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Ein Plädoyer für junge GrüneDer Wortbruch und die Grüne Jugend

Unser Autor hat die Grüne Jugend schon vor Jahren verlassen. Jetzt entdeckt er wieder sein Herz für die Habeck-Kritiker:innen.

Jette Nietzard und Jakob Blasel, Bundesvorsitzende der Grünen Jugend, beim Parteitag der Grünen in Berlin am 26. Januar Foto: Michael Kappeler/dpa

2 018 war ich mir schon sicher, dass es mit den Werten bei den Grünen den Bach runtergeht. Da war ich 14 Jahren und bin aus der Grünen Jugend ausgetreten. Es gab mir in der Jugendorganisation zu wenig Antifaschismus und Kapitalismuskritik, von der Mutterpartei ganz zu schweigen. Seitdem ist viel passiert. Die Grünen sind nicht mehr nur nicht links genug für mich, in der Migrationspolitik haben sie rechts der Mitte angedockt. Neuer Höhepunkt: Habecks 10-Punkte-Plan. Doch gegen die „Sicherheitsoffensive“ gibt es Widerstand in der Partei – von der Grünen Jugend.

Ganz frech präsentierte die Nachwuchsorganisation einfach ihren eigenen 10-Punkte-Plan mit dem Titel „Humanität durch Sozialstaat“. Eine Punktlandung. Statt Forderungen wie der nach einer „konsequenten Abschiebung nichtdeutscher Gefährder und Schwerkriminelle“ zu ventilieren, wird die Partei daran erinnert, dass im Wahlprogramm vereinbart wurde, nicht in Kriegs- und Krisengebiete abzuschieben. „Abschiebungen sind keine Bestrafung und dürfen nicht als solche eingesetzt werden“. Ein linker und grüner Gegenentwurf zum Ein-Wort-Kanzlerkandidaten.

Dieser warb zuletzt mit „Wort statt Wortbruch“ als Schlachtruf gegen Friedrich Merz. Habecks Kritik gegen das Niederreißen der Brandmauer durch die CDU ist durchaus angebracht. Doch es hinterlässt einen faden Beigeschmack, dass Habeck inmitten einer riesigen antifaschistischen Demonstrationswelle nun auch auf Härte in der Migrationspolitik setzt. Da ist es nur folgerichtig, wenn die Grüne Jugend Niedersachsen auf Social Media den Wahlkampfspruch gegen den grünen Kanzlerkandidaten richtet, weil der so gar nicht ihre Politik vertritt.

Post wegen zu viel Kritik gelöscht

Doch der Post, bei dem der Landesverband Habeck „Wortbruch statt Wort“ vorwarf, wurde nach kurzer Zeit und viel Kritik gelöscht. In einer Instagram-Story zeigte man sich reuig und entschuldigte sich für die Darstellung Robert Habecks, der mit schwarzem Balken über den Augen wie ein Verbrecher rübergekommen war. Zum Inhalt des Posts stehe man indes. Immerhin. Wirklich links zu sein scheint in der Realo-Partei alles andere als leicht zu sein. Die Grüne Jugend jedenfalls war nicht bereit, für den gemeinsamen Wahlkampf politische Überzeugungen zu opfern. Das wurde bei den Grünen nun wirklich viel zu viel und viel zu oft gemacht.

Auch wenn ich meine Entscheidung, die Grüne Jugend zu verlassen, immer noch für richtig halte, habe ich großen Respekt vor allen, die linke Ideale am Leben erhalten – egal in welcher Partei oder Organisation. Es würde mich übrigens nicht wundern, wenn die eine oder der andere aus der Grünen Jugend die Grünen am Ende gar nicht wählen würde.

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Fridolin Haagen
Sportredakteur
Jahrgang 2004, mit Fokus auf Fußball, Politik und Star Wars.
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7 Kommentare

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  • Worum geht es im Parlamentarismus? Um Sitze im Parlament. Und an die kommt man nur, wenn man gewählt wird. So schwer es mir fällt, leider muss man da große Kompromisse eingehen. Und sich als Partei halbwegs geschlossen zeigen, Regierungstauglich.

