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Elektro-Tretroller in FrankreichRudi und der Roller

E-Scooter sieht man in Paris mittlerweile an jeder Ecke. Regeln, wie man sie benutzt, kamen aber zu spät. Unser Autor hat den Test gemacht.

In vielen europäischen Metropolen sind E-Scooter schon im Einsatz, hier in Brüssel Foto: dpa

PARIS taz | Berlin wäre zweifellos gut beraten, möglichst rasch strikte, aber auch im Verkehrsalltag taugliche Regeln für die Benutzung der Elektro-Tretroller aufzustellen. Und zwar bevor deren Anbieter und NutzerInnen in einer juristischen Grauzone ein Gewohnheitsrecht schaffen. Das jedenfalls ist eine der Lehren, die aus den Erfahrungen in Paris gezogen werden können.

Dort sind die von mittlerweile zehn Firmen angebotenen E-Tretroller wie Pilze aus dem Boden geschossen, bevor die phlegmatischen Stadtbehörden Regeln und Vorschriften erlassen konnten.

Noch wird diskutiert, ob dies angesichts der reellen Unfallrisiken und des Mangels an Selbstdisziplin vieler BenutzerInnen genügt – oder ob sie nach einer Bewährungsphase wie beispielsweise in Madrid, Wien oder Auckland wieder aus dem Stadtbild verschwinden müssen.

Noch vor wenigen Monaten sah man in Paris überall Fahrräder in knalligen Farben. Diese meist von chinesischen Start-ups kommerzialisierten Räder sind inzwischen fast ganz aus Stadtbild und Straßenverkehr verschwunden. Sie wurden in kürzester Zeit von der Elektro-„Trottinette“ verdrängt. Früher mehr als Spielzeug für Kinder bekannt, erlebt der Roller dank neuer Technologien und veränderter Mobilitätsbedürfnisse eine unerwartete Renaissance.

Zwischen 25 und 30 Stundenkilometern

Noch haben sich längst nicht alle daran gewöhnt, diese Roller auf den Pariser Bürgersteigen, Radspuren oder Straßen vorbeiflitzen zu sehen. Zu den BenutzerInnen gehören gleich mehrere Generationen, viele Touristen und vor allem junge Leute, oft zu zweit unterwegs, umschlungene Paare, aber auch Eltern mit Kindern.

Einen Helm trägt so gut wie niemand. Von den seit Kurzem geltenden Vorschriften, die zudem auf jedem Tretroller kleben, scheint niemand Notiz zu nehmen. Das Motto im Straßenverkehr von Paris lautet nach wie vor: „Je m’en fous et t’emmerde“ (Das ist mir egal und ich scheiß drauf!)

Krach um E-Scooter

Das will der Verkehrsminister

Bislang sind E-Roller in Deutschland verboten. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sieht in ihnen aber eine „echte zusätzliche Alternative zum Auto“ und will jetzt die „Elektrokleinst­fahr­zeugverordnung“ ändern. Im Sommer sollen dann maximal 12 Stundenkilometer schnelle Roller in Fußgängerzonen und auf Gehwegen fahren dürfen, schnellere auf ­Radwegen.

Das wollen die Länder

Am Freitag stimmt der Bundesrat über Scheuers Vorschlag ab. In der Länderkammer ist eine Mehrheit dafür, dass Gehwege für die E-Scooter tabu bleiben sollen. Sie wären hier eine Gefahr für Kinder, Senioren und Behinderte. Prompt protestierte der ADFC. Die langsameren Tretroller würden „den Radverkehr und damit die aktive Mobilität ausbremsen“.

