piwik no script img

Ehemaliger SS-Mann Oskar Gröning„Buchhalter von Auschwitz“ gestorben

Er zählte das Geld der Häftlinge. 70 Jahre später wurde Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in vielen Fällen verurteilt. Ins Gefängnis kam er nicht mehr.

Der ehemalige SS-Mann Oskar Gröning ist mit 96 Jahren gestorben Foto: ap

HANNOVER dpa | Der als „Buchhalter von Auschwitz“ bekanntgewordene frühere SS-Mann Oskar Gröning soll nach einem Schreiben seines Anwaltes tot sein. Der 96-Jährige sei danach bereits am Freitag in einem Krankenhaus gestorben, sagten dazu Sprecher des niedersächsischen Justizministeriums und der Staatsanwaltschaft Hannover am Montagabend.

Eine unabhängige Bestätigung lag zunächst nicht vor. Zuvor hatte der Spiegel darüber berichtet. „Ich möchte dazu nichts sagen, es aber auch nicht dementieren“, sagte Grönings Anwalt Hans Holtermann auf Anfrage. Eine Sterbeurkunde liege noch nicht vor, hieß es beim Justizministerium.

Gröning war im Lüneburger Auschwitz-Prozess wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen verurteilt worden. Das Landgericht verhängte im Juli 2015 eine Haftstrafe von vier Jahren. Der damals 94-Jährige hatte unter anderem eingeräumt, in dem Konzentrations- und Vernichtungslager Geld aus dem Gepäck der Verschleppten gezählt und weitergeleitet zu haben.

Jahrzehntelang waren die in Auschwitz am Holocaust Beteiligten nicht zur Verantwortung gezogen worden, wenn sie zwar wie Gröning Rad im Getriebe waren, aber nicht selbst getötet hatten. Die Gerichte verlangten den Nachweis einer bestimmten konkreten Tatbeteiligung. Das Landgericht entschied, auch das Verwalten der Gelder der Verschleppten und das Bewachen ihres Gepäcks sei Beihilfe gewesen. „Dieses Urteil hat Rechtsgeschichte geschrieben“, sagte damals Nebenkläger-Anwalt Thomas Walther.

Ein Rad im Getriebe

Der Richterspruch von Lüneburg war die erste Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord in einem Lager seit dem Verfahren gegen den früheren Sobibor-Aufseher John Demjanjuk 2011. Doch Demjanjuk starb, bevor das Urteil rechtskräftig wurde.

Mit einem Kollegen vertrat Walther in Lüneburg rund 50 Nebenkläger, die meisten waren Überlebende von Auschwitz-Birkenau. Gröning bestätigte vor Gericht ihre Berichte über das Grauen im Vernichtungslager. „Es geht mir nicht um die Strafe, es geht mir um das Urteil, die Stellungnahme der Gesellschaft“, erklärte die Überlebende Eva Pusztai-Fahidi damals. Von einer fast heilenden Wirkung des Prozesses sprach Walther. Im Fall Gröning bestätigte der Bundesgerichtshof im September 2016 erstmals höchstrichterlich eine Verurteilung wegen Beihilfe zum massenhaften Mord in Auschwitz.

„Den Nebenklägern war stets die Feststellung der verantwortlichen Schuld am Tod ihrer Familien in Auschwitz wichtig“, betonte Walther am Montagabend. „Eigenes Sterben und der Tod Grönings ändern daran nichts. Der vom Bundesgerichtshof bestätigte Schuldspruch des Schwurgerichts Lüneburg besteht über die Grenzen des Lebens hinaus.“

Auch das Internationale Auschwitz Komitee würdigte am Montag das Lüneburger Urteil und dessen Bestätigung. Das bleibe für die Überlebenden „eine große Genugtuung und ein später Ausdruck deutscher Suche nach juristischer Gerechtigkeit und historischer Ehrlichkeit gegenüber ihren ermordeten Familien“, erklärte Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner. Gröning sei für sie einer der ganz wenigen Angehörigen der Auschwitz-SS gewesen, „der sich auf den Weg gemacht hatte, öffentlich die Wahrheit über Auschwitz zu sagen und sich selbst und die deutsche Gesellschaft mit seinen Erinnerungen zu konfrontieren“.

