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Ein toller Hecht erzählt zu viel

Ein deutsch-dänisches Team hat die Spionagegeschichte Schleswig-Holsteins erforscht. Auch den Stasi-Spitznamen von Ministerpräsident Björn Engholm hat es dabei gefunden

Wirtin Esselbach aus Schleswig hörte ihren preußischen Gästen besonders gut zu Foto: Litho: Otto Lehmann/ SHLB CC

Von Esther Geißlinger

Kohllieferungen aus Dithmarschen, Tratsch aus dem Landtag und Treffen der deutschen und dänischen Minderheiten: Ausländische Geheimdienste interessierten sich im Lauf der Jahrzehnte für ganz unterschiedliche Dinge und Personen in der deutsch-dänischen Grenzregion. Ein deutsch-dänisches Forschungsprojekt hat sich mit dieser „Spionage im Grenzland“ befasst. Ein gleichnamiger Sammelband erscheint Ende des Monats. Das Werk schildert geheimdienstliche Tätigkeiten vom 19. Jahrhundert bis zum Ende der DDR. Die Aufsätze lassen sich als Warnung für heute lesen.

„Hecht“ lautete der Name, unter dem das Ministerium für Staatssicherheit der DDR den Lübecker SPD-Politiker und späteren Schleswig-Holsteinischen Ministerpräsidenten Björn Engholm führte. Engholm galt als „Kontaktperson“, sprich, „er war eine Quelle, die verlässlich abgeschöpft werden konnte“, wie Helmut Müller-Ensberg, Professor für die Geschichte des Kalten Krieges an der Uni im dänischen Odense, bei der Vorstellung des Forschungsprojekts erklärt.

51 Agen­t:in­nen sammelten 1988/89 in Schleswig-Holstein Material für die DDR: Das Land stand im Fokus auch wegen seiner Lage zwischen den Meeren, die auch heute noch strategisch bedeutend ist: In den vergangenen Monaten wurden immer wieder Drohnen-Aktivitäten über Militär- und Industrieanlagen gesichtet. Müller-Ensberg sieht denn auch in der Geschichte eine Warnung: „Ich möchte dem Landtag nahelegen, anhand der Aktenlage zu ermitteln, wie es einer fremden Macht gelingt, Fraktionen im Parlament zu benutzen und für welche Dinge sie sich inte­ressieren.“

Das können ganz normale Dinge sein, etwa Ernte- oder Dünger-Transporte. Während des Zweiten Weltkriegs interessierte sich der britische Geheimdienst für diesen Indikator der Versorgungslage. Anne Rheder Andersen, Historikerin der Universität Odense, hat die Quellen in englischen Archiven ausgewertet, vor allem Zeitungstexte. Offen zugängliches Material bilde einen wichtigen Teil der geheimdienstlichen Tätigkeit, so Andersen: „Warum soll man Agenten schicken, wenn man die Dinge in Zeitungen findet?“

Buch „Spionage im Grenzland Nachrichtendienste in Schleswig-Holstein und Süddänemark“, hg. von Nils Abraham, Helmut Müller-Enbergs, Mogens Rostgaard Nissen und Thomas Wegener Friis, Berlin Bebra, 320 S., 38 Euro. Erscheint am 27. Juni

Vor allem aber sind es Menschen, die Nachrichten liefern, aus Überzeugung, Geldgier und sonstigen Gründen. Nur wenige davon sehen aus wie James Bond. Während der Kriege im 19. Jahrhundert war etwa die Hotelbesitzerin Doris Esselbach, eine Legende in Schleswig bis heute, eine „hochgeschätzte dänische Spionin“, heißt es im Aufsatz von Kristian Bruhn, Kurator im Museum Mosede Forts und früher Archivar des dänischen Nationalarchivs. Er befasste sich fürs Projekt mit den Aktivitäten ausländischer Militärgeheimdienste vor und im Ersten Weltkrieg. Die Wirtin sei unter Preußen und Dänen gleichermaßen bekannt für ihr „herzliches Entgegenkommen“ gewesen „und ihre Gastfreundschaft gegenüber beiden Konfliktparteien“. Dass sie jahrelang Informationen lieferte, erfuhr niemand.

Manche Spione wechselten von einem Regime zum anderen. Bodo von Hechelhammer, bis 2021 leitender Historiker des Bundesnachrichtendienstes, schildert die „klandestinen Karrieren des Hans Sommer“. Der, 1914 in Nortorf geboren, trat bereits 1930 der Hitlerjugend bei. Später jagte er beim NS-Sicherheitsdienst „Feinde des Dritten Reiches“ und organisierte in Frankreich Terror-Anschläge, unter anderem auf Synagogen. Dafür wurde er in Frankreich verurteilt, kam aber 1950 nach Deutschland zurück und heuerte bei der von Nazi-Kadern dominierten „Organisation Gehlen“ an, dem Vorläufer des BND. Sommers NS-Vergangenheit führte 1953 überraschenderweise zu seiner Entlassung. Er ließ sich daraufhin von der Stasi anwerben. Es war „eine hohe Aktivität Sommers auf sämtlichen geheimdienstlichen Einsatzfeldern zu verzeichnen“, schreibt Hechelhammer. Sommers detaillierte Berichte gaben den DDR-Behörden Einblicke in den BND. Auch der sowjetische KGB war interessiert.

Hans Sommer wechselte vom NS-Sicherheitsdienst zur „Organisation Gehlen“, dem späteren BND, und dann zur Staatssicherheit der DDR. Auch der KGB fand den Mann aus Nortorf interessant

Fast parallel verläuft die Geschichte von Gustav Hanelt, 1914 in Schmachthagen geboren. Auch Hanelt sei schon „als Schüler braun-glänzend“ gewesen, sagt Müller-Ensberg, der den Aufsatz über ihn verfasst hat. In der NS-Zeit tat sich Hanelt durch Grausamkeit hervor, kam nach kurzer Haft frei und wurde Mitglied einer geheimen „Bruderschaft, dem blutigsten Teil der NS-Elite, der nicht aufgehängt wurde“, so Müller-Ensberg. Diese Personen warb die Stasi mit Vorliebe an, so spionierte der überzeugte Nazi Hanelt nun für den sozialistischen Staat.

Der Kieler Landtag hat das Forschungsprojekt mit rund 36.000 Euro gefördert. Eine einstimmige Entscheidung, wie Sybille Nitsch von der SSW-Fraktion betont: Das Buch könne künftig im Geschichtsunterricht eingesetzt werden – beidseits der Grenze.

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