„Ganz einfach toll und praktisch, aber auch gefährlich und ziemlich teuer“, resümiert Robin seine Erfahrungen mit den Trottinettes. Der 18-jährige Schüler der Abschlussklasse des Lycée Victor-Duruy ist ein Experte. Er hat die Apps aller zehn Tretroller-Anbieter auf seinem Mobiltelefon installiert und alle Roller getestet. „Sie funktionieren mehr oder weniger gleich und sind ähnlich schnell: 25, manchmal bis zu 30 Stundenkilometer.“ Er wähle je nach Bedürfnis und Tageszeit. „Diese hier“, sagt Robin und zeigt auf einen Roller mit der Aufschrift „Flash“, „werden beispielsweise nach 21 Uhr eingesammelt, andere sind auch nachts benutzbar.“

Der abendliche Heimweg koste so immerhin etwas weniger als ein mit anderen geteiltes Auto von Uber und etwa gleich viel wie ein elektrisches Mietrad von „Vélib“, rechnet er vor. Dann schwingt er sich auf eine Trottinette der Firma Bird, die gleich neben dem Metroausgang École militaire im 7. Arrondissement geparkt war und die er geübt per Scan auf seinem Smartphone entsperrt.

Auf zum Selbstversuch

In diesem Quartier zwischen Eiffelturm und Invalidendom sind die Tretroller fast an jeder Straßenecke zu finden. Da ich die Qual der Wahl für unseren Test „Trottinette für Anfänger“ habe, wähle ich das in Paris bis jetzt am stärksten verbreitete Modell der weltweit tätigen Firma „Lime-S“.

Zuerst muss die App installiert und ihr den Zugriff auf die Kamera und die GPS-Ortung erlaubt werden. Weil nun mal nichts gratis ist, kaufe ich per ­Kre­ditkarte das minimale Guthaben von 10 Euro. Allein das mit einem Piepen signalisierte Entriegeln kostet 1 Euro, und dann jede Minute Fahrt 15 Cent.

Vor dem Start gilt es, sich auf dem Telefon durch eine Reihe von Seiten zu klicken, auf denen gute Ratschläge und die Nutzungsbedingungen zu lesen sind. So sollen die BenutzerInnen älter als 18 sein, einen gültigen Fahrausweis besitzen und außerdem bestätigen, dass sie einen Helm tragen und nicht auf den Fußgängern vorbehaltenen Bürgersteigen rollen. Dabei lügen natürlich alle wie gedruckt.

Der Elektro-Tretroller muss, wie der Roller aus der Kindheit, mit dem Fuß angestoßen werden. Der Knopf am rechten Handgriff erlaubt es dann, das Tempo zu regeln, die Bremse ist links. Um zu stoppen, muss man kräftig zupacken. Der kleine Tachometer auf der Lenkstange misst das Tempo und zeigt nach wenigen Sekunden die maximalen 25 Stundenkilometer an.

40.000 Exemplare bis Ende des Jahres

Das Fahrgefühl ist toll, solange der Asphalt völlig eben ist. Ein Loch im Belag oder ein Ast auf der Straße kann dagegen schon zum gefährlichen Stolperstein werden. Das mahnt zu größter Vorsicht; die allein reicht aber nicht aus, wenn man sich an der Hinterseite des Invalidendoms befindet und sich wegen all der Pflastersteine wie in einem Shaker fühlt. Die Wirbelsäule lässt grüßen.

Nach dem elektronischen Verriegeln zeigt die App den Preis an: 2,80 Euro für 11 Minuten. Die Quittung kommt fast zeitgleich per E-Mail. Zudem will der neugierige Anbieter wissen, wie ich die Fahrt denn fand und ob ich Fotos davon freigeben möchte: Nein danke. Wie zu Beginn versprochen, wird die Trottinette aber an einem Ort abgestellt, wo sie niemanden stören kann.

Rudi hat Rücken: Unser Korrespondent bekam Probleme mit seiner Wirbelsäule Foto: privat

Längst nicht alle sind so diszipliniert. Bei einem Rundgang sehe ich abgestellte Tretroller vor Hauseingängen, zwischen geparkten Autos und vor der Treppe zur Metro, manche liegen gar in der Grünanlage. Seitdem die ersten E-Tretroller aufgetaucht sind, hat sich das zwar ein bisschen gebessert, doch gleichzeitig werden es immer mehr. Innerhalb der Stadtgrenzen sollen es allein bis Ende Mai 25.000 und am Jahresende mehr als 40.000 Exemplare sein.

Eine Frage drängt sich zu diesem exponentiellen Wachstum geradezu auf: Ist dieses Mietgeschäft tatsächlich so rentabel, oder verbirgt sich dahinter ein Wettlauf der Konkurrenten, von denen am Ende vielleicht nur zwei oder drei überleben?

