Ein Jahr Frauenrevolution in Iran: Marketing statt Solidarität
Die Iranpolitik der Bundesregierung ließ großen Worten wenig Taten folgen. Selbst für die inhaftierten deutschen Geiseln hat sich nichts verändert.
Es dauert eine Weile, bis die deutsche Öffentlichkeit und vor allem politische Entscheidungsträger*innen sich für die Proteste in Iran interessieren. Doch als die Sichtbarkeit langsam erwacht, ist die Solidarität groß: Der Bundespräsident empfängt iranische Journalist*innen und Aktivist*innen, Politikerinnen schneiden sich die Haare ab, große Reden werden gehalten.
Scholz braucht lange, bis er sich zu Wort meldet. Erst mit nichtssagenden Floskeln, dann – nach öffentlichem Druck – auch endlich mit einem starken Video, bis er dann quasi für immer aus dem Diskurs verschwindet.
Gut, dass wir passend zur feministischen Revolution in Iran eine Außenministerin haben, die auf feministische Außenpolitik setzt, denken wir zu Beginn. Doch die großen Reden stellen sich schon bald als leere Worte heraus – Taten folgen nur wenige.
Die Revolutionsgarde steht nicht auf der Terrorliste
Anfang November 2022 nimmt der Bundestag einen Antrag der Ampelfraktionen an. Darin stehen 25 Forderungen zur Unterstützung der Protestierenden in Iran. Werfen wir einen genauen Blick auf einige Punkte und ihre oft fehlende Umsetzung:
Die Bundesregierung wird aufgerufen, sich dafür einzusetzen, dass die Vereinten Nationen (UN) die Gewalt gegen Protestierende verurteilen und eine unabhängige Untersuchungskommission einführen. Dafür setzt sich Deutschland gemeinsam mit Island ein. Groß ist die Freude Ende November, als die UN eine Resolution verabschieden. Die Islamische Republik wird wenig später aus der Frauenrechtskommission der UN geworfen. Gute erste Schritte.
Doch schnell verblasst die Freude über diese Teilerfolge. Denn einige Monate danach wählen die UN dasselbe Regime, das Protestierenden gezielt ins Auge schießt und wohl Mädchen an Schulen vergiftet, in die Kommission zur Kriminalprävention und zum Vorsitzenden des Menschenrechtsforums. Welche Werte vertreten die UN?
Auch die Sanktionen, die Baerbock in der EU auf den Weg bringt, scheinen zunächst eine gute Sache zu sein. Doch schon bald stellt sich heraus, dass sich die Bundesregierung auf diesen wenigen Sanktionen ausruht. Nach einem Jahr sind lediglich 223 Einzelpersonen und 37 Organisationen sanktioniert – und die Revolutionsgarde der Islamischen Republik (IRGC) steht nach wie vor nicht auf der EU-Terrorliste. Immer wieder werden Scheinargumente genannt, weshalb die Listung rechtlich nicht möglich sei. Dass das Europäische Parlament mehrheitlich für die Listung der IRGC stimmt, scheint wenig zu beeindrucken. Und außerdem, so das Auswärtige Amt, tue man ja mit den Sanktionen gegen Einzelpersonen schon viel.
Teherans Bürgermeister reiste ungestört in die EU ein
Wie effektiv diese Sanktionen sind, zeigt das Beispiel des Teheraner Bürgermeisters Alireza Zakani. Im Juni 2023 wird er von dem Brüsseler Bürgermeister Pascal Smet nach Belgien eingeladen. Wie kann jemand, der von der Europäischen Union wegen Menschenrechtsverbrechen sanktioniert ist, ohne Weiteres nach Europa einreisen?
Diese Frage stellt auch die belgische Öffentlichkeit, sodass Smet zurücktreten muss. Belgiens Außenministerin Lahbib, die für die Erteilung des Visums zuständig ist, kann die Kritik jedoch aussitzen und ihr Amt unbehelligt fortführen. Dieselbe Ministerin, die sich zu Beginn der Proteste in Solidarität mit den Frauen in Iran die Haare abschneidet, erteilt nun dem Mann ein Visum, der für das brutale Vorgehen gegen eben jene Frauen in Teheran verantwortlich ist. Die Reaktion der Bundesregierung zu all dem? Schweigen.