    Die Jusos haben schon ähnlichen Streß gemacht, über 24 Prozent kommt die SPD schon lange nicht mehr, vielleicht nicht mal über 20! Und die Grünen wollen den Kanzler stellen mit aktuell ca. 13 Prozent. Was bringt die Opposition? Was kann man als deutlich kleinerer Koalitionspartner bewirken an wichtigen Gestaltungsmöglichkeiten?

    Politik ist eben auch Kompromiss, ob uns das gefällt oder nicht.

  • Ich würde mir wünschen, dass die Linken unter den Grünen, um mehr Erfolg für linke Politik zu ermöglichen, sich mal ein bisschen selbstkritisch betrachten würden.

    Die Handlungen der Letzten Generation z.B. ("Menschen in ihrem stressigen Alltag noch mehr stressen") haben so viel Schaden für die Klimaschutzbewegung angerichtet, dass ich mich manchmal schon gefragt habe, ob die teilweise von der globalen Ölindustrie unterwandert waren.

    Und Jette Nietzard ist zuletzt vor allem durch verstörende Kommentare im Fall Gelbhaar aufgefallen: Eher unempathische Betonideologie als Humanität.

  • Solange über den Gini-Koeffizienten nur Stasifressen, Apparatschiks und Kindergärtnerinnen reden, wird das Thema wohl Migration bleiben. Es stellt sich auch hier die Frage von Weimar: Wie scheiße muss man sein, damit Nazis einem relevanten Teil der Wähler tatsächlich als mögliche Alternative scheinen?

  • Die Grüne Jugend ist genauso eine Enttäuschung wie ihre Mutterpartei.

    Das sind bürgerliche Kapitalisten mit buntem Anstrich, nicht mehr. Die Notwendigkeit zur Überwindung des bürgerlich-kapitalistischen Systems haben sie noch immer nicht begriffen. Vermutlich auch, weil sie überwiegend selbst aus dem gehobenem Bürgertum kommen.

  • Ich bin Gründungsmitglied der Grünen und habe die Partei vor einigen Jahren auch verlassen. Aber aus anderen Gründen als die der Grünen Jugend.



    Die Grüne Jugend ist ein Biotop, das die DNA der Partei nie verstanden hat, da sie es sich in ihren urbanen Blasen gemütlich eingerichtet hat. Das führt zu Fehldeutungen aufgrund ungenügender Prägung. Oder wie lässt sich die Bigotterie erklären, für Freiheit einzutreten, aber die Unschuldvermtung bei Männern mal eben so außer Kraft zu setzen?



    Die Grüne Jugend ist ein identitätspolitischer Hort mit den ganzen Widersprüchlichkeiten und der Bigotterie der Bewegung.



    Und sie setzt auf dem Missverständnis auf, die Grünen seien eine linke Partei. War sie nie, denn Umwelt kennt kein rechts und links.

    • @rakader:

      "Umweltschutz kennt kein rechts und links."

      Korrekt!

      Inzwischen haben "Linke" das Thema vereinnahmt und in eine "Sackgasse" geführt. Klimaschutz wurde mit weiteren Themen wie Anti-Kapitalismus, Migration, Anti-Kolonialismus, Identitätspolitik und zuletzt sogar Antisemitismus verknüpft. Ich erinnere mich noch an die ersten Fridays-for-Future-Demos. Damals stand der Klimaschutz als einziges Thema im Mittelpunkt. Klimaschutz war das verbindende Thema für alle, denn es kennt keine politischen Lager.

  • ich kann allen enttäuschten linken grünen empfehlen, die Linke zu wählen. nicht nur deswegen, weil links das gegenteil von rechts ist, wie unlängst angemerkt wurde, und nicht grüner kapitalismus. mit der Linken im bundestag bestehen einfach bessere aussichten, in zukunft breite bündnisse und gute konzepte für eine progressive sozial-ökologische transformation dieser gewalttätigen und exkludierenden gesellschaftsordnung zu entwickeln, zu der die grüne partei letzten endes immer laut "ja gesagt hat, "bauchschmerzen" hin, "bauchschmerzen" her.