Bußgelder für falsches Parken

Das aber ist nicht die drängendste Sorge der Stadtbehörden. Die haben Anfang April zwar erst spät Regelungen erlassen, dafür aber strenge, die – im Prinzip – für alle Trottinette-NutzerInnen gelten. Wer auf einem Bürgersteig rollend erwischt wird, muss mit einer Geldstrafe von 135 Euro rechnen. Mehrere Dutzend VerkehrssünderInnen sollen deshalb bereits einen Strafzettel erhalten haben. Das beeindruckt bisher aber keineswegs.

Vor allem die Touristen, die behaupten, die örtlichen Sitten und Gebräuche nicht zu kennen, rollen fast systematisch auf den Pariser Bürgersteigen. Auch für störendes Parken ist ein Bußgeld von 35 Euro festgelegt worden. Weil das aber unklar definiert ist, sollen in absehbarer Zeit Parkzonen für die Tretroller entstehen, wie es sie für Fahrräder und Motorräder bereits gibt.

Zudem will die Stadt, die ihr öffentliches Straßennetz zur Verfügung stellt, mitverdienen. Je nach Anzahl der bereitgestellten Fahrzeuge bezahlen die Mietfirmen 50 bis 65 Euro Jahresgebühr. Umfassendere Vorschriften sollen dann in einem aktualisierten Verkehrsgesetz stehen, das im Herbst 2019 verabschiedet werden soll.

Aber auch darüber hinaus hat der neueste Verkehrstrend nicht nur LiebhaberInnen in Paris. Denn so umweltfreundlich, wie es der Elektromotor eigentlich verspricht, sind diese Trottinettes gar nicht. Diese werden nicht nur täglich mit Kleinlastern eingesammelt und am Tag danach neu verteilt.

Auch ist bekannt geworden, dass die Batterien angeblich regelmäßig mit Benzingeneratoren aufgeladen werden. Vizebürgermeister Emmanuel Grégoire hat den besonders kritisierten amerikanischen Marktführer Lime-Bike aufgefordert, diese Praktiken, die im Widerspruch zu den klimapolitischen Zielen von Paris stünden, schleunigst abzustellen.

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8 Kommentare

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  • Elektomobilität ist überhaupt nicht klimaneutral oder ökologisch. Aber die erfolgreiche Lobbyarbeit (u.a. der DUH) hat uns diesen vermeintlichen Zusammenhang in die Hirne gepflanzt ...

  • 8G
    84935 (Profil gelöscht)

    Gestern hatte ich in einem beschaulichen Schwarzwälder "Städtle" meinen ersten Kontakt mit so einem Ding, das mit Vollgas durch die Fußgängerzone bretterte und mich um ein Haar umfuhr, weil ich als Tourist einen unerwarteten Richtungs-Schwenk beim Bummeln vollführte. Und ein penetrantes Sirren ging von dem Roller auch aus: adieu ihr gemütlichen Straßencaffees, wenn sich dieser Trend breit durchsetzt!

  • Für mich klingt das alles nach diesem typisch deutschen "oh, das ist neu, sicherheitshalber erstmal verbieten oder so weit regulieren, dass das niemand mehr freiwillig nutzt."



    Ich war gerade eine Woche in Madrid, wo die Dinger allgegenwärtig sind und das war überhaupt kein Problem. Keiner hat rumgepöbelt, niemand wurde üder den Haufen gefahren, ich hab die Teile nirgendwo in den Grünanlagen liegen gesehen.



    Ich habe einfach nur die Leute beneidet, sie leise, sauber und schnell in einer Stadt von A nach B kommen. Wenn überhaupt, sollten diese Dinger massiv gefördert werden!

    • @Sinon:

      Sind Sie damit bereits im Geschäft? Oder warum machen Sie dafür Werbung?

  • Noch mehr Irrsinn und Verkehrschaos auch auf den Gehweg-Straßen (nicht nur) in Berlin!