Dieses Schweigen zieht sich durch alle Bereiche, auch die Wirtschaftspolitik: Nach wie vor ist Deutschland stärkster Handelspartner der Islamischen Republik in Europa.
Und nach wie vor unterhalten Banken des Regimes Filialen in Deutschland und können unbehelligt ihren schauerlichen Tätigkeiten nachgehen. Die Bank Saderat etwa in Hamburg unterstützt das Regime in Iran sowie Terrororganisationen wie die palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah.
Nahid Taghavi und Jamshid Sharmahd weiter in Haft
In dem Antrag wird außerdem gefordert, dass die Bundesregierung sich für die Freilassung aller politischen Gefangenen und der in Iran inhaftierten deutschen Staatsbürger*innen einsetzen soll. Doch die Bundesregierung forderte öffentlich nicht etwa die Freilassung der deutschen Geiseln Nahid Taghavi und Jamshid Sharmahd, sondern lediglich verbesserte Haftbedingungen. Sie werden nicht einmal als Geiseln bezeichnet. Wie soll ein Problem gelöst werden, wenn man es nicht beim Namen nennen kann?
In den letzten Monaten haben es fünf verschiedene Staaten geschafft, insgesamt elf Geiseln zu befreien. Doch auch das birgt Probleme: Für die Freilassung des belgischen Gefangenen Olivier Vandercasteele änderte Belgien seine Gesetze, um im Gegenzug den verurteilten Terroristen Assadollah Assadi freilassen zu können, der jetzt in Iran von dem Regime als Held gefeiert wird.
Nun schließen sich auch die USA solchen schmutzigen Deals an und geben eingefrorene Gelder in Milliardenhöhe an das Regime zurück mit dem Ziel, fünf US-amerikanische Geiseln zu befreien. Solche Deals fördern die Geiseldiplomatie des Regimes weiter.
Der mangelnde Einsatz der Bundesregierung für die Befreiung deutscher Geiseln wirft auch die Frage auf, wie Oppositionelle in Deutschland eigentlich geschützt sind. Immerhin dürfen selbst Berufsunterdrücker wie Alireza Zakani nach Europa einreisen. Selbst der Verfassungsschutz warnt vor den Machenschaften des Regimes in Deutschland.
Abschiebestopp? Ist Ländersache – oder doch nicht?
Doch Schutzmaßnahmen scheint es keine zu geben, selbst einen bundesweiten Abschiebestopp gibt es nicht. Das Bundesinnenministerium schiebt es auf die Bundesländer. Die wiederum sagen, dass sie den Abschiebestopp nicht über sechs Monate hinaus verlängern dürfen, und spielen den Ball auf die Bundesebene zurück. So spielen Länder und Bund Pingpong miteinander – auf dem Rücken Schutzsuchender.
Der fehlende Wille, sich für Schutzsuchende einzusetzen, zeigt sich auch am Beispiel der humanitären Visa. Baerbock versprach zu Beginn der Proteste, die Visakapazitäten der Deutschen Botschaft in Teheran zu erhöhen. Doch ein Aufnahmeprogramm scheint in weiter Ferne zu liegen, die Verfahren dauern teilweise Monate und es ist kein politischer Wille zu erkennen, Menschen in Not aufzunehmen.
Die Enttäuschung über die samtpfötigen Reaktionen Deutschlands macht sich auch in Gesprächen mit Protestierenden in Iran bemerkbar. Die Hoffnung, dass Europa aufhört, die Machthaber zu unterstützen, haben viele längst aufgegeben. „Das, was uns Mut gemacht und Kraft gegeben hat, waren die Patenschaften“, sagt ein ehemaliger politischer Gefangener, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will. „Zu wissen, dass es einige gibt, die an uns denken und nicht zulassen, dass uns etwas passiert, hat uns sehr beruhigt.“
Die Iranpolitik des letzten Jahres zeichnet sich durch ein Engagement vieler einzelner Abgeordneter aus – und dem Nichtstun der Bundesregierung. Den Fototerminen des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers und der Außenministerin folgte wenig. Solidarität, die sich nur auf die sozialen Medien und Fototermine beschränkt, ist letztlich nur Marketing.
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