Zuletzt versuchte er noch, der Haft zu entgehen

„Gerade diese Haltung, die dennoch im Blick auf seine persönliche Verantwortung und seine Entscheidungen halbherzig blieb, macht noch einmal deutlich, dass der übergroße Teil der SS-Täter und Mittäter von Auschwitz weder ein Unrechtsempfinden besessen hat, noch sich je vor einem deutschen Gericht hat verantworten müssen“, so Heubner.

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum bedauerte, dass Gröning nicht mehr in Haft kam. Das wäre symbolisch wichtig gewesen, sagte dessen Leiter Efraim Zuroff. Das Schicksal habe es gewollt, dass er seiner gerechten Strafe entgangen sei. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum setzt sich etwa gegen Antisemitismus und Holocaust-Verleugnung ein.

Nachdem der Rechtsweg ausgeschöpft war, richtete Gröning zuletzt ein Gnadengesuch an Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU), eine Entscheidung stand bevor. Holtermann hatte zuvor über mehrere Instanzen hinweg einen Haftantritt zu verhindern versucht. Gröning sei nach Auffassung eines Sachverständigen nicht haftfähig, erklärte er – ohne Erfolg. Eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe wurde Ende Dezember vergangenen Jahres unter anderem mit Verweis auf die Schwere der Taten abgewiesen.

Gröning war seit Herbst 1942 in der sogenannten Häftlingsgeldverwaltung eingesetzt worden, weil er eine Banklehre gemacht hatte. 1944 wechselte er in eine Front-Einheit. Nach dem Krieg lebte er mit Frau und Kindern in der Lüneburger Heide. Erst Mitte der 1980er Jahre öffnete er sich. Der britischen BBC schilderte Gröning, was er in Auschwitz gesehen und getan hatte. Er sah sich dabei als „Rädchen im Getriebe“.

„Um Vergebung kann ich nur meinen Herrgott bitten“

Journalisten und Nebenkläger beschrieben den am 10. Juni 1921 in Nienburg an der Weser geborenen Gröning als jemanden, der lange die Frage seiner persönlichen Schuld umkreiste, ohne sich ihr wirklich nähern zu können. „In Auschwitz durfte man nicht mitmachen“, fasste das Gericht in Lüneburg zusammen. Auch Gröning hatte den Satz von einem Opfer-Anwalt in seinem Schlusswort wiederholt.

Er habe die Überlebenden angesichts der Dimension der in Auschwitz und anderswo verübten Verbrechen nicht um Vergebung bitten können, hieß es in einer von der Verteidigung zwei Wochen vor dem Urteil verlesen Erklärung Grönings. Sie schloss mit dem Satz: „Um Vergebung kann ich nur meinen Herrgott bitten.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Geht ein Mann ins Musikgeschäft. "Was hätten Sie denn gerne?" fragt die Verkäuferin. "Geben Sie mir bitte die Trompete und das Schifferklavier." Die irritierte Verkäuferin daraufhin: "Den Feuerlöscher können Sie meinetwegen haben. Aber die Heizung bleibt hier."

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Hat jetzt was mit dem Artikel zu tun ?

  • Zum Dienst in der SS konnte damals niemand gezwungen werden.

    Unfassbar, was hier in den Kommentaren an Verharmlosung der Nazi-Kanibalen geschmiert wird!

    • @amigo:

      Differenzieren Sie doch mal. Als Buchhalter war er eben gerade kein Kannibale. Wie lauetet denn der Tatbestand, den Sie dem Mann vorwerfen ? "Hat irgendwie mitgemacht." Sowas in der Art ? Nun, dann wollen wir doch mal gucken, ob wir da nicht auch was für Sie finden. Wenn ich annehme, daß Sie berufstätig sind, machen Sie in ihrer Firma ja auch irgendwie mit. Und nehmen wir jetzt mal an, daß in Ihrer Firma irgendeine Schweinerei passiert und Ihr Chef wird eingeknastet. Jetzt steht die Polente auch vor Ihrer Tür, denn "Sie haben ja auch irgendwie mitgemacht." Erkennen Sie das Problem, Amigo ? Ich will hier auch keine Nazis reinwaschen. Jeder Täter hat zur Verantwortung gezogen werden. Aber das was Sie machen erinnert an schlechte Western: Alle, die auch nur in der Nähe rumstehen, werden mitabgeknallt. So geht´s nicht.