    Wenn man (F+M) in Berlin zu Fuß unterwegs ist, muss man immer wieder vor Fahrradfahrern auf dem Gehweg ausweichen, um einem zufälligen Zusammenprall zu verhindern. Nicht selten auch (rückseitig) schnell vorbeifahrenden Radfahrern und dabei ohne ein Klingelzeichen. Selbst mein Kinderwagen wurde im Park schon als Aufprallbremse von einen unsicheren Jungen genutzt (zum Glück ohne Schaden für mein damaliges Kleinkind im Kinderwagen).

    Insbesondere ältere und gehbehinderte Menschen müssen zukünftig, noch mehr als bisher schon, verstärkt mit (unvorhersehbaren) Zusammenprall auf Gehwegen rechnen. –

    Die Befürworter könnten allerdings auch damit argumentieren, dass das auch die Rentenkassen und die Beitragszahler – der gesetzlichen GRV und Beamtenkassen – nachhaltig entlastet.

  • 9G
    90618 (Profil gelöscht)

    Man braucht also ein Smartphone um die Dinger überhaupt nutzen zu können? Wie blöd ist das denn? Schon aus Umwelt- und Datenschutzgründen ist das ein No-Go. Außerdem ist bestimmt die Batterie alle, wenn man den Roller am dringendsten bräuchte. Die sollten es machen wie Nextbike (alias Deezer) mit ihren gar nicht so schlechten Leihfahrrädern, in Berlin, welches ganz einfach mit einer Kundenkarte funktioniert.

  • Lieber Herr Balmer, Ihr Zitat kann ich aus der franz. Provinz nur bestätigen, ich würde es trotzdem etwas anders übersetzen:



    „Je m’en fous et t’emmerde“ (Das ist mir egal und ich scheiß AUF DICH!) mit anderen Worten: Die anderen Verkehrsteilnehmer sind den meisten Franzosen ziemlich egal. Sport von einigen hiesigen Radfahrern ist es Fussgängerslalom am Sonntag, während andere ebenso rücksichtsvolle Fussgänger gemütlich auf den wenigen Radwegen spazieren und ein Klingeln bereits als Angriff auf ihre persönlichen Freiheitsrechte sehen. Schade, viele französische Städte könnten sehr viel angenehmer sein, wenn es mehr -echte Radwege und deutlich mehr gegenseitigen Respekt geben würde. Lyon, Montpellier aber auch Nantes haben in den letzten Jahren tolle Fortschritte in der Richtung gemacht.

  • Weltfremde Regulierungsgläubigkeit gibt offenbar auch in Frankreich. Man kann den Leuten noch so oft sagen, dass sie mit den Dingern nicht auf Fußwegen fahren dürfen, aber wo gibt es denn durchgehende und befahrbare Radwege von Punkt A zu Punkt B? Und mit einem 20 - 25 km/h langsamen Fahrzeug ohne Rückspiegel, Blinker und Bremslicht auf der Fahrbahn zwischen den Autos und LKW zu fahren, erfordert auch ein gewisses Selbstbewusstsein, das selbst Radfahrer nur selten aufbringen. Für die meisten ist das halt eher Spielzeug oder Gehhilfe und das benutzen sie halt dort, wo sie sich auch zu Fuß herumtreiben würden, egal was man ihnen sagt.

    Man sollte die Dinger schlicht für Gehwege freigeben, dort aber den Fußgängern absoluten Vorrang einräumen und bei Unfällen automatisch dem Rollerfahrer die Schuld zuweisen. Fertig. Alles andere ist sinnlos. Selbst ein Benutzungsverbot wäre ohne Verkaufsverbot sinnlos und würde ignoriert werden, denn das würde von den meisten ähnlich wie ein Verbot zu schnellen Laufens als unzulässige Einmischung in persönliche Freiheiten betrachtet.

    Also einfach mit klaren Verantwortlichkeiten freigeben und gleichzeitig den Autoverkehr durch Spursperrungen einschränken und den freiwerdenden Platz für solche und andere alternative individuelle Verkehrsmittel vorsehen. Solange das Auto die heilige Kuh bleibt, ist alles andere nur ergebnisloser Streit im Restverkehrsraum. „Teile und herrsche“ halt.