Einsatzkräfte an Silvester: „Wir sind nicht unantastbar“
Feuerwehrmann Antoni Espinoza de Jesús organisiert Treffen zwischen Jugendlichen und Kollegen in einer Berliner Feuerwache. Das soll Gewalt vorbeugen.
taz: Herr Espinoza de Jesús, verstehen Sie als Feuerwehrmann, dass Jugendliche gern böllern?
Antoni Espinoza de Jesús: Ich persönlich war nicht so der Typ, der gerne geböllert hat. Aber ich kann schon verstehen, dass Jugendliche das reizt, also dass sie gerne sehen, wie da irgendwas in die Luft geht. Die Farben, die Geräusche, ein lauter Knall, das ist es wohl.
taz: Damit die Böllerei an Silvester nicht wieder in Gewalt umschlägt, treffen sich Feuerwehrleute inzwischen regelmäßig mit Jugendlichen für gemeinsame Workshops oder Sportturniere. Was machen Sie bei diesen Treffen?
Espinoza de Jesús: Erst mal besuchen wir die Jugendlichen in ihren Jugendzentren und stellen uns vor. Und dann stellen wir auch viele Fragen: Also ob jemand schon mal mit der Feuerwehr in Kontakt gekommen ist, wieso und wie die Erfahrung war. Dabei gehen wir auch auf Silvester ein, besonders den Jahreswechsel 2022/2023.
taz: Das Silvester, bei dem es so viele Angriffe auf Polizei und Feuerwehr gab.
Espinoza de Jesús: In dem Jahr waren die Angriffe auf Einsatzkräfte zur Silvesternacht einfach exorbitant hoch. Deshalb sprechen wir das an. Es ist sowieso nicht nachvollziehbar, dass es überhaupt so weit kommen konnte, weil wir als Feuerwehr wirklich nur kommen, wenn Leute in Not sind. Verkehrsunfälle, Brände und Menschen in Notfallsituationen. Ob das eine starke Blutung ist, eine psychische Erkrankung oder was auch immer.
Antoni Espinoza de Jesús, 29, Spitzname „Machete“, ist seit 2020 bei der Berliner Feuerwehr. Als Kiezbeauftragter in der Wache Spandau Süd organisiert er gemeinsam mit dem Jugendhilfeträger Outreach Treffen, Sportturniere und Workshops mit Feuerwehrleuten und mit Jugendlichen aus dem Stadtteil
Wir kommen, um zu helfen und um Leute, wenn nötig schnellstmöglich in die Klinik zu bringen. Deswegen ist es ja so erschreckend, dass bei dem Silvester die Kollegen nicht nur behindert, sondern auch angegriffen und beraubt worden sind. Da sind vermummte Menschen auf die Fahrzeuge zugerannt, um die Fächer aufzumachen, um Gegenstände zu klauen und um auf Kollegen zu zielen. Unabhängig davon, ob es echte Schusswaffen waren oder nicht: Es wurden Waffen in die Gesichter der Kollegen gerichtet oder auf die Frontscheibe. Das ist einfach erschreckend. Umso schöner ist es, jetzt einen Ansatz zu haben, um dem entgegenzuwirken.
taz: Was ist da Ihr Ansatz?
Espinoza de Jesús: Wir haben eine kleine Präsentation und zeigen Videos von solchen Angriffen, und wir zeigen die ganzen Funksprüche von den Kollegen, die dort bedroht worden sind. Und dann fragen wir die Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch mal, wie sie das so finden oder ob sie sich vorstellen könnten, in diesem Moment in dem Fahrzeug zu sitzen. Im Endeffekt wollen wir den Jugendlichen zeigen, dass unter unserer Uniform ein normaler Mensch steckt. Denn auf einige wirken wir wohl wie unantastbar darin. Ich glaube, deshalb haben manche so eine passiv-aggressive Haltung uns gegenüber, obwohl wir eigentlich helfen wollen.
taz: Wie viel erzählen Sie von sich selbst?
Espinoza de Jesús: Ich bin selbst in Spandau aufgewachsen, in der Lynarstraße. Ich habe selbst Mist gebaut als Jugendlicher, war immer draußen unterwegs, und das erzähle ich ihnen auch. Und ich war auch damals schon im Jugendclub von Outreach, mit denen wir jetzt das Projekt machen. Das ist immer cool, wenn die Jugendlichen das hören. Da fragen sie dann direkt, was ich danach gemacht habe. Ich glaube, das öffnet ihnen auch Perspektiven, zu sehen, dass jemand aus der Lynarstaße jetzt Beamter ist und bei der Feuerwehr arbeitet. Dadurch bin ich mit den Jugendlichen ganz gut connected. Jetzt bin ich 29 Jahre alt. Ich bin verlobt, ich habe ein Kind, ich mache gerne Sport, ich zocke gerne, ich gehe gerne raus. Und tatsächlich sehe ich jetzt oft kleinere Geschwister von alten Klassenkameraden bei unseren Workshops, das ist total cool, wie sich dieser Kreis für mich wieder schließt.
taz: Was erzählen denn die Jugendlichen, was sie für Erfahrungen mit der Feuerwehr machen?
Espinoza de Jesús: Die wollen auch, dass geholfen wird. Und sie wissen, dass wir ja auch für ihre Angehörigen kommen. Einige haben uns gesagt, dass sie die Feuerwehr auch schon unfreundlich erlebt haben. Das kann vielleicht auch mal vorkommen. Etwa wenn man eigentlich schon die ganze Nacht unterwegs ist und dann zum sechsten Alarm um 3 Uhr morgens fährt. Dann bist du total ausgelaugt. Da kommt manches vielleicht mal schroffer rüber, als es gemeint ist. Wir sehen viele tote Menschen, wir sehen harte Schicksalsschläge. Und manchmal ist es schwer umzuschalten, dass man jetzt einfach ein bisschen einfühlsamer sein muss.
taz: Zu den Feuerwehrprojekten gehört mehr als ein Treffen. Wie geht es denn dann weiter?
Espinoza de Jesús: Beim zweiten Termin laden wir die Jugendlichen zu uns auf die Wache ein, um die Räumlichkeiten und unsere Arbeit zu zeigen, unseren Alltag. Wir fahren ja nicht nur Einsätze, wir haben auch auf der Wache viel zu tun, und wir haben technische Arbeiten zu erledigen. Wir zeigen ihnen unseren Alltag bei einer 12-Stunden-Schicht, wir fangen also morgens mit einem gemeinsamen Frühstück an, und mittags kochen und essen wir zusammen. Und wenn auf einmal ein Einsatz kommt, und dann müssen wir funktionieren: zack, und in wenigen Sekunden los. Das zeigen wir ihnen dann, dass wir auch nur ganz normale Leute sind, die auch Spaß haben. Mit uns kann man auch rumalbern. Wir zeigen ihnen auch unsere Fahrzeuge und lassen sie mal unsere Uniform anziehen, damit sie mal sehen, unter welcher Belastung wir eigentlich arbeiten.
taz: Wie viel wiegt denn so eine Uniform?
Espinoza de Jesús: Wenn wir unsere Schutzkleidung anziehen, mit Helm und Druckflaschen hinten auf dem Rücken, dann sind wir schon bei über 30 Kilo. Damit müssen wir auch Treppen steigen und tragen zusätzlich Schlauchkörbe, Axt und Strahlrohr. Damit lassen wir sie dann auch mal komplett durch die Halle laufen, da sehen sie dann schon, wie schnell sie aus der Puste sind. Und dann sagen wir ihnen auch: Jetzt überlegt mal, währenddessen aufgehalten oder abgeschossen zu werden, mit Pyrotechnik. Das ist total unangenehm.
taz: Wie kommen die Besuche bei Ihren Kolleg*innen an?
Espinoza de Jesús: Anfangs waren einige Kollegen relativ skeptisch, die Jungs zu uns auf Wache holen. Doch bei den Workshops haben sie gesehen, dass die Jugendlichen echt coole Fragen stellen. Da konnten sie ihr Wissen teilen und einiges erklären. Inzwischen melden sich immer gleich mehrere Kollegen, wenn ich frage, wer bei solchen Aktionen dabei sein will.
Um Silvesterkrawalle und Angriffe auf Rettungskräfte nach Möglichkeit zu verhindern, setzt die Berliner Polizei weitestgehend auf das Konzept vom vergangenen Jahreswechsel. Erneut werden nach Polizeiangaben rund 3.000 Polizist*innen zusätzlich in der Silvesternacht auf den Straßen unterwegs sein. Demnach sind bereits im Vorfeld auch mehr Streifenwagen im Einsatz, und es ist mehr Personal in den Wachen. Sie sollen am Wochenende verstärkt darauf achten, ob nach dem Verkaufsstart von Feuerwerk am Samstag bereits unerlaubt geböllert wird.
