Ein Augenzeugenbericht aus Kongo: Als der Himmel Feuer fing
Wie Kongos Millionenstadt Goma den Ausbruch des Nyiragongo-Vulkans erlebt hat – und wie es jetzt weitergeht. Ein Augenzeuge berichtet.
Soziale Netzwerke steigern die Angst: Es werden Bilder von Lavaströmen verbreitet, von denen behauptet wird, dass sie vom Nyiragongo stammen und in Richtung der Stadt unterwegs seien, wie im Jahr 2002, als Teile Gomas zerstört wurden.
In Ermangelung jedweder offiziellen Kommunikation verwandeln sich Bürgeraktivisten in Journalisten. Alle möglichen „Wahrheiten“ und „Flash“-Meldungen kursieren, Widersprüche ebenso wie Tatsachen.
Es stellt sich heraus: Ja, es gibt einen Vulkanausbruch, und zwar tatsächlich der Nyiragongo und nicht sein Nachbarvulkan Nyamulagira. Es ist ein „weicher“ Ausbruch, nicht aus dem Krater, sondern aus einer Bergflanke an der nördlichen und östlichen Seite, die von Goma abgewandte. Ein Lavastrom ist unterwegs über Kibumba in Richtung ruandische Grenze. Die Stromlinie aus dem Wasserkraftwerk Matebe, betrieben vom Virunga-Nationalpark, ist unterbrochen, was große Teile Gomas in Dunkelheit gestürzt hat, und die Hauptstraße, die aus Goma Richtung Norden führt, ist komplett abgeschnitten. Die UN-Mission im Kongo ist mit Hubschraubern unterwegs, um den Lavastrom aus der Luft zu beobachten.
Stundenlang sagen die Behörden nichts
Erst nach 21 Uhr gibt es die erste Ansage der Behörden an die Bevölkerung: Goma wird evakuiert, gemäß den Anweisungen des Zivilschutzes. Dieser verlangt als Erstes, Kranke in zwei Kliniken zu bringen, und ruft die Menschen in Goma dazu auf, die Stadt in Richtung Westen zu verlassen, zu Fuß.
Unverzüglich machen sich Tausende auf den Weg – Richtung Osten, zur Grenze mit Ruanda. Die ist aber schon geschlossen zu dieser späten Stunde. Viel später erst werden einige Tausend durchgelassen. Diejenigen, die Richtung Westen ziehen, verstopfen schnell die Hauptstraße und produzieren Staus und Unfälle, einer davon tödlich, als ein Lastwagen umkippt. Die Menschen verbringen schließlich die Nacht auf der Straße.
Nach Mitternacht erst ergreift im Staatsrundfunk ein Vulkanologe das Wort. Kasereka Mahinda Célestin, wissenschaftlicher Leiter des Vulkanobservatoriums von Goma (OVG), erklärt: Der Lavastrom hat sich in zwei Ströme gespalten. Einer, ziemlich flüssig und schnell, aus einer Spalte im Vulkan zwischen den Anhöhen Shaheru und Kilimanyoka, fließt über den „Friedhof der Weißen“ in Kibati Richtung Ruanda, mit rund fünf Stundenkilometern.
Der andere, eher zäh und langsam, aus einer Spalte zwischen Shaheru und dem Dorf Muraho, bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von rund einem Kilometer pro Stunde in Richtung der nördlichen Vorstädte von Goma, Kihisi und Buhene, wo sie zum Stillstand kommt.
Der Experte hat gleich eine originelle Empfehlung zum Umgang mit diesem Lavastrom parat: „Wenn er die Straße erreicht, werden wir die Jugendlichen mobilisieren, um ihn mit Steinen aufzuhalten. Wir werden Steine anhäufen, um ihm den Weg zu versperren, denn er ist solide und die Temperatur ist niedrig genug, um die Steine zu verschmelzen, die wir schon gesammelt haben.“
Eine Nacht unter freiem Himmel
Die Bevölkerung ist schockiert. Sie erfährt, dass das Vulkanobservatorium seit Monaten nicht mehr arbeiten kann, weil die Weltbank ihre Finanzierung wegen Unregelmäßigkeiten gestrichen hat. Es gibt einen Zivilschutz, aber er verfügt über keinerlei Mittel. Die Militärbehörden an der Spitze der Provinz, ernannt nach der Verhängung des Kriegsrechts vor wenigen Wochen, haben eine Reaktivität, die eher zu den Problemen beiträgt als zu ihrer Lösung. „Unsere Autoritäten sollten lernen, sich sicher über das zu sein, was sie mitteilen, und es klar mitteilen“, schreibt einer auf Facebook.
Die Bevölkerung verbringt die Nacht unter freiem Himmel. Es regnet. Sobald es Tag wird, gehen die Leute nachschauen, ohne zu warten, dass die Lava erkaltet ist, und ohne Hilfe. Die Menschen stellen an diesem Sonntagmorgen fest: Die Lava hat vor den Toren von Goma Halt gemacht. Es ist Pfingstsonntag, einige Kirchen haben geöffnet. Die Erde bebt immer wieder, aber das Leben in Goma ist sowieso immer eine Art Glaubensakt.
Die Nacht zum Montag ist unruhig. Die Erde bewegt sich hin und her und grollt, einige Beben erreichen 5,3 auf der Richterskala. In Häusern entstehen Risse, Mauern fallen zusammen. Das OVG versucht, die Menschen zu beruhigen: Die Magma tief im Vulkan sei dabei, ein neues Gleichgewicht zu finden.
Weder Hilfsangebote noch Steuerung
Am Vorabend hat der Militärgouverneur von Nord-Kivu, flankiert von seinem Stellvertreter aus der Polizei, im Anschluss an eine „Krisensitzung“ die Bevölkerung kritisiert: Sie sei nach Hause gegangen, ohne auf eine Anweisung der Behörden zu warten. Das erklärt sich allerdings dadurch, dass die Evakuierungsanordnung vom Samstag von keinerlei Logistik der Behörden begleitet war. Es gab weder Hilfsangebote noch polizeiliche Steuerung, stattdessen Diebstähle und Plünderungen.
Die amtliche Bilanz vom Sonntagabend: Die Lavaströme haben 17 Dörfer getroffen, 15 Menschen sind gestorben, darunter neun bei dem schweren Verkehrsunfall vom Samstagabend. Vier Häftlinge brachen aus dem Zentralgefängnis von Goma aus und wurden von der Polizei erschossen, zwei Menschen sind in der Lava verbrannt. 4.000 Kongolesen haben sich aus Goma nach Ruanda in Sicherheit begeben und alle sind mittlerweile wieder zurückgekehrt, bis auf 40, die noch abwarten wollen.
Die Behörden haben jetzt alle Schulen und Hochschulen bis auf Weiteres geschlossen. Die Erde bebt weiter und es werden weitere Tote vermeldet, Opfer der Gase, die aus der Lava austreten. Und man darf sich auf neue Konflikte vorbereiten. In Buhene, wo der Lavastrom zum Stillstand kam, gingen erst im April Jugendliche mit Macheten aufeinander los, in einem Streit um Grundbesitz zwischen ethnischen Gemeinschaften, die sich feindselig gegenüberstehen und gegenseitig ausschließen wollen. Für solche Konflikte ist das Kriegsrecht nicht gemacht. Und der umstrittene Boden ist nun unter Lavasteinen verschwunden.
Der Autor ist ausgebildeter Radiojournalist und zivilgesellschaftlicher Aktivist im Ostkongo. Aus dem Französischen von Dominic Johnson.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin