall warnt. Mehr als jeder vierte Arbeitnehmer in der Autoindustrie und bei den Zulieferern in Deutschland sei in der Fertigung von Motoren und Getrieben tätig: 250.000 von rund 880.000 Menschen. Sie bräuchten langfristig eine Perspektive. Ein Verbot von Autos mit Verbrennungsmotoren lehnt die Gewerkschaft jedoch ab. „Durch Verbote bekommen wir den klimafreundlichen Umstieg nicht hin, sondern gefährden nur Arbeitsplätze.“
Für Manfred Schoch, Arbeitnehmervertreter bei BMW, ist denn auch klar. „Arbeitsplätze, die wir in der Fertigung von Verbrennungsmotoren verlieren, müssen wir anderswo schaffen.“ Sonst bleibe „uns nur noch das Blechgehäuse, und dann Gnade uns Gott.“
Allerdings: Wo Schatten ist, da muss auch Licht sein. Denn die E-Autos erfordern nicht nur Investitionen in die Batterietechnik, Fahrzeugelektronik und -vernetzung, sondern es werden auch neue Herstellungsverfahren und Materialien benötigt. Wer da die Nase vor hat, kann in Zukunft gute Geschäfte machen.
Der Lackieranlagenspezialist Dürr beispielsweise sieht viele Wachstumschancen durch E-Autos. „Es gibt viele Projekte von neuen Herstellern, die mit uns sprechen über neue Fabriken“, sagte Dürr-Chef Ralf Dieter am Donnerstag. Neben Lackierrobotern in neuen Fabriken könnte Dürr auch mit seiner Befülltechnik punkten, wenn vermehrt Batterien hergestellt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“