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Eine Hotline für verängstigte WeißeKeine Gefahr, aber Rassismus

Weiße in Amerika rufen oft die Polizei, um Schwarze zu melden, die nichts verbrochen haben. Für sie hat die „New York Times“ eine Hotline eingerichtet.

Nein, es herrscht keine Gefahr Foto: unsplash/ Patrick Fore

Berlin taz | April 2018, Oakland, USA: Drei Männer grillen im Park. Juni 2018, Orange Village: Studentinnen zahlen ihre Rechnung in einem Restaurant. August 2018, Brooklyn: Eine Frau will sich vor Regen schützen und steht in einem Hauseingang. Alles drei, so sollte man meinen, alltägliche und nachvollziehbare Handlungen. Und doch wurde in allen drei Situationen die Polizei gerufen. Denn bei den Personen handelte es sich um Nicht-Weiße, um People of Color (PoC). Gerufen wurde die Polizei von weißen Menschen, die erstere aufgrund ihrer Hautfarbe für verdächtig hielten.

Damit Weiße nicht mehr die Polizei rufen müssen, um PoC zu melden, die ihren Alltag verrichten, hat die New York Times eine Hotline für Notrufe der oben beschriebenen Art eingerichtet: 1-844-WYT-FEAR. Beworben wird sie mit einem Video in Form einer satirischen Teleshopping-Sendung, die anmutet, als sei sie aus den Neunzigern. „Ich möchte Ihnen ein brandneues Produkt vorstellen“, sagt Schauspielerin Niecy Nash darin, „das Ihnen all die Sorgen nehmen wird, gefilmt und als rassistischer Depp geoutet zu werden.“

Denn dass Weiße die Polizei rufen und Schwarze beim Erledigen ihres Alltags melden, ist keine Seltenheit. Von 39 Fällen aus dem Jahr 2018 berichtet die New York Times. Durch rassistische Vorurteile geschürte Ängste liegen so tief in der Gesellschaft, dass Unschuldige durch ihre Mitbürger:innen vorverurteilt werden, schwarze Opfer von Polizeigewalt, dabei oft sogar erschossen werden. Was bedeutet: Wer die Nummer wählt, ist selbst vielleicht nicht in Gefahr – gefährdet aber die zu Unrecht gemeldete Person.

Es ist ebenfalls keine Seltenheit, dass die Situationen gefilmt und in Online-Netzwerken verbreitet werden. So machte zum Beispiel das Video von einer jetzt als „Permit Patty“ bekannten Frau die Runde, die die Polizeidurchwahl 911 wählte, weil ein schwarzes Mädchen am Straßenrand Wasser verkaufte. Oder das eines Mannes, der die Polizei wegen eines verdächtigen Coupons rief. Das Internet nennt ihn „Coupon Carl“.

Durch deine Antwort konnten wir feststellen, dass du dich nicht wirklich in Gefahr befindest, sondern wahrscheinlich nur ein Rassist bist

Was aber passiert, wenn man diese Nummer anruft? „Wir sind hier, um Ihre dringenden Bedürfnisse über schwarze oder braune Menschen, die neben Ihnen Ihr Leben leben, anzunehmen“, sagt eine Stimme. Darauf folgen einige Wahlmöglichkeiten: Handelt es sich bei der Gefahr um ein Wasser verkaufendes Kind? Oder eine Person, die auf ihre Begleitung wartet?

Egal, was die oder der Anrufende wählt, am Ende lernt er oder sie: „Durch deine Antwort konnten wir feststellen, dass du dich nicht wirklich in Gefahr befindest, sondern wahrscheinlich nur ein Rassist bist.“ Gefolgt von dem Ratschlag, das Handy einfach wegzulegen und mit dem Alltag weiterzumachen – ohne die Polizei zu rufen.

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2 Kommentare

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  • Mad World

  • Zitat: „Durch deine Antwort konnten wir feststellen, dass du dich nicht wirklich in Gefahr befindest, sondern wahrscheinlich nur ein Rassist bist.“

    Okay. Schon mal von „displacement activity“, „substitute activity“, „behaviour out of context“ oder „Übersprungshandlungen“ gehört? So etwas gbt's. Nicht nur bei komischen Vögeln. Auch Menschen sind ziemlich naturbelassen an dieser Stelle.

    Der Verhaltensforscher Klaus Immelmann hat 1983 festgestellt, dass Übersprungsverhalten auf den Beobachter „unerwartet in dem Sinne“ wirkt, „dass es in der Situation, in der es auftritt, nicht die normale biologische Funktion erfüllt, für die es [...] entwickelt wurde.“ Auf Leute, die bei der Polizei anrufen, weil ihre Nachbarn grillen oder sich unterstellen, trifft das natürlich zu.

    Aber das ist jetzt nicht die gute Nachricht. Wissenschaftler, die dem Hang nach einfachen Erklärungen („Die spinnen, die Römer!“) eher zögernd nachgeben, deuten Übersprungshandlungen nämlich als soziale Signale, die im jeweiligen Kontext keineswegs irrelevant sind. Und mal im Ernst: So eine Hotline ist ja wohl auch das genaue Gegenteil einer Vernunft-Handlung.

    Die New York Times ist nicht irgend ein Wurstblatt. Sie sollte es eigentlich nicht nötig haben, das eigene Image auf Kosten von Leuten aufzupolieren, denen das Denken schwer fällt. Schon gar nicht, so lange die Gesellschafts-Gräben in den USA beinahe so tief sind wie die Gräben zwischen den Kontinentalplatten. Was die „Eliten“ vom „Plebs“ trennt, ist so explosiv, dass es tagtäglich Opfer fordert. Und zwar weniger unter New-York-Times-Machern, als unter denen, mit denen das Blatt sich angeblich solidarisiert.

    Lustig? Ist es diese Hotline sicher nicht. Aber schon klar: Wenn Trump-Fans Übersprungshandlungen begehen, ist man selbst vielleicht auch nicht sicher davor. Es ist also besser, man versucht gar nicht erst, menschliches Verhalten zu hinterfragen. Könnte ja sein, man würde sonst mit den traurigen Folgen eigenen Verhaltens konfrontiert.