Einstufung des Verfassungsschutzes: Entscheidung zur AfD verzögert sich
Mit einer Klage bremst die AfD den Verfassungsschutz aus. Ihre Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall könnte zur Hängepartie werden.
Ein Sprecher des Kölner Verwaltungsgerichts bestätigte am Montag der taz, dass der Verfassungsschutz auf die Eilanträge eine „Stillhaltezusage“ ankündigte. Bis zu einer Entscheidung des Gerichts würde das Bundesamt damit nicht aktiv werden.
Offen aber blieb, worauf genau sich die Stillhaltezusage bezog. Denn die AfD hatte sowohl gegen eine Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall geklagt als auch gegen eine entsprechende öffentliche Verkündung. Möglich wäre also, dass der Verfassungsschutz in Sachen AfD nun vorerst gar nichts unternimmt. Oder, was durchaus auch möglich ist, dass er nur die öffentliche Verkündung unterlässt – intern die Partei aber als Verdachtsfall einstuft.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz wollte sich dazu nicht äußern. „Mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht äußern wir uns in dieser Angelegenheit nicht öffentlich“, sagte eine Sprecherin der taz. Auch der Gerichtssprecher wollte sich zu Details des Verfahrens nicht äußern. Er ließ ebenso offen, wann das Gericht über die Eilklagen entscheiden werde.
Die Bundestagswahl im Nacken
Damit könnte eine mögliche Neueinstufung der AfD zur Hängepartie werden. Bereits seit Anfang 2019 ist die Partei als Prüffall beim Bundesamt eingestuft. Nach zweijähriger Prüfung wollte der Geheimdienst nun zu Jahresbeginn seine Entscheidung verkünden, ob eine Hochstufung als Verdachtsfall erfolgt, ob also „gewichtige Anhaltspunkte“ für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen – oder eben nicht. Dies sollte jetzt erfolgen, auch um nicht zu nah an die baldig beginnenden Landtags- und Bundestagswahlkämpfe heranzurücken und sich dem Vorwurf auszusetzen, diese zu beeinflussen. Nun aber droht genau das zu passieren.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), dessen Haus die Fachaufsicht über die Einstufung hat und das Gutachten des Verfassungsschutzes zuletzt intensiv prüfte, sagte zu der Verzögerung am Montag nichts. Auch hier die Begründung einer Sprecherin: das laufende Gerichtsverfahren in Köln. Im Ministerium galt zuletzt die Ansage, eine juristische Niederlage gegen die AfD im Falle einer Einstufung unbedingt zu verhindern.
Die AfD beruft sich in ihren Klagen unter anderem auf das Recht der Parteien auf Chancengleichheit nach dem Grundgesetz. Die Strömung des „Flügels“ um den Thüringer Landeschef Björn Höcke, die sich offiziell inzwischen aufgelöst hat, hat das Bundesamt bereits im vergangenen Jahr als gesichert rechtsextrem eingestuft.
Zentral für die inhaltliche Entscheidung des Verfassungsschutzes mit Blick auf die Gesamtpartei ist nun, wie groß dessen Einfluss auf die AfD als Ganzes ist. Wird die Partei als Verdachtsfall eingestuft, dürften auch nachrichtendienstliche Mittel wie Telefonüberwachung und V-Leute zu ihrer Beobachtung eingesetzt werden.
Die AfD taktiert – mit Erfolg?
Eine weitere Klage sowie der dazugehörende Eilantrag der AfD betreffen direkt den „Flügel“. Nach Ansicht des Bundesamtes war dessen Auflösung taktisch motiviert, der „Flügel“ ist demnach weiter einflussreich in der Partei. Mit ihrer Klage will die AfD dem Verfassungsschutz nun untersagen, dass dieser die Anzahl der „Flügel“-AnhängerInnen nennen darf. Zuletzt war von 7.000 die Rede.
In der AfD hatte zuletzt insbesondere das Lager um Parteichef Jörg Meuthen zumindest taktisch viel dafür getan, um eine Einstufung der Gesamtpartei abzuwenden. Dazu gehören die Annullierung der Mitgliedschaft des ehemaligen Brandenburger Landeschefs und „Flügel“-Strippenziehers Andreas Kalbitz und die Auflösung des „Flügels“. Dazu gehört auch Meuthens Rede auf dem Parteitag im Dezember in Kalkar, in der er die Partei ermahnte, sie solle nicht „immer aggressiver, immer derber, immer enthemmter auftreten“.
Und dazu gehören auch ein Grundsatzbeschluss des Bundesvorstands im November, in dem dieser die Freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgetzes bejaht und eine Anfang vergangener Woche überraschend veröffentlichte „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“.
Darin bekennt sich die AfD vorbehaltslos zum deutschen Staatsvolk als „Summe aller Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen“ – was man bei so mancher Äußerung des einen oder anderen AfD-Politikers allerdings bezweifeln kann. Unterschrieben haben die Erklärung über 30 Mitglieder der Bundes- und Landesspitze, darunter auch Höcke. Der Verfassungsschutz sah zuletzt im „biologisch-rassistischen oder ethnisch-kulturellen Volksbegriff“ der AfD ein Indiz für die mögliche Verfassungsfeindlichkeit der Partei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen