Eingekesselte Castor-Gegner*innen: Entschädigung erstritten
Das Landgericht Lüneburg sprach den Demonstranten, die bei den Castortransporten 2010 und 2011 eingekesselt wurden, ein Schmerzensgeld zu.
Im November 2010 und 2011 transportierte die Gesellschaft für Nuklear-Service im Auftrag der deutschen AKW-Betreiber jeweils elf Castorbehälter von der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague ins Gorlebener Zwischenlager. Überall an der Strecke protestierten Menschen gegen die Fuhre. Besonders heftig war der Widerstand im Wendland selbst. Neben vielen anderen Aktionen, gab es dort von der Initiative „Widersetzen“ und anderen Gruppen organisierte Gleisblockaden mit Tausenden Teilnehmern nahe der kleinen Ortschaft Harlingen.
In stundenlangen Einsätzen räumte die Polizei die Blockaden und sperrte die Blockierer so lange in „Freiluftkesseln“ nahe der Schiene ein, bis der Castor-Zug die betreffende Stelle passiert hatte. Alleine 2011 wurden rund 1.300 Personen draußen festgehalten. Einige Demonstranten standen oder saßen bei Temperaturen nahe null Grad – und teilweise ohne Verpflegung und die Möglichkeit zu telefonieren – bis zu sieben Stunden in diesem Kessel.
Die Beamten ließen sich das Festsetzen der Protestierenden allerdings nicht von einem Richter genehmigen – der hätte einen eventuellen Gesetzesverstoß der Blockierer erläutern und die Polizeimaßnahme begründen müssen. Deshalb erhoben viele Betroffene Klage – und gewannen nach einem Prozessmarathon durch zahlreiche Instanzen: Mehrere Gerichte erklärten die Einkesselung für rechtswidrig.
„Die Freiheitsentziehung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Menschenrechte dar, der mit gutem Grund nach deutschem und europäischem Verständnis nur bei ebenso schwerwiegenden Gründen und mit juristisch einwandfreiem Vorgehen zulässig ist“, hieß es etwa in einem Urteil des Landgerichts Lüneburg aus dem Jahr 2013. „Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass von dem Betroffenen Straftaten ausgegangen sind oder zu erwarten waren, liegen jedoch nicht vor.“ Bei der Räumung der Schiene hätten außerdem zunächst Platzverweise ausgesprochen werden müssen, mit der Möglichkeit, das Gelände zu verlassen ohne in den Polizeikessel gebracht zu werden.
2015 erkannte das Bundesverfassungsgericht im Grundsatz den Anspruch der Geschädigten auf Schmerzensgeld an. Die Verfassungsrichter wurden deutlich: „Gerade dieser Willensbeugung und dem Ausgeliefertsein der staatlichen Hoheitsgewalt kann eine abschreckende Wirkung für den künftigen Gebrauch grundrechtlich garantierter Freiheiten – namentlich der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Teilnahme an Demonstrationen – zukommen“, heißt es in dem Beschluss (1 BvR 2639/15).
Über die Höhe der Entschädigung hatte nun wieder das Landgericht Lüneburg zu entscheiden. 1.000 Euro pro Person hielten die Anwältinnen der Kläger für angemessen, es gibt aber nur 350 Euro, entschieden die Richter.
Spendenaufruf an die Schmerzensgeld-Empfänger*innen
„Das ist natürlich viel zu wenig, aber trotzdem ein Erfolg“, sagte Rechtsanwältin Johanna Siemmsen-Hinzmann vergangene Woche zur taz. Eine zunächst eingelegte Beschwerde beim Oberlandesgericht Celle haben die Juristinnen zurückgenommen. Das Gericht habe erkennen lassen, dass die Beschwerde verworfen würde, so Siemmsen-Hinzmann.
Wie viele Aktivisten Anspruch auf das Geld haben, steht noch nicht fest. Denn wer sich in der Sache nicht anwaltlich vertreten ließ, muss nun beweisen, dass er oder sie damals eingekesselt war.
Die Initiative „Widersetzen“ befindet sich zurzeit, weil keine Castortransporte rollen, in einer Art Ruhe-Modus. Weil sie auch nicht als Verein eingetragen ist und keine Spendenquittungen ausstellen kann, hat sie den Schmerzensgeld-Empfängern empfohlen, die Summe oder einen Teil davon an andere Protagonisten des wendländischen Anti-Atom-Widerstandes zu spenden. Als Adressaten kämen die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, das Gorleben-Archiv oder die Bildungs- und Begegnungsstätte „Kurve Wustrow“ infrage.
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