piwik no script img

Ein Kurde als ZielobjektImmer in Bewegung

Der Bremer Yücel Koc ist einer der höchsten Kurden-Funktionäre Europas und sollte ermordet werden. Wie lebt er damit?

Gegen den Terror des „Islamischen Staats“: Kurdische Demo in Hannover, November 2014 Foto: Alexander Körner/dpa

HAMBURG taz | Es ist noch nicht vorbei, sagt Yücel Koc. „Wir haben Informationen über neue Gruppen.“ Der Satz klingt verfassungsschutzhaft, aber harmlos für das, was Koc meint: Er meint „Gruppen“, die ihn, 52, Gabelstaplerfahrer im DHL-Paketlager in Bremen und gleichzeitig einer der höchsten Kurden-Funktionäre Europas, töten sollen.

So, wie drei PKK-Funktionärinnen in Paris im Januar 2013 getötet wurden. Oder so, wie es Mehmet Fatih S., ein 31 Jahre alter Türke aus Hamburg, es im vergangenen Jahr offenbar bei Koc plante. Im Oktober nahm das BKA S. in Hamburg fest. Der Generalbundesanwalt hegte „dringenden Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit“. S. soll für den türkischen Geheimdienst Kurdenführer wie Yücel Koc ausgespäht haben – als Teil eines Mordkommandos.

Seit einem halben Jahr weiß Koc von Attentatsplänen gegen ihn. Viele hielten die Sache für eine Räuberpistole, von den Kurden in die Welt gesetzt, um die Türkei zu diskreditieren. Propaganda in einem schmutzigen Krieg, der auch in Deutschland geführt wird.

Doch die deutschen Behörden nahmen die Sache ernst. Sie fanden genug Indizien, Dokumente, Aussagen, um S. festzunehmen. Der sitzt nun im Gefängnis in Hamburg. Der Prozess am Landgericht wird vermutlich im Mai eröffnet.

Droh-SMS

Koc, ein freundlicher Mann, der immer etwas vernuschelt spricht, bekam SMS mit Botschaften wie: „Du hast nicht mehr viel Zeit“. Er versteckt sich nicht, sagt er am Telefon. Stattdessen bleibe er „immer in Bewegung“. Bremen, wo seine Familie lebt, ist für ihn jetzt ein gefährlicher Ort. Ihn zu treffen ist schwierig. „Nie lange in einer Stadt“ sei er jetzt, sondern mal hier, mal da, Versammlungen, Demos. Das Netzwerk der Kurden in Deutschland ist groß, es kann jemanden auffangen, der wie er seine Arbeit kündigen musste. Er sei „immer politisch aktiv.“ Irgendwie ist es für Koc auch fast so, wie es in den letzten drei Jahrzehnten meistens war.

1965 wurde er in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei geboren. Als junger Mann zog er nach Istanbul, „wegen dem Krieg und wegen dem Studium“. 1989 schloss er die Technische Universität als Industrie-Ingenieur ab. Die Lage im Südosten des Landes eskalierte da, Koc verließ das Land. 1990 kam er nach Bremen. An der dortigen Hochschule wollte er promovieren. Aber daraus wurde nichts.

Für Koc stand nie infrage, dass die kurdische Sache für ihn an erster Stelle steht. 1993 verbot Deutschland die PKK, rund 20 ihr nahe stehende Vereine wurden aufgelöst. 1994 gründeten die Kurden in Duisburg einen neuen Dachverband. Er hieß Yek-Kom. Aus seiner Nähe zur PKK machte er keinen Hehl, gleichwohl blieb er immer legal. Koc war der Gründungsvorsitzende.

Die meiste Zeit brachte er seither als Aktivist zu. Etwas Geld verdiente er mit einem kleinen Laden, doch der lief nicht gut, 2002 heuerte der studierte Ingenieur bei DHL an, als Lagerarbeiter.

Gesicht der Abwehrkämpfe

Koc lebte mit seiner Familie in einer kleinen Wohnung nahe des Weserufers in Bremen. Neben seinem Lagerjob war er Vorsitzender des lokalen Kurdenvereins Birati. Jedes Mal, wenn in Bremen Kurden Schwierigkeiten bekamen, wegen Öcalan-Fotos oder weil sie der PKK zu nahe gestanden haben sollen, war es Koc, der Anwälte vermittelte und Journalisten bei süßem Schwarztee aus kleinen Gläsern davon zu überzeugen versuchte, dass die Kurden für eine gerechte Sache kämpfen.

Koc saß in seinem Büro, im ersten Stock eines Hauses im Bremer Bahnhofsviertel, wo die Kurden ein etwas düsteres Stockwerk gemietet hatten, an den Wänden hingen Bilder kämpfender Frauen und des gütig dreinblickenden Öcalan, und Koc führte Abwehrkämpfe gegenüber dem deutschen Staat, der sich als Partner der Türkei verstand und den Kurden die Räume eng machte; ihre Vereine und Fernsehsender verbot, Konten einfror, Aufenthaltserlaubnisse entzog.

Koc war das Gesicht dieser Abwehrkämpfe. Sein Ziel war, die Öcalan-treuen Kurden zu einem politischen Faktor auch in Deutschland werden zu lassen. Er suchte Nähe zur Linkspartei, Studentengruppen oder auch zu hohen Diplomaten wie dem beigeordneten UN-Generalsekretär Hans-Christof von Sponeck, der auf Koc’ Einladung in Bremen sprach.

Politischer Drahtseilakt

Im Schatten des PKK-Verbots war Koc’ Arbeit ein jahrzehntelanges Austarieren von sprachlichen Nuancen. Trat er zu nah an die PKK heran, drohte ihm selbst Verfolgung und seinem Verein das Verbot. CDU, Verfassungsschutz, die Innenbehörde hatten ihn immer im Blick. Nahm er zu viel Distanz ein, hätte er nicht nur sein politisches Ziel verfehlt, sondern die Öcalan-treue Basis ebenso vergrätzt wie die PKK-Führung. Ein politischer Drahtseilakt.

Koc stürzte nicht ab. 2011 wurde er Vorsitzender des bundesweiten Kurden-Dachverbandes Yek-Kom, 2016 Vize-Vorsitzender des europäischen Kurden-Verbandes KCD-E.

Was, glaubt er, war für die Kurden in Deutschland politisch zu gewinnen? In einem Land wo das Wort „Kurde“ für viele zeitweise fast wie ein Synonym für „Terrorist“ klang?

„Natürlich konnten wir allein nichts ausrichten,“ sagt Koc. Aber allein waren sie ja auch nicht. Da war zum Beispiel die „Kampagne zur Anerkennung der kurdischen Identität“, die er gestartet hatte. 60.000 Unterschriften, auch viele nicht-kurdische Organisationen, Petitionsausschuss, Koc durfte im Bundestag reden. 2012 war das. „Wir wollen, dass kurdische Migranten gleiche Rechte haben“, sagte Koc.

Verbotene Buchstaben

Lange hatte die Türkei versucht, alles Kurdische zu verbieten, die Sprache eingeschlossen. Die Konsulate in Deutschland hatten deswegen immer wieder Briefe an die deutschen Standesämter geschrieben. Darin stand, dass Buchstaben X, W und Q in türkischen Vor- und Familiennamen nicht verwendet werden dürfen. Die drei Buchstaben kommen im kurdischen, nicht aber im türkischen Alphabet vor, in der Türkei waren sie lange verboten.

Wenn kurdische Eltern in Deutschland Kinder bekommen und einen Namen wie „Wâlet“ („Land“ auf Kurdisch) in die Geburtsurkunde eintragen lassen wollten, lehnten die Standesämter oft ab. Denn die Türkei verweigerte solchen Kindern seinerzeit schlichtweg die Staatsangehörigkeit. Heute ist das anders. „Nach unsere Kampagne hat der deutsche Staat diese Buchstaben akzeptiert“, sagt Koc. Solche Erfolge seien es, die ihn weitermachen ließen, all die Jahre.

Er mache sich keine Illusionen, sagt er heute: „Deutschland und die Türkei haben 200 Jahre gute Beziehungen, sie sind politisch, wirtschaftlich, militärisch sehr eng.“ Aber manchmal bekommt diese Beziehung eben kleine Risse, politische Spielräume entstehen. Das sind die Momente, für die Kurden bereit sein müssen.

Wie 2014, als der IS vorrückte und die Kurden plötzlich zu Partnern der Westens im Kampf gegen den Dschihad wurden – und sie auch auf ein Ende des PKK-Verbots hofften, wenn auch bislang vergeblich.

„Schicksalstag“ 16. April

Und so macht Koc weiter, auch mit öffentlichen Auftritten, etwa bei der Konferenz der irakischen Jesidinnen in Berlin, bei der auch der deutsche Botschafter im Nordirak war. Solche Treffen sind wichtig. Hat die Polizei ihm Personenschutz angeboten? „Nein“, sagt Koc.

Für Koc steht fest: Es war der türkische Staat, der hinter den Anschlagsplänen gegen ihn steckt. Noch durfte er in die Akten der Ermittler keinen Einblick nehmen. Aber wenn es Erkenntnisse in diese Richtung gäbe, böte das enormen politischen Sprengstoff – erst recht vor dem Referendum in der Türkei am 16. April. Dies sei der Schicksalstag, glaubt Koc, für die Türken wie für die Kurden. „Wenn ein ‚Nein‘ herauskommt, dann kann diese Diktatur nicht mehr so weitermachen. Dann verliert sie.“

Den gesamten Schwerpunkt zum Thema „Kurden in Norddeutschland“ lesen Sie in der gedruckten taz.nord am Wochenende oder hier.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!