Wie schon im Vorjahr gibt es drei Verbotszonen für Pyrotechnik in der Zeit vom Silvesterabend ab 18:00 Uhr bis um 6:00 Uhr am Neujahrsmorgen. Die Verbotszonen befinden sich am Alexanderplatz in Mitte, im Bereich des Steinmetzkiezes in Schöneberg und auf einem Teil der Sonnenallee sowie angrenzender Nebenstraßen in Neukölln.
Auch in diesem Jahr hatte die Polizei im Vorfeld an Eltern appelliert, auf ihre Kinder und Jugendlichen aufzupassen und sie von Gewalttaten abzuhalten. „Angriffe auf Einsatzkräfte sind eine Straftat. Polizei und Feuerwehr arbeiten, um Menschen zu retten, Feuer zu löschen oder Gewalt zu beenden“, heißt es in einem Text, der an zahlreiche Schulen und von dort an die Eltern geschickt wurde. Darin warnt die Polizei auch vor schweren Verletzungen beim Zünden von Feuerwerk. Die Behörde erinnerte außerdem daran, dass Feuerwerk nur vom 31. Dezember ab 18.00 Uhr bis zum 1. Januar um 7.00 Uhr erlaubt ist. (dpa)
taz: Was für Fragen haben die Jugendlichen denn so?
Espinoza de Jesús: Ein Jugendlicher, 13 oder 14 Jahre alt, hat mal gefragt, wie wir mit dem psychischen Stress umgehen und ob die Feuerwehr uns unterstützt. Da konnte ich gleich viel erzählen, wir haben ein Einsatz-Nachsorge-Team, die wir bei belastenden Situationen anfordern. Mit denen hatte ich auch schon zu tun. Er ist da ganz von allein drauf gekommen, das fand ich total cool. Ich habe ein Notizbuch, und in dem sammle ich diese Fragen. Es kommen eigentlich jedes Mal neue Fragen dazu.
taz: Abgesehen davon, dass bei den Jugendlichen grundsätzlich Interesse da zu sein scheint: Merkt ihr denn schon, dass die Treffen auch einen Effekt haben?
Espinoza de Jesús: In Schöneberg meinten die Jugendlichen letztens zu einem Kollegen: Wir haben dich gesehen, wie du beim Einsatz warst, du bist rausgefahren, aber du hast uns gar nicht wahrgenommen. Der Kollege war natürlich voll im Tunnelblick. Aber das ist für uns total schön, dass die Kids jetzt immer darauf achten, wer in dem Fahrzeug sitzt. Die gucken wirklich vorne rein hinter die Frontscheibe und gucken, ob die ein Gesicht erkennen können. Oder letztens war ein Kollege bei einer Notfallpatientin. Und nachdem sie versorgt war, meinte eines ihrer Kinder: Diesen Rucksack, den habe ich schon mal bei euch auf der Wache gesehen. Das ist megacool, wenn du gleich so eine Verbundenheit hast. Die Kids müssen jetzt nicht jeden unserer 5.000 Kolleg*innen wiedererkennen: aber wenn sie wissen, das ist jetzt unser Fahrzeug hier aus unserem Gebiet – dann sind wir auf einem guten Weg.
taz: Wenn ich jetzt richtig mitgezählt habe, wären das pro Kiez so drei, vier Begegnungen zwischen Jugendlichen und Feuerwehr. Das ist ja aufs Jahr gesehen gar nicht viel.
Espinoza de Jesús: Es ist viel im Gegensatz zu den Jahren davor – da gab es ja gar keine vergleichbaren Treffen. Jetzt haben wir berlinweit in einem Jahr mehr als 70 Treffen und Veranstaltungen organisiert. Und wir machen ja nicht nur die Workshops, wir kommen auch mit einem Fahrzeug zu Stadtteilfesten, wo die Kinder dann ins Auto klettern und Fotos machen dürfen und wir Fragen beantworten und unser Equipment zeigen.
Wir treffen die Jugendlichen zu Sportturnieren. Da versuchen wir, die Zeit so gut wie möglich gemeinsam zu verbringen. Wir stellen uns nicht da hin, erzählen was und hauen wieder ab. Sondern wir hängen richtig mit denen ab. Letztens in Spandau haben wir uns in einem richtig schönen Klubhaus getroffen, die haben große Räume, mit Beamer und allem. Da haben wir Tischtennis gespielt und Playstation gezockt, FIFA und Just Dance als Turnier. Mit kleinen Preisen. Und Essen und Trinken natürlich auch. Da reden wir nicht nur über die Arbeit, wir fragen sie auch, was ihre Hobbies sind, was ihre Familien machen. Dieses Rumalbern, Spaßhaben und Erzählen, das ist der eigentliche Eisbrecher.
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