    • 6G
      6028 (Profil gelöscht)
      @amigo:

      Ihr Kommentar ist mir unbegreiflich.

       

      "Zum Dienst in der SS konnte damals niemand gezwungen werden"

       

      Dies hat keiner der Vor-Kommentatoren behauptet; darum geht es auch nicht.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Bei der Behandlung von Herrn Gröning habe ich stets an das Verdikt der "Verhältnismäßigkeit der Mittel" denken müssen. Wirkliche Täter, die Dreck am Stecken hatten, durften sich nach Kriegsende ungestraft in Politik und Justiz austoben. Der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Würtemberg, Herr Filbinger, war nur die Spitze des Eisbergs.

     

    An dem 'Schreibtischtäter' Gröning hingegen wurde nach siebzig Jahren (!) noch kurz vor seinem Tod ein Exempel statuiert. Hätte er doch besser Karriere in der CDU oder SPD gemacht, wäre ihm das erspart geblieben.

     

    Welch grausige Rechtsauffassung, welch eine Heuchelei. Gut für ihn, dass er das jetzt hinter sich hat.

  • 6G
    6028 (Profil gelöscht)

    Ein hässliches Beispiel dafür, was in DE bei der Aufarbeitung des Holocausts alles schiefgelaufen, bzw. bewusst unterdrückt worden ist.

     

    Erst lässt man nach 1945 die Großtätet (z.B. Eichmann) ins NS-freundliche Ausland entkommen (u.a. mit direkter Hilfe der katholischen Kirche – die 'Rattenlinie').

    Anschließend versucht die Politik die Täter in Amt und Würden zu halten (Adenauer: "Man schüttet kein dreckiges Wasser weg, solange man kein sauberes hat") sowie unter kräftiger Nachhilfe der BRD-Justiz eine gerichtliche Aufarbeitung der Taten zu verhindern.

     

    Wo dies nicht gelingt (Fritz Bauers Auschwitz-Prozess in Frankfurt), will man nur jene belangen, die "selbst getötet hatten" – was praktisch ein Freibrief für alle die war, die z.B. die Tötungen angeordnet, aber nicht persönlich ausgeführt hatten.

     

    Dass man nun diese offensichtlich Argumentation negieren will, ist eine gute Idee, die leider sehr spät, zu spät kommt.

     

    Da man aber nun keinen mehr hat, der damals befohlen hatte, verurteilt man (sozusagen 'in effigie' anstelle der wirklichen Täter) nach mehr als 70 Jahre halt einen KZ-Buchhalter, der selbst keinerlei Befehlsgewalt hatte: 'wegen Beihilfe zum Mord in 300 000 Fällen' – ein klassisches Bauernopfer. Schließlich möchte dies auch noch als späten Sieg der Gerechtigkeit feiern lassen – als könnte man damit die Versäumnisse der Vergangenheit ungeschehen machen.

     

    Nun kommt Gevatter Hein und macht dem falschen Spiel einfach ein Ende.

  • "In Auschwitz durfte man nicht mitmachen." Soso. Und wie hat man sich das vorzustellen ? "Nö, kein Bock auf Gewalt im KZ, Herr Dienststellenleiter. Teilen Sie mich man lieber der Gartenpflege zu ?" Ich finde das, mit Verlaub, unfaßbar naiv. Wie kindlich verdrahtet muß man sein, um zu glauben, daß man - um mal einen heutigen Vergleich zu ziehen - in Nordkorea um den Dienst in einem Lager rumkommt, nur weil man nicht will ? In diktatorischen Systemen kann schon ein Scherz über den Machthaber, der einem nach dem dritten Bier in der Kneipe entfährt, zu Folter und Knast führen. Wie bitteschön stellt sich denn der Herr Richter das Nicht-Mitmachen vor ? Wenn ich damals hätte leben müssen; ich weiß nicht, ob ich mutig genug gewesen wäre. Jetzt, aus der bequemen Rückschau am Computer ist es leicht, den Helden zu markieren.