Ein Tunnel für Kreuzberg: Unterm Pflaster die Bahn
Die „S21“ – der Anschluss des Hauptbahnhofs an den Ring – kommt nur mühsam voran. Der Fahrgastverband IGEB hat die Linie jetzt visionär weitergedacht.
Eisenbahnplaner und Försterinnen haben etwas gemeinsam: Sie denken in sehr langen Zeiträumen. Bäume wachsen bekanntlich langsam, und Brücken oder Tunnel müssen manchmal schon mitgedacht oder prophylaktisch gebaut werden, wenn noch jahrzehntelang keine Züge rollen. Sonst kann der Gang der Stadtentwicklung auch dem sinnvollsten Verkehrsprojekt ein vorzeitiges Ende bereiten.
Eines, das schon Anfang der 90er erdacht, beschlossen, zu den Akten gelegt, reanimiert und schließlich in Teilen umgesetzt wurde, ist die sogenannte City-S-Bahn, auch S21 genannt – wobei ein ähnlich klingendes Projekt in Stuttgart mittlerweile das Kürzel kompromittiert hat. Dieser zweite Nord-Süd-Tunnel (mit dem Fernbahntunnel sogar der dritte) soll den vergleichsweise schlecht angeschlossenen Berliner Hauptbahnhof mit der Ringbahn verbinden.
Im Sommer 2021, also in gerade einmal anderthalb Jahren, wird der erste Abschnitt in Betrieb gehen: Dann wird der „westliche Nordring“, namentlich der S-Bahnhof Wedding, mit dem Hauptbahnhof kurzgeschlossen. Das abenteuerlich anmutende Viadukt oberhalb des Nordhafens lässt sich schon seit Längerem bestaunen. Den nordwestlichen Abzweig zum S-Bahnhof Westhafen haben Bund und Berlin, die das Milliardenprojekt kofinanzieren, dagegen noch nicht umgesetzt.
Allerdings wurde erst vor Kurzem nach langen Verhandlungen mit der Bundestagverwaltung entschieden, wie der weitere Streckenverlauf vom Hauptbahnhof zum Potsdamer Platz aussehen wird. Dazu muss sich der neue Tunnel nämlich unter dem sicherheitsrelevanten Bereich rund um den Reichstag entlangschlängeln. Bis hier tatsächlich gebaut wird, werden aber wohl noch etliche Jahre ins Land gehen. In ganz weiter Ferne liegt der letzte Abschnitt: via Gleisdreieck zu den Yorckstraßen-Bahnhöfen.
Neue „Durchmesserlinie“
Auftritt Berliner Fahrgastverband IGEB: Sein Vorsitzender Christfried Tschepe, von dem auch der Vergleich mit der Forstwirtschaft stammt, stellte am Donnerstag zusammen mit Stellvertreter Jens Wieseke eine kühne Weiterentwicklung der S21-Projekts vor, unter dem Motto „Pragmatisch handeln und visionär denken“: Die City-S-Bahn soll dabei zu einer stadtdurchquerenden „Durchmesserlinie“ erweitert werden, über die man umsteigefrei vom künftigen Siemens-Campus zur Wissenschaftsstadt Adlershof rollen kann.
Wie das? Der Anschluss an die stillgelegte Siemensbahn, die der Senat ohnehin reaktivieren will, ist das kleinste Problem. Dazu braucht es laut IGEB „nur“ eine weitere Bahnsteigkante auf der Bahnhof Jungfernheide – anders lasse sich ein stabiler Fahrplan auf der Ringbahn nicht sicherstellen. Ebenso wichtig und ohne Weiteres machbar (aber eben noch nicht in Angriff genommen) ist der bereits erwähnte Nordwestanschluss des Hauptbahnhofs und der Bau eines S-Bahnhofs „Perleberger Brücke“. Jens Wieseke: „Den fordern wir seit Jahren gebetsmühlenartig. Man kann nicht die Europa-City an der Heidestraße bauen, ohne für angemessenen Anschluss zu sorgen.“
Aber jetzt kommt's: Der IGEB schlägt vor, einen Tunnel vom Potsdamer Platz abzweigen zu lassen, der erst an der Treptower Kiefholzstraße wieder ans Licht kommt und dort an die Trasse nach Schönefeld anschließt. Genau: Dazu muss Kreuzberg in voller Breite unterquert werden. Ein paar neue S-Bahnhöfe gäbe es zwischendrin auch: Kochstraße, Moritzplatz, Görlitzer Bahnhof und Glogauer Straße. Für alle, die sich heute mühsam im M29-Konvoi durch die Stadt quälen, paradiesische Zustände.
Freilich ist das Projekt ist ein verkehrspolitisches Utopia, und die – fachlich sehr versierten – IGEB-Experten sagen selbst: Es würde sehr, sehr teuer. Nur finden Tschepe und Co., dass man schon mitdenken muss, was vielleicht jetzt noch nach fiebrigen Visionen à la Helmut Schmidt klingt. Denn verbauen kann man sich so etwas ganz schnell. Schon die bereits erfolgte Verlängerung der A100 nach Treptow macht das Ganze viel komplizierter als unbedingt nötig.
„Es ist gewissermaßen ein Prüfauftrag an die Politik“, so Tschepe. „Auch wenn es erst in 50 Jahren realisiert werden sollte.“ Zumindest bei den Grünen gibt es dafür gewisse Sympathien: „Eine interessante Idee“, findet Matthias Dittmer, Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Mobilität. Für absolut vordringlich hält er es jedoch, den zweiten Nord-Süd-Tunnel „mit Hochdruck“ voranzutreiben. Alle S-Bahn-Linien müssten in der Innenstadt künftig im 5-Minuten-Takt fahren.
Für seine Utopie einer Kreuzberg-S-Bahn hat sich der Fahrgastverband übrigens schon einen Namen ausgedacht: „S6“ soll die Zukunftslinie ganz prosaisch heißen. Die Nummer ist derzeit nämlich nicht belegt.
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