Eine Liebe in der Krise: Beziehungskrach mit Journalismus
Der Journalismus muss, scheint es, immer jemanden erziehen. Er weiß einfach alles am besten. Die richtigen Leser zur Seite findet er schon.
D er Journalismus war für mich immer einer dieser Typen, mit denen es einfach perfekt zu passen schien. Es stimmt einfach alles, sagt man seinen Freunden über so einen Typen, obwohl man da schon weiß – oder wüsste, wenn man denn ehrlich mit sich selbst wäre –, dass man eigentlich nur die krasse Anziehung meint. Dass das mit den tollen Werten, die man teilt, eigentlich nicht so ganz stimmt. Aber Liebe lebt ja oft vom Ignorieren. Vom Schönreden. Zumindest eine Zeit lang.
Diese Woche aber hatten der Journalismus und ich mal wieder so richtig Beziehungskrach. Weil er mir mal wieder (meine Freunde hatten es mir zwar immer schon gesagt, aber Sie wissen schon, die Anziehung …) unter die Nase reiben musste, dass auch er nicht im Grand Hôtel Unabhängig lebt. Sondern auch nur Politik machen will. Nicht anders als all die anderen Typen – PR, Politik, Aktivismus –, die ich eben nie daten wollte. (Sie hören meine Freunde im Hintergrund auch kichern, oder?)
Wie in jeder guten, schlechten Beziehung hat mein Typ gerade ein echtes Kommunikationsproblem. Statt zu sagen, was ist, raunt er lieber vieldeutig herum. Das aber mehrstimmig. Ganze sechs Autoren fuhr etwa der Spiegel auf, um wolkige zweieinhalb Seiten mit Spekulationen über etwaige Hintergründe der Bundestagsresolution aufzufahren, die BDS als antisemitisch einstuft. Die sechs Edelfedern hatten auf den zwei Seiten dann Großes zu enthüllen: Lobbygruppen machen Lobbyarbeit. Schock.
Das ist, wenn es um die Auto- oder Bauernlobby geht, selten zwei Seiten wert. Aber weil es hier um Israel und Antisemitismus geht, absolute Triggerpunkte im deutschen Journalismus (echt mal, der Typ hat da ein Trauma, der braucht doch ’ne Therapie!), wird hier daraus der Grundtenor: jüdische Lobbygruppen steuern die deutsche Nahostpolitik. Belege? Quellen? Mhm. Unter vielen „nach Medienberichten“, „soll“ und „der Verdacht liegt nahe“ ist von Geldern (Parteispenden) und natürlich dem Mossad die Rede. Einzige „Tatsache“, die die Autoren liefern, ist: „Am Ende ist die Resolution so, wie Adler und die ‚WerteInitiative‘ (also die Lobbygruppe, um die es geht, Anm. d. Red.) sie sich gewünscht haben.“ Puh, „jüdische Weltverschwörung“ gerade nochmal aufgedeckt. Alter Falter – äh – Spiegel: das antisemitische Muster, das ihr da bedient, fällt euch doch selbst auf?
Immer nur lesen, was man hören will
Na ja, man schreibt halt viel, was der vermeintliche Leser lesen will. Oder was man will, dass er es will. Der Leser ist auch ein bisschen selbst schuld, verhält er sich doch beim Zeitunglesen wie beim Lieben: Er will jemanden, der ihm von früh bis spät textet, wie smart und sexy er ist. Gilt natürlich auch für die Leserin. Auch sie durchschaut ja längst, wo die Strippen eigentlich gezogen werden, aber wie angenehm, wenn einem das Blatt des Vertrauens die eigenen Theorien nochmal bestätigt.
Zielgruppenorientiert liebt und schreibt auch die NZZ, verkauft sich dabei aber als der ehrliche Typ, der der Frau gern sagt, wie’s wirklich läuft. Michael Rasch etwa klärt auf: „In deutschen Grossstädten geht inzwischen die Mehrheitsgesellschaft ihrem Ende entgegen“ (schon wieder Schock!). Betroffen vom Ende der Mehrheitsgesellschaft seien aber fast ausschließlich west- und süddeutsche Städte, was an der Wirtschaftskraft dort läge. Da hat der Osten ausnahmsweise aber mal Glück. „Betroffen“ und „Ende“ sind natürlich Buzzwords, die beim Leser hängen bleiben. Ende ist nie gut. Besser ist immer, wenn alles so bleibt, wie es ist. Ich wundere mich oft, wie es die Menschheit mit dieser Einstellung von der Steinzeit hierher geschafft hat.
Am besten sind ja eigentlich die Beziehungen, in denen man gemeinsam schweigen kann. Aber das geht mit Freund Journalismus schon mal gar nicht. Selbst über Gedöns wie Merkels Zittern kann er nicht die Klappe halten, sondern muss es voyeuristisch (aber reflektiert!) ausdiskutieren. Der Leser, die Leserin will es halt so. Man muss ihm zugutehalten: Hier versucht er mal nicht, den Partner – äh, Leser zu erziehen. Dafür aber die Kanzlerin. Denn der unausgesprochene Zwischenton bei all dem „Man wird ja wohl noch fragen dürfen, ob die Kanzlerin die letzten Monate ihrer letzten Amtszeit auch topfit durchhält“, ist doch nur: Alte, gib auf. Wir sagen dir, es ist besser für dich.
Er kann halt nicht aus seiner Haut, der Journalismus, irgendjemanden muss er immer erziehen. Er weiß einfach alles am besten. Er steht immer auf der richtigen Seite. Die richtigen Leser zur Seite findet er schon, oder er richtet sie sich halt zu. Lehrerin aber wollte ich nie sein. Mein Vater hat mich immer gewarnt, aber ich war in Woodward und Bernstein verliebt und wollte nicht hören. Manchmal muss man in jeder Beziehung weit zurückblicken, um sich zu erinnern, was man mal toll aneinander fand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen