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Berichterstattung über den CastorBeim Wald-und-Wiesen-Fernsehen

Das ganze Wendland mit WLAN versorgen: Der Castor-Protest wird technisch und medial professioneller begleitet denn je. Mit dabei sind auch die Piraten.

Radio freies Wendland will den Protest hörbar machen. Bild: Mark Mühlhaus / Attenzione

HITZACKER taz | Wenn es Herbst wird und der Castor ins Wendland rollt, dann gibt es die einen und die anderen, die protestieren. Die einen packen Sitzkissen ein und Strohsäcke, bevor sie zu den Schienen gehen, die anderen ein Ministativ, einen Ladeblock mit USB-Anschluss, ein Teleskopobjektiv und mindestens acht Ersatzbatterien.

Die einen träumen davon, den Strahlenmüll durch Sitzblockaden aufzuhalten, sie singen "Gorleben soll leben", während sich vor ihnen eine Polizeikette in Stellung bringt. Die anderen träumen davon, das ganze Wendland mit WLAN zu versorgen, bevor der Castor kommt. Jeden Wald und jedes Feld.

Die einen schreien "Abschalten!". Die anderen twittern.

Sebastian gehört zu den anderen. An seiner Jacke steckt ein Button: "Das Internet ist euer Feind". Um kurz vor drei bricht er aus seinem Camp auf. Es ist Samstag, ein Tag im Herbst. Der Castor-Zug nähert sich dem Wendland. Sebastian will demonstrieren, auf seine Weise. Er steckt die wasserdichte Schutzhülle für sein iPhone ein, für alle Fälle.

Kein Netz

Er will an die Schienen. "Gehe jetzt mit rund 500 Menschen aus dem Lager Metzingen Richtung Gleise", twittert er. Es ist kurz vor vier, da tippt er die nächste Nachricht: "Sitze mit 1000 anderen Leuten irgendwo im Wald auf nem Gleis :) Zurzeit leider kein WLAN". Er streckt sein iPhone in die Luft. Er hat kein Netz.

Von Hitzacker in die Welt: CastorTV-Macher bei der Arbeit. Bild: Mark Mühlhaus / Attenzione

Es gibt die einen, die vermuten, die Polizei störe absichtlich die Kommunikation der Protestbewegung im Wendland, irgendwie, wie auch immer. Sebastian schüttelt den Kopf. Er gehört zu den anderen. "Eine Netzinfrastruktur, die für einige Dörfer ausgelegt ist, hält diesen Ansturm einfach nicht aus", sagt er. Sebastian steht an den Schienen, auf denen bald der Castor rollen wird, Gleiskilometer 187. Der Himmel ist grau. Es sieht aus, als ob es bald regnen würde.

Im Wald sitzen Uniformierte auf Polizeipferden. Sie gucken zu, was passiert: Aus den Wälder strömen Demonstranten, sie klettern über querliegende Baumstämme und hangeln sich an Ästen entlang, sie rutschen auf nassem Laub aus. Sie wollen auf die Gleise. Erst sind es 500, dann 1.500, dann 2.000. Uniformierte rennen auf und ab, sie marschieren in Reihen. Sie greifen nicht ein, weil es zu viele sind, die aus den Wäldern kommen.

Router im Rucksack

Jubelschreie. Punktsieg für die Gleisbesetzer: Sebastian will das mit seinem iPhone filmen und live ins Internet übertragen. Auf Castortv.de soll weltweit jeder sehen können, was auf Gleiskilometer 187 bei Harlingen im Wendland passiert. "Protest ist überflüssig, ohne die Öffentlichkeit, die ihn wahrnimmt", sagt Sebastian.

Doch bevor er filmen kann, braucht er Internet. Das Netz ist zu schwach. Sebastian malt mit dem Zeigefinger eine Skizze in die Luft. Er will erklären, wie das funktioniert: Um Internet zu haben, braucht er ein Router in seinem Rucksack, am besten aber zwei. Mit dem Router kann er ein WLAN-Signal empfangen, das von einem Hot-Spot im nächsten Dorf an Verstärker gesendet wird; kleine Boxen, die irgendwo in den Bäumen hängen. Leute vom Chaos Computer Club hätten das eingerichtet, sagt er. Er schmunzelt, weil er weiß, dass nicht jeder versteht, wie seine Welt funktioniert.

Wenn Sebastian von Protest spricht, dann spricht er über Technik. "Ich muss zurück ins Camp", sagt er. Dort gebe es Internet. Sebastian stapft über ein Feld, Aktivisten kommen ihm entgegen, mit Isomatten und Strohsäcken in den Händen. Sie wollen die Nacht auf den Gleisen verbringen. Sitzen, singen und warten, bis der Castor kommt.

Sebastian geht die Dorfstraße hinunter, vorbei an einer Kolonne von Polizeiautos, die im Stop-and-go zu den Gleisblockierern zuckeln. Sebastian fragt sich, wie das eine Auto mit dem anderen kommuniziert, ob im Polizeifunk nur der Einsatzleiter sprechen darf oder ob alle durcheinanderreden. Sebastian vermutet heilloses Chaos und wüsste auch, wie es besser ginge. "Was wäre, wenn sich die Polizei per Twitter unterhält?", fragt er. Dann könne jeder Beamte dem Hashtag folgen, das ihn interessiere. Er will einen Witz machen. Aber er meint es auch ein bisschen ernst.

Stolzer Solartechniker

In einem Wohnwagen, zwei Dörfer weiter, sitzt Eckhard. Stoppelbart, wache Augen in müdem Gesicht. Er stellt sich als Solartechniker vor, als "stolzer" Solartechniker. Selbst sein Handy sei mit Sonnenenergie betrieben. Eckhard ist Sendeleiter von Castor-TV. Er empfängt die Bilder, die Sebastian von seinem Handy sendet. Wenn Eckhard von Protest spricht, dann spricht er von Technik. Wenn ein Polizist seinen Wagen durchsuchen wolle, erzählt Eckhard, dann zeige er als Erstes seinen 2.000-Watt-Sinus-Inverter, einen Kasten am Boden des Wagens, und versichere, dass das keine Bombe sei, obwohl es so komisch leuchtet und blinkt. Das sei passiert, im vergangenen Jahr.

Sein Handy klingelt. Eckhard nimmt ab. "Hey! Wo seid ihr?", fragt er. "Ich hab gehört, dass da Tränengas im Einsatz ist. Passt auf euch auf!" Er schaut auf einen der drei Bildschirme, die auf seinem Schreibtisch stehen. Auf einem läuft ein Liveticker, die neuesten Nachrichten und Gerüchte aus dem Castor-Gebiet. Um 14.28 Uhr meldet Castorticker.de: "Sieben Polizeihubschrauber haben Sonderkräfte der Polizei bei Harlingen abgesetzt."

Auf dem zweiten Bildschirm flimmert Castor-TV. Gerade laufen Livebilder aus dem Protestcamp Hitzacker: grauer Himmel, ein Wohnwagen, Rasen und ein Mensch in Regenjacke. Wenn Castor-TV Aktivisten beim Schottern zeigt, dann schaltet Eckhard einen Verfremdungsfilter ein. Die Aktivisten sind dann nur noch ein paar Pixel und kaum zu erkennen. Sein Handy klingelt, es gibt technische Probleme. "Hallo! Ja … Die Bilder kommen mit Verzögerung", sagt er. "Zieht eure Signalwesten an!" Eckhard will, dass seine Leute als Journalisten erkannt werden.

Anti-Atom-Piraten

Wenn der Castor rollt, dann dirigiert Eckhard die Kamerateams, die im Einsatz sind. Viele von ihnen filmen mit ihrem Handy und einer kostenlosen App. Eckhard lotst sie durch die Wälder. Dorthin, wo etwas passiert. "Unsere Glanzstunden haben wir, wenn der Castor auf der Straße ist", sagt er. Auf der Straße gibt es die größeren Blockaden, es passiert mehr, was sich filmen lässt. Noch ist der Transport auf den Schienen. Doch er nähert sich dem Verladebahnhof. Um 15.07 Uhr meldet Castorticker.de: "Die Polizei hat den Kreisverkehr bei Streetz abgeriegelt, nur noch Menschen, die zur Großdemonstration wollen, werden durchgelassen."

Sebastian ist im Camp angekommen. Er setzt sich auf einen Ledersessel. "Erkläre gerade zusammen mit @AntiAtomPiraten der TAZ wie wir neue Medien im Einsatz gegen den #Castor nutzen", twittert er. Die "Anti-Atom-Piraten", ein Dutzend Atomkraft-Kritiker aus der Piratenpartei, haben eine Autowerkstatt in Dannenberg angemietet und mit Feldbetten ausgestattet.

Ganz nah am Bahnhof, an dem der Castor auf die Straße umgeladen wird. Sie sind die Neuen im Anti-Atom-Protest. Auch sie gehören zu den Technikern und Netzwerkern, den anderen. Gestern seien einige Grüne vorbeigekommen und hätten nach Internet gefragt, erzählt man hier. Belustigung und Triumph schwingen in ihren Worten mit. Und ja: Es gibt Internet.

Auf den Tischen stehen Netbooks. Ein Beamer projiziert die Meldungen des Castortickers an die Wand. "Auf dem Parkplatz von McDonalds in Lüneburg sind 50 Leute in einem Polizeikessel eingeschlossen", meldet der Ticker um 18.34 Uhr. Sebastian liest die Meldung. Er lacht. Dann packt er den Router ein und geht. Zurück auf die Schienen, mit W-LAN.

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5 Kommentare

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  • M
    Markus

    Wir haben seit Jahrzehnten das Problem, dass niemand sagen kann, wohin mit dem Müll und für den bisher einzigen, wenn auch nur minimal erfolgversprechenden Lösungsansatz Gorleben ist die einzige Reaktion eine Blockade. Wir sollten froh sein, dass wir das Zeug nicht auf dubiosem Weg nach Afrika verschiffen und die Afrikaner mit bloßen Händen darin herumwühlen, um irgendwie Geld zu verdienen, wie es mit unserem sonstigen Giftmüll passiert!

    Klar ist: Die Grünen können und werden das Wendland niemals als Endlager akzeptieren, selbst wenn es der sicherste Platz auf Erden wäre, denn sonst würden der Gründungsmythos und das Sinnbild ihrer Ideale platzen und sie würden geächtet und nicht wiedergewählt.

    Doch was sonst? Die enttäuschende Antwort von rot-grün war 1998-2005 leider eine Augen-zu-Politik. Untersuchungen in Gorleben einstellen und bloß keine Alternativen ins Spiel bringen! Sonst würde die Ablehnung, die sich die anderen Parteien im Wendland zugegezogen haben aus anderen Regionen die Grünen treffen. Es ist so verdammt viel populärer die großen Probleme nicht anzufassen...

    Der Müll muss entsorgt werden und wir sollten das lieber in Deutschland machen als in irgendeiner afrikanischen Kriegsgegend, wo sonst mit unserem Müll noch schlimmeres angestellt werden könnte!

  • L
    lächerlich

    Piraten ohne Enterhaken. Wassertaxe Störtebeker - Bezahlt wird nicht!

  • U
    Urgestein

    Ich weiss ja nicht, was Du unter "durch" verstehst, Matze.

     

    Fakt ist doch, dass die Stromkonzerne eine Betriebsgarantie bis 2022 bekommen haben. Das heisst, die Scheisse läuft noch GARANTIERT 10 Jahre weiter. Die Betreiber verzögern den Rückbau der wegen Überalterung und fehlender Sicherheit abgeschalteten Schrott-Meiler mit allen juristischen Tricks. Dabei erhalten sie "Schützenhilfe" von "untergeordneten Behörden", wie z.B. dem Regierungspräsidium Darmstadt, welches gerade die durch das Abschalten des AKW Biblis erloschene Betriebsgenehmigung für das dortige Zwischenlager für radioaktiven Abfall mal eben um 35(!) Jahre verlängert hat, so dass RWE keine Veranlassung hat, mit dem Rückbau der beiden Meiler zu beginnen.

     

    Es ist in etwa die gleiche Situation, wie vor 10 Jahren. Die Betreiber spielen auf Zeit und warten, dass der politische Wind sich drehen möge. Vielleicht schon nach der nächsten Bundestagswahl, vielleicht erst nach der übernächsten. Die Regierung streut auf der "grossen Bühne" in Berlin dem Volk Sand in die Augen, während vor Ort in enger Absprache mit den Konzernen alle Vorbereitungen dafür getroffen werden, dass diese ihre gemeinsame Atompolitik gut über die nächsten Jahre retten können. Von "Aufgabe" also keine Spur. Sie verdienen einfach alle viel zu gut dabei, auf dem Rücken der Mehrheit selbstverständlich.

  • M
    Matze

    Wie bitte? Um die Welt vor der Reststrahlung der Castoren zu warnen, wird die ganze Gegend mit WLAN, UMTS und was weiß ich zugemüllt? Okay, das sind zwei Paar Stiefel, aber was soll das ganze überhaupt?

     

    Ich glaube, hier gehts nicht mehr um die Sache sondern nur noch um´s Prinzip. Leute, das Thema Atomkraft ist durch. Massenproteste wären erst wieder gerechfertigt, wenn der Wiedereinstieg geplant würde. Aber so ist das alles nur eine zusätzliche Belastung der Polizei und der Steuerzahler. Atommüll aus Deutschland muss auch wieder zurück nach Deutschland. Kapiert?

     

    Was macht eigentlich ein "Aktivist", wenn keine Aktion mehr erforderlich ist? Der Super-GAU.....

  • WF
    WiFree für alle

    Wenn die Piraten besser wären, würden sie EntwicklungsLänder mit WiFree versorgen. Dann müsste Deutschland doch mal nachziehen.

    RotGrün hat ja lieber 4 Mobilnetze versteigert (2-3 mal höhere Kosten als nötig) damit Oligopolisten Boni-Manager weiter gut verdienen.

    In Berlin gibts bis heute kein WiFree. Die Ampeln sind zu schwach war wohl ein Argument. Danke Linke für Eure Hilfe beim kostenlosen Bildungs-Zugang für alle unter Umgehung der Oligopolisten.

    Router und Fritzboxen kosten kaum noch etwas. Man muss nur die Backbones einrichten und die letzte Meile zahlt das Volk selber. In Deutschland zu aufwendig, in Google-City und evtl auch Litauen(?) längst Standard. Finanzierungsformen finden sich schon.

    Die Piraten failen leider einmal nach dem anderen.

    Mt pringels-Dosen schaffen die in USA bei Wettbewerben mehrere Meilen WiFi. Wer also mehr als 500 Euro für die Anbindung eines Bauernhofes braucht, hat falsche Preisvorstellungen.