Eichsfeld in Thüringen: Warum die AfD hier keine Chance hat
„Gazastreifen von Thüringen“ nannte Ministerpräsident Ramelow das Eichsfeld einst. AfD-Mann Höcke kandidiert lieber woanders. Wie kommt's?
Rund 150.000 Einwohner leben in der Region zwischen Göttingen, dem Südharz und dem Hainich-Höhenzug. Den Zusammenhalt der historischen Landschaft, die zum Großteil in Thüringen liegt, doch auch nach Hessen und Niedersachsen ragt, konnte selbst die DDR-Hochsicherheitsgrenze nicht schmälern. Nach der Wende waren die alten Verbindungen schnell wieder da.
Als Thüringer fühlen sich die Eichsfelder nicht, sprechen oft von Fremdherrschaft in den vergangenen 200 Jahren. Bis 1802 hatte die Gegend als Exklave fast 700 Jahre lang zum kurfürstlichen Mainz gehört. Mainz liegt nur eine Rheinbreite entfernt von Hessen, aber ein 2014 aus Hessen Eingewanderter gilt im frommen Eichsfeld als Fremder.
Umso makabrer, dass AfD-Landeschef Björn Höcke in Bornhagen im nordwestlichen Zipfel der Region ausgerechnet ein altes Pfarrhaus kaufte. Einen Fuß auf den heiligen Boden der Bodenständigen bekam der AfD-Chefideologe aber nie. Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren gaben ihm nur 21 Prozent ihre Erststimme. Damals hatte er angekündigt, „den Erbhof der CDU sturmreif zu schießen“.
Höcke ist geflüchtet
Bei den Kommunalwahlen 2019 erreichten die extrem Rechten kaum ein Drittel der CDU-Anteile von 48,6 Prozent. Im März dieses Jahres ergriff der designierte AfD-Propagandaminister Höcke dann die Flucht. Zur Landtagswahl am 1. September sucht er sein Heil nun bei den Heil-Rufern im Wahlkreis Greiz, also im thüringischen Vogtland.
Sogar der alte politische Volkswitz erwacht im Eichsfeld jetzt wieder. Es sei eine drastische Zunahme von Schulter-Operationen in Thüringen zu beobachten, wird erzählt. Bürger fürchteten, ihren rechten Arm nach der Wahl nicht hoch genug zum Führergruß heben zu können.
Und das in einem manchmal spießigen Landstrich mit Dörfern, die aussehen wie mit der Zahnbürste gereinigt! Aber man versteht hierzulande auch zu genießen. Zweite Nationalreligion ist die konservativ-kulinarische der Fleischanbetung. Dass man hier vom „Gehackten“ spricht und nicht vom Hackepeter, hat im TV-Duell gegen Mario Voigt (CDU) nun sogar der zugereiste Höcke gelernt.
Nichts mehr über die Eichsfelder lernen muss der dienstälteste deutsche Landrat Werner Henning. Schon im Herbst 1989 übernahm der heute 67-Jährige das Amt. Seit seinem Abitur gehörte er der Ost-CDU an, so wie zehn Prozent der Einwohner in seinem Dorf. Sein Landratsamt, das Schloss in Heiligenstadt, muss er altersbedingt nach der Kommunalwahl Ende Mai verlassen. 2018 war er zum fünften Mal direkt mit sagenhaften 82,3 Stimmenprozenten gewählt worden.
Respektvoll, aber nicht untertänig
Der Germanist, der über Lessing promovierte, könnte ebenso gut als Ethnologe gelten. „Wir sind nie primär politisch gewesen, sondern gemeindlich“, analysiert er. Die konfessionelle Insellage habe zu einem „eigenen kulturellen Verständnis im Umgang mit der jeweiligen Macht“ geführt. Das Verhältnis zum Staat bezeichnet er als respektvoll, aber nie untertänig.
„Gebt Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist“, sagt Jesus im Neuen Testament. Zu Staat und Parteien hielten die Eichsfelder Distanz. Als widerständig, gar anarchistisch würde sie Landrat Henning aber nicht bezeichnen. „Der Rechtsrahmen sollte uns in eigener Freiheit leben lassen!“
So erscheinen hier die von Höcke „auf großer Bühne formulierten Ansprüche sehr schrill, krawallig und besitzergreifend“. Seine „ideologischen Zudringlichkeiten und politischen Verbohrtheiten“ etwa bei Kreistagsreden sind den Eichsfeldern fremd. „Das haben wir schon in der alten Welt nicht mit uns machen lassen“, sagt der Landrat mit Blick auf die DDR-Zeit, es schimmert emanzipatorischer Stolz durch. „Es gehört sich einfach nicht, in so negativer gehässiger Weise auf andere Menschen draufzugehen!“
Zehn Kilometer von Heiligenstadt, in einem historischen Fachwerkhof des Dörfchens Steinbach, trifft man Peter Anhalt, Vorsitzender eines Vereins für Heimatkunde. Er ist mit 460 Mitgliedern der größte in Thüringen. Der Regionalpatriotismus ist hier deutlich zu spüren. Er spricht sogar von Mainzisch geprägter rheinischer Kultur, katholisch und feierfreudig.
Viele hier glauben, Gott helfe ihnen
„Selbst etwas machen und anpacken“ sei die Grundmentalität hier, nach dem alten Grundsatz „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“. In der Geschichte wurde daraus eine Mischung aus Widerstand gegen Fremdherrschaft und Kulturkampf, aber auch Arrangement, das auch als „Rosenkranzkommunismus“ bezeichnet wird.
Zuvor war noch 1933 beispielsweise im Heiligenstädter Stadtrat die NSDAP gegenüber dem katholischen Zentrum in der Minderheit. Doch in Duderstadt lag ein Außenkommando des KZ Buchenwald und bis in die Gegenwart gibt es rechte Gewalt, etwa als Neonazis in Fretterode zwei Journalisten fast umbrachten.
Auch der verurteilte Ex-NPD-Funktionär Torsten Heise kaufte ein Haus im Eichsfeld. Leute wie Peter Anhalt ärgert das. Deren Ausgrenzungsideologie sei „unchristlich, nicht eichsfeldisch“. Es gebe verirrte Schafe, aber „wenn man katholisch ist, wird man kein Höcke“! Anhalts Wahlprognose für 2024 ist deshalb klar: „Die CDU wird wie immer stärkste Kraft sein!“
Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Kommunal- und Landtagswahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier auf dem Spiel steht: Wer steht für die Demokratie ein? Welche Agenda verfolgen Rechte? Welche Personen und Projekte fürchten um ihre Existenz?
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