Ein Tschüss an Antje Hermenau: Dann halt nicht
Antje Hermenau konnte Schwarz-Grün nicht durchsetzen. Sie war die wichtigste Grüne des Ostens. Jetzt geht sie. Ein Abschiedstreffen.
Der Ministerpräsident von Sachsen führt im Dresdner Ständehaus just in diesem Moment Koalitionsgespräche, da betritt Antje Hermenau einen Kilometer entfernt ein Café. Blondes Haar, blaues Kleid, großes Lächeln.
Am falschen Ort zur richtigen Zeit, liebe Frau Hermenau?
„Überhaupt nicht.“
Zehn Jahre hat sie als Fraktionsvorsitzende dafür gearbeitet, die Grünen zunächst zurück ins Parlament und dann in die sächsische Regierung zu führen. Der Gestus war stets: Ich krieg das hin. Vermutlich ihr Lebensmotto. Aber das mit dem Regieren hat sie nicht hingekriegt.
Wie waren die letzten zehn Jahre?
„Anstrengend“.
Sie wurde zuletzt öfter krank, einmal muss sie das Schlimmste befürchten, irgendwann denkt sie: „Mein Körper stößt diese Existenz ab.“ Nach der Absage des grünen Landesparteirats von Koalitionsverhandlungen mit dem Wahlsieger CDU hat sie Schluss gemacht. Am vergangenen Samstag endete ihre Rede auf dem Landesparteitag in Leipzig mit den Worten: „Lebt wohl!“ Während selbst Vertraute noch rätselten, hatte sie bereits auf das Landtagsmandat verzichtet und an ihrem Wohnort Dresden ein Kleingewerbe angemeldet. Sie ist jetzt politische Beraterin.
Hast du gekündigt?, fragte ihr achtjähriger Sohn.
Ja, sagte sie.
Kinder und Karriere lassen sich einfach nicht vereinbaren, klagen zusehends mehr Mittelschichtseltern. Und es geht doch. Alles eine Frage der Verhandlung. Den Beweis finden Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. September 2014. Außerdem: Wir könnten alle in Grand Hotels leben, wirklich. Ein Visionär rechnet das vor. Und: Warum das zweite Album von Kraftklub doch nicht scheiße ist. Ein Gespräch. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Gut, sagte er.
Hermenau ist Jahrgang 1964, der geburtenstärkste dieses Landes. 25 Jahre hat sie in der DDR gelebt, 25 in der Bundesrepublik. Gründungsmitglied von Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen. Sie kam 1990 in den Landtag und 1994 in Bonn in den Bundestag. Fachbereich: Geld. Damals saß sie schon in Lockerungsrunden mit CDU-Abgeordneten.
Zu grünen Regierungszeiten in Berlin wurde sie von Vizekanzler Joschka Fischer im Privatissimum in gehobener Lautstärke geföhnt und danach vom Kollektiv abgestraft, weil ihre haushaltspolitischen Sparpositionen nicht zum rot-grünen Geldausgeben passten. 2004 flehte man sie an, zurück nach Dresden zu kommen, um die Partei neu aufzubauen. Sie stand bei 2,6 Prozent. Ergebnisse seither: 5,1, dann 6,4 und jetzt zuletzt 5,7 Prozent. Das grundsätzliche Problem im Osten: Die Funktion der Grünen ist den meisten unklar.
Sie sei schuld an den 5,7 Prozent
Hermenau nicht. Sie sah die Grünen bei dieser Wahl angesichts des Rechtsrucks im Bundesland und näherrückender Megaprobleme in einer „historischen Verantwortung“. Anders als in Thüringen gab es keine Chance für Rot-Rot-Grün. Es folgten die surrealen Grünen-typischen Verrenkungen, die man aus dem letzten Bundestagswahlkampf kennt. Man wolle die CDU ablösen, aber auch regieren. Nach der Wahl hieß es dann, schuld an den nur 5,7 Prozent sei Hermenau. Sie habe durch ihre schwarz-grüne Präferenz die Rot-Grünen vergrätzt.
Dem kann Hermenau viererlei entgegnen: Durch den desaströsen Bundestagswahlkampf stürzten auch Sachsens Grüne von den 11-Prozent-Umfragen in eine Grube, die sie in Würdigung des Masterminds „Trittin-Loch“ nennt. Sie mussten von 4,9 Prozent bei der Bundestagswahl zurückkommen. Zweitens: Die Thüringer Grünen holten mit der Präferenz Rot-Rot-Grün auch genau 5,7 Prozent.
Die SPD erreichte übrigens in beiden Ländern 12,4 Prozent. Drittens: Die interne Auseinandersetzung nach dem klassischen Muster (Moral und grüne Inhalte in Gefahr) wirkte auch diesmal nicht vertrauensbildend. Selbst die Chemnitzer Freie Presse tadelte es als „Grünen Holzweg“, in der „Oppositionsrolle besser schlafen“ können zu wollen.
Eine große Mehrheit in Sondierungsgruppe und dem Rest der Partei meinte, dass die Differenzen zur CDU zu groß seien und gemeinsame, vorzeigbare Projekte fehlten, speziell ein Einstieg in den Ausstieg aus der Braunkohle. Macht’s halt wieder die SPD. Die hat mit Braunkohle nie ein Problem. Soll sie doch, sagen die Grünen: „Aber wir können nicht daran beteiligt sein, dass nichts passiert.“ Das drückt vermutlich die Urangst dieser Partei aus.
Sie hat zu Ende gedacht
Das Frappante an Hermenau ist, dass sie in dem langen Gespräch an diesem Mittwoch nie „abrechnet“, wie man gern sagt. Es klingt vielmehr, als sorge sie sich um die Zukunft der Grünen.
Hermenaus Nachteil war, dass sie wenig inhaltlich laviert, wie es für Politiker angeblich notwendig ist. Sie hat etwas zu Ende gedacht und Schlüsse daraus gezogen. Die anderen hatten den Eindruck, sie entscheide das meiste einfach und man könne dann nur hinterherrennen. Zudem konnte sie nie nachempfinden, worin das emotionale Problem mit der Union besteht.
„Dieses Vibrieren, wenn das Wort Schwarz-Grün fällt, als sei das etwas Widernatürliches“, es blieb ihr stets unverständlich. Entsprechend kompliziert war der Umgang zwischen ihr und dem Protestmilieu, speziell dem Dresdner Kreisverband, den sie jetzt verlassen hat, um zu den Bautzenern zu wechseln.
Sie war als Bürgerrechtlerin 1989 auf der Straße, mit Leuten aus der heutigen CDU, gegen die DDR und ihre Staatspartei, aus der die heutige Linkspartei wurde. Eine völlig andere Prägung, als sie West-Grüne haben und auch Teile der 1.375 Grünen-Mitglieder in Sachsen, für die die CDU jetzt die „Staatspartei“ ist, die man stürzen muss.
Sie suchte das Verbindende
Allerdings ist Sachsen konservativer als andere Länder, und diese CDU hat seit 1990 alle Wahlen gewonnen, weil sie das versteht. Hermenau suchte trotz der großen Differenzen das Verbindende und sah „die Modernisierung der CDU“ als Voraussetzung, um Sachsen modernisieren zu können.
Aha, also doch wieder ein grünes Erziehungsprojekt?
Hermenau, lächelnd und blitzschnell: „Ne, ein Modernisierungsauftrag.“
Sie war nie eine typische Grüne. Keine Bildungsbürgerinnenjugend mit Geigenunterricht, sondern im sozialistischen Leipzig als Arbeitertochter aufgewachsen. Harte Kindheit, Vater Alkoholiker. Furchtbare Schicksalsschläge. Bruder Freitod, Schwester Drogentod. Sie: zwei Hochschulabschlüsse, mit 30 im Bundestag. Mit 42 Mutter. Inzwischen alleinerziehend.
Sie zog die Grünen mit ihrer Kraft und ihrer strategischen Intelligenz hoch, aber die anderen mussten damit auch zurechtkommen. Aus Hermenaus Sicht hat sie Geduld aufgebracht und Rücksicht genommen. Aus Sicht anderer machte sie ihr Ding.
Selbstverständlich hat eine Reala mit linken Grünen im Kern Differenzen: Die von ihr entwickelte und mit der CDU durchgezogene Schuldenbremse ist für sie die Grundlage für nachhaltige Sozialpolitik. Im ökosozialen Verständnis ist Haushalt sanieren links, im klassisch-sozialen ganz und gar nicht.
Dass Grüne die Ablehnung von Koalitionsgesprächen damit begründen, dass man zur „Ökofunktionspartei“ degradiert werden solle, findet sie ironisch. Ökopolitik ist für sie der Kern der Partei. Nicht als Umweltgedöns, sondern als Sozial- und Wirtschaftspolitik. Sie traut der Union die Entwicklung zu, SPD und Linkspartei nicht.
Fidel, pointiert und klar
Man muss immer argwöhnen, dass eine Politikerin, die ihr Ziel nicht erreicht hat und nach jahrelangem Hickhack nun die Parlamentspolitik aufgibt, seelisch angeschlagen ist. Dass sie nur von einem Plan spricht, um das zu vertuschen. Es deutet aber wenig darauf hin, zumindest zu diesem Zeitpunkt. Hermenau ist fidel, pointiert und klar.
Sicher, nicht nur sie wollte nicht mehr Fraktionsvorsitzende sein, auch die anderen fanden, dass es reicht. Klar, wenn man kein gemeinsames Ziel hat. Sicher, sie wollte unbedingt als Ministerin in der Regierungsverantwortung zeigen, wie man sozialökologische Politik trotz Koalitionszwängen und Schuldenbremse machen kann. Was sie auf keinen Fall wollte: noch eine Wahlperiode den anderen beim Regieren zusehen.
So ein Landtag ist ja auch nicht immer ein intellektuell inspirierender Ort. Sie hat jetzt einen Arbeitsplatz bei netten Menschen in einer Bürogemeinschaft. Sie will ein Buch schreiben. Nicht über die Vergangenheit, sondern darüber, wie Zukunft doch